Teacher Leadership - Schule gemeinschaftlich führen (E-Book). Nina-Cathrin Strauss
Kontaktpersonen. Doch es gibt noch wenig systematisches Wissen darüber, wie sich Führung darüber hinaus in Schulen verteilt.
Insgesamt wissen wir aus der Sicht der deutschsprachigen Forschung noch wenig über das Wie der Führungsverteilung in Schulen und haben kaum Erkenntnisse, was Führungsverteilung für Teacher Leaders bedeutet, also für die pädagogischen Fachpersonen in Schulen, die sich aus ihrem Arbeitsbereich heraus an Führungsaufgaben für die ganze Schule beteiligen (Strauss 2020).
Teacher Leadership ist ein Konzept, das in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten im internationalen Führungsdiskurs an Bedeutung gewonnen hat (Wenner u. Campbell 2017). Es widmet sich der Frage, wie Lehrpersonen und andere Mitarbeitende sich an Führung beteiligen können, um so aufgrund ihrer spezifischen Expertise Einfluss auf Kolleginnen und Kollegen, Schulleitungen oder auch Schulbehördenmitglieder zu nehmen. Während in England, den USA und in vielen anderen Ländern Teacher Leadership als Normalität an Schulen gilt (siehe Frost in diesem Band), ist das Konzept in den deutschsprachigen Ländern noch wenig bekannt. Im Rahmen der Einführung der Neuen Mittelschulen (Gesamtschule Sekundarstufe I) wurde Teacher Leadership in Österreich verankert. Lerndesignerinnen und Lerndesigner wirken als Teacher Leaders bei der Implementierung und Weiterentwicklung dieser neuen Schulform mit und nehmen Führungsaufgaben wahr (siehe Schubert und Hofbauer in diesem Band). Doch auch im weiteren deutschsprachigen Raum finden sich Beispiele in der schulischen Praxis für Teacher Leadership, auch wenn zuweilen unter anderer Bezeichnung (siehe Strauss in diesem Band).
Um zu verstehen, wie Führung in und von Bildungsorganisationen einen Beitrag zur Entwicklung einer «guten Schule» und zur Professionalisierung pädagogischer Praxis leisten kann, ist es notwendig, sich der Thematik eigenständig und mit einem Verständnis für die systembedingten Besonderheiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu nähern. Zugleich sollen die international erarbeiteten Erkenntnisse und offenen Fragen Teil dieser Auseinandersetzung sein. Das ist das Anliegen dieses Buches.
In der Auseinandersetzung mit internationalen Führungskonzepten zeigt sich die Schwierigkeit einer Übersetzung gleich zweifach: Es braucht eine kulturelle Übersetzung der Konzepte auf die lokalen, regionalen und teilweise nationalen Besonderheiten und Traditionen und deren Führungsvorstellungen, es braucht aber auch eine sinnvolle sprachliche Übersetzung von Begriffen und Erklärungen. Bei der Übersetzung von Begriffen wie beispielsweise Teacher Leadership zeigt sich das Problem, dass einerseits häufig passgenaue Begriffe im Deutschen fehlen und sich die Übersetzung mit Umschreibungen behelfen muss und dass andererseits die Konzepte dahinter sich mit deutschen Begriffen oft noch komplexer darstellen – zumal wir auch im deutschsprachigen Raum teilweise unterschiedliche Begriffe verwenden: Schulleitung, Direktion bzw. Direktorin oder Direktor. Die Herausgeberin und der Herausgeber haben sich aus diesem Grund für den vorliegenden Band entschieden, immer dann, wenn es eine passende Übersetzung des Begriffes im Deutschen gibt, konsequent diesen zu verwenden. Ansonsten halten wir uns an die englischen Begriffe, auch wenn wir damit weitere Anglizismen in den deutschsprachigen Diskurs einführen.
Dieser erste Band der neuen Buchreihe «Führung von und in Bildungsorganisationen» ist der Frage gewidmet, wie Führung sich in Schulen gemeinschaftlich gestalten lässt und Mitarbeitende aus ihrer spezifischen Funktion heraus Führung für die Schule übernehmen können. Ziel ist es, nicht nur für den wissenschaftlichen Diskurs, sondern insbesondere auch für die Praxis im deutschsprachigen Schulfeld, für Fachpersonen aus den Aus- und Weiterbildungsinstitutionen und nicht zuletzt für die bildungspolitische Entscheidungsebene einen Querschnitt der Thematik «Teacher Leadership: Schule gemeinschaftlich führen» aufzubereiten.
Wichtig war uns dabei, sowohl grundlegende Perspektiven aus dem internationalen Diskurs von Führungsverteilung und Teacher Leadership als auch Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufzunehmen. Der Sammelband soll einen länderübergreifenden Diskurs über Teacher Leadership und gemeinschaftliche Führung ermöglichen. Wir sind überzeugt, dass dieser länderübergreifende Diskurs gerade für das Thema Schulführung wesentlich ist und wir von internationalen Studien und Perspektiven, aber auch von den Erfahrungen in den je anderen deutschsprachigen Ländern lernen können. Nicht zuletzt sind wir überzeugt davon, dass Forschung, Praxis, Politik und Verwaltung voneinander lernen, weshalb wir das Thema aus allen Perspektiven beleuchten.
So gliedert sich der Sammelband in drei Teile: Beiträge mit theoretisch-konzeptioneller Perspektive aus dem internationalen und deutschsprachigen Diskurs, forschungsbasierte Beiträge zu Distributed Leadership bzw. Teacher Leadership im deutschsprachigen Raum und schließlich Praxisfenster aus allen drei Ländern mit Beispielen für gelebte gemeinschaftliche Führung und Teacher Leadership.
Überblick über die Beiträge
Der Beitrag von David Frost beschäftigt sich mit dem Verständnis von Teacher Leadership und der Realisierung an Schulen. Frost plädiert dafür, Teacher Leadership unabhängig von Funktionen und Positionen zu sehen, vielmehr als Teil der Professionalisierung von Lehrpersonen. Er stellt Teacher Leadership durch Ermächtigung – Einsetzen von Lehrpersonen in eine formale Position zum Beispiel – der Ermöglichung gegenüber: dass Lehrkräfte also die Möglichkeit haben, ihr spezifisches, berufsbezogenes Wissen einzubringen und damit Verantwortung zu übernehmen. Wie diese Vorstellung von Teacher Leadership umgesetzt werden kann, zeigt Frost am Ende seines Beitrages am Beispiel des HertsCam-Netzwerkes, das Teacher Leadership seit vielen Jahren weltweit durch praxisorientierte Programme und Weiterbildungen fördert.
James P. Spillane argumentiert in seinem Beitrag dafür, Schulführung aus einer «Distributed Multilevel Perspective» zu betrachten. Dahinter steckt die Idee, dass Führungspraxis durch einen Rahmen betrachtet werden muss, in dem sich Führung auf mehrere Personen verteilt (Leader-Plus-Komponente), und dass sie aus den wechselseitigen Interaktionen und Beeinflussungen zwischen den Führenden, den Geführten sowie der Situation entsteht (Komponente der Führungspraxis). Spillane erläutert außerdem, wie Führung sich über alle Ebenen des Bildungssystems erstrecken kann und dass daher nicht nur die Schule als Organisation in den Blick zu nehmen ist, um Führungspraxis zu untersuchen.
Der dritte aus dem Englischen übersetzte Beitrag von Jacky Lumby setzt sich kritisch mit der Popularität und der erwähnten Programmatik von Distributed Leadership auseinander. Lumby wirft die Frage auf, inwiefern Distributed Leadership tatsächlich neue Möglichkeiten für Lehrpersonen eröffnet, sich an Schulführung zu beteiligen, oder doch nur dazu dient, sie mit zusätzlichen Aufgaben und Belastungen zu versöhnen. Zugleich zieht sie die Frage der Macht als Hintergrundfolie heran und zeigt, wie Distributed Leadership Ungleichheit fördern und eben nur bestimmten und nicht allen Personen Führung ermöglichen kann.
Sigrid Endres und Jürgen Weibler übertragen in ihrem Beitrag ihre Erkenntnisse zu pluralen Führungsformen aus schulfremder Forschung auf die Organisation Schule. Ihr Führungsverständnis rückt dabei die Wechselseitigkeit (relationale Führung) in den Fokus und geht davon aus, dass Führung nicht nur durch Einfluss, sondern auch durch Akzeptanz seitens der Geführten definiert ist. Anhand des «Plural Leadership Framework» skizzieren die beiden, wie plurale Führungsformen im Schulfeld realisiert werden (können), und gehen hier insbesondere auf die anspruchsvolle Umsetzung von Shared Teacher Leadership in der Praxis ein.
Niels Andereggs Beitrag setzt sich forschungsbasiert mit der Frage auseinander, was es genau bedeutet, wenn Führung verteilt ist. Anhand verschiedener theoretischer Zugänge erläutert er, warum Führung nicht als Verfügen einer Person über eine andere, sondern als gemeinschaftlicher sozialer Prozess verstanden werden muss. Aus phänomenologischer Sicht analysiert Anderegg eine Situation aus dem schulischen Alltag, in der sich praxisrelevant zeigt, worin die kleinen, feinen Unterschiede liegen, wenn Führung gemeinschaftlich verstanden und gestaltet wird: Die Lehrperson Käthe lässt sich «anstecken» von einer Kollegin, auch wenn nicht ganz im Sinne der Schulleitung.
Nina-Cathrin Strauss beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Perspektive der Teacher Leaders. Sie gibt einen Einblick in den internationalen und deutschsprachigen Stand der Diskussion zur Frage, wie Teacher Leadership in Schulen realisiert wird. Mit dem Blick auf die Schulpraxis unterscheidet sie die Formen funktions-, themen- und professionsbezogene Teacher Leadership. Anhand