Teacher Leadership - Schule gemeinschaftlich führen (E-Book). Nina-Cathrin Strauss
Problem hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen verteilter Führung, wie auch immer sie definiert wird, und Teacher Leadership ist, dass die Führungspraxis an vielen Schulen noch von Managementvorstellungen geprägt ist. Diese Vorstellungen wirken gegen das «Recht, die Fähigkeit und die Verantwortung der Lehrpersonen, Führende zu sein» (Lambert 2003, 422). Hartley bot eine eher zynische Analyse der Entstehung von verteilter Führung als dem dominierenden Merkmal des Diskurses über Schulleitung an, als er deren legitimierende Funktion hervorhob.
«Wie bei anderen Diskursen über Legitimation, wie ‹Empowerment› und ‹Ownership›, scheint der Begriff der verteilten Führung demokratische Prozesse zu umfassen, aber er macht dies wohl nicht (Woods 2004, 22). Verteilte Führungspersonen erreichen ihre Position nicht als Ergebnis einer Wahl – sie werden ernannt.» (Hartley 2007, 205)
Um auf die bereits zitierte Aussage von Smylie und Mayrowetz (2009) zurückzukommen, soll der Fokus auf die Bandbreite der Praktiken, in denen Lehrkräfte als «Agenten der Schul- und Unterrichtsentwicklung» agieren, gerichtet werden. In manchen dieser Praktiken wird der Begriff «Teacher Leadership» gar nicht genannt. In Russland ist es zum Beispiel üblich, Lehrkräfte, die in ihren Schulen und darüber hinaus sehr einflussreich sind, als «aktive Lehrpersonen» zu bezeichnen (Lindemann-Komarova u. Lapham 2013). Ein weiterer Kontext, in dem Lehrerinnen und Lehrer als Agenten des Wandels agieren, ist, wenn sie sich mit Forschung, insbesondere Aktionsforschung, beschäftigen (Somek 2006). Dieser Trend ist in vielen Teilen der Welt zu beobachten. Dies widerspiegelt sich in der Bandbreite der seit den frühen 2000er-Jahren im «Educational Action Research Journal» veröffentlichten Artikel und in Büchern, in denen Lehrkräfte Fallstudien im Rahmen von Aktionsforschung präsentieren. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, aufzuzeigen, wie Lehrerinnen und Lehrer als Agenten des Wandels agieren, sich an der Entscheidungsfindung beteiligen und selbstgesteuert handeln. Aber was in den meisten Berichten über solche Aktivitäten fehlt, ist die Vorstellung von Führung, wie sie hier skizziert wird.
Der Ausdruck «Teacher Leadership» drückt zumindest aus, dass Lehrkräfte Führung so ausüben, wie das Konzept in der Literatur diskutiert wird. Eine Übersicht über die Forschung in den USA bietet das folgende Zitat:
«Nach Aufarbeitung der gesamten Veröffentlichungen schlagen wir vor, dass Teacher Leadership der Prozess ist, durch den Lehrkräfte individuell oder kollektiv ihre Kolleginnen und Kollegen, Schulleitungen und andere Mitglieder der Schulgemeinschaft beeinflussen, um die Lehr- und Lernpraktiken zu verbessern, mit dem Ziel, den Lern- und Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler zu erhöhen.» (York-Barr u. Duke 2004, 187)
Die Schwierigkeit bei solchen Versuchen, ein Phänomen zu definieren, besteht darin, dass sie zwar alles miteinbeziehen, damit aber Gefahr laufen, die Realität, die sich aus vielen verschiedenen einander teilweise widersprechenden Praktiken zusammensetzt, zu überhöhen. Für mich ist die Schlüsselfrage, ob Teacher Leadership nur für wenige auserwählte Lehrkräfte bestimmt ist oder ob sie als eine Dimension der Professionalität jeder Lehrkraft gesehen werden muss.
Teacher Leadership oder Teacher Leaders?
Zehn Jahre vor dem Review von York-Barr und Duke schrieb Michael Fullan einen Artikel mit dem symbolträchtigen Titel «Why teachers must become change agents» (Fullan 1993b). Dieser Aufruf wurde einige Jahre später durch ein Buch mit dem aufrüttelnden Titel «Awakening the sleeping giant» von Katzenmeyer und Moller (1996) aufgegriffen. Der Nutzen von Teacher Leadership wird unter anderem darin gesehen, dass sie eine positive Wirkung auf die Teacher Leaders selbst habe, indem ihr Selbstvertrauen, ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung und ihr Engagement für den Lehrberuf erhöht werde. Teacher Leadership hat jedoch auch positive Auswirkungen auf die anderen Lehrerinnen und Lehrer. Teacher Leadership unterstützt Lehrkräfte in der Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten und bei der Verbesserung ihres Unterrichts. Und letztlich hat Teacher Leadership auch positive Auswirkungen auf die Effektivität der Schule, indem das Leistungsniveau verbessert wird (Katzenmeyer u. Moller 1996; York-Barr u. Duke 2004). In der zweiten Ausgabe des Buches von Katzenmeyer und Moller (2009) zitieren sie Linda Lambert:
«Alle Menschen haben das Potenzial und das Recht, als Führungsperson zu arbeiten. Führen ist eine anspruchsvolle und komplexe Arbeit, die von jedem Mitglied der Schulgemeinschaft gelernt werden kann. Demokratie definiert klar die Rechte Einzelner, aktiv an Entscheidungen teilzunehmen, die ihr Leben betreffen.» (Lambert 1998, 9)
Lamberts Erklärung entspricht Fullans Argument, dass Lehrpersonen Akteure des Wandels sein sollten. Dabei stellt sich die Frage, ob Teacher Leadership bedeutet, dass einige oder vielleicht alle Lehrkräfte Führung wahrnehmen können oder ob Führung durch Lehrkräfte mit einer formellen Position oder Funktion und der entsprechenden Auswahl verknüpft werden soll. Zur Klärung dieser Frage betrachte ich im Folgenden drei Ansätze: Der erste Ansatz versteht Teacher Leadership im Sinne von formellen Positionen. Damit verbunden ist auch das Phänomen der professionellen Standards. Der zweite Ansatz verfolgt die Idee von informeller Teacher Leadership, und ein dritter Ansatz basiert auf der Idee von der nichtpositionellen Teacher Leadership.
Teacher Leadership und formelle Positionen
Im Vereinigten Königreich ist der über viele Jahre etablierte Management-Ansatz immer weiterentwickelt worden. Heutzutage haben wir an Schulen nicht nur Positionen wie Abteilungsleitung und stellvertretende Abteilungsleitung, sondern auch Key-Stage-Koordinatorin, Koordinator für Alphabetisierung, Leiterin für Sonderpädagogik und viele mehr. Das National College for School Leadership (NCSL) hat ein Rahmenkonzept zur Führungskräfteentwicklung erstellt (NCSL 2001), das die Benennungen der Funktionen verändert hat: Aus «middle management» wurde «middle leadership». Zudem wurden Programme zur Entwicklung einzelner Stelleninhaberinnen und -inhaber entwickelt (Bush 2008). Das Rahmenkonzept führte auch die Idee der «emergent leadership» ein, die darin besteht, dass Personen in mittleren Führungspositionen sich auf einer Karriereleiter auf dem Weg zu einer höheren Führungsposition befinden.
Später wurde eine Reihe von Maßnahmen entwickelt, um Lehrkräfte dazu zu bewegen, sich weiterzuentwickeln. Diese Maßnahmen bestehen meist in Form verschiedener Gehaltsstufen. Wichtig dabei ist, dass das Ernennungsverfahren stets formell ist und eine transparente Ausschreibung der Stelle inner- und außerhalb der betreffenden Schule beinhaltet. Erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten wird normalerweise ein unbefristeter Vertrag angeboten. Hier sind einige Auszüge aus typischen Anzeigen auf einer Rekrutierungs-Website im Vereinigten Königreich, zunächst die Ausschreibung einer Middle-Leadership-Position in einer Sekundarschule:
«Sind Sie eine leidenschaftliche Lehrperson für moderne Fremdsprachen mit den Fähigkeiten und dem nötigen Antrieb, eine wachsende Abteilung zu leiten? Eine zukunftsorientierte Sekundarschule in Hackney sucht nach einer talentierten Leitung der MFL – einer festen Vollzeitstelle –, um ein wichtiges Mitglied ihres mittleren Führungsteams zu werden. […]. Die Schule möchte Interessenten kennenlernen, die mit Selbstvertrauen das Beste von den Mitarbeitenden und den Lernenden erwarten, und die andere und sich selbst herausfordern, um nach den höchsten Standards zu arbeiten. Die Schule möchte jemanden mit einem von Natur aus starkem Gespür für Kommunikation und Organisation und einem Verständnis für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einstellen.»
In dieser Ausschreibung wird explizit die Sprache der Führung verwendet. Fachliche Kompetenz wird vorausgesetzt. Hohe Erwartungen an andere und zwingend vorausgesetzte Führungsqualitäten werden hervorgehoben. Beachten Sie auch, dass es sich um eine Festanstellung handelt, die ein höheres Gehalt als die anderen Stellen für Lehrkräfte mit sich bringt.
Die Ausschreibung einer Middle-Leadership-Position in einer Primarschule lautete:
«Eine führende Primarschule in Brent bietet eine außergewöhnliche Stelle für eine ehrgeizige Primarschullehrperson […]. Haben Sie die Leidenschaft und den Willen, eine Rolle im mittleren Management einer hervorragenden Primarschule zu übernehmen? Verfügen Sie über fundierte Fachkenntnisse im Bereich der Lese- und Schreibkompetenz, und haben Sie den Wunsch, an einer ambitionierten Primarschule eine Rolle in der Führung und im Unterricht zu Literalität zu übernehmen?