Teacher Leadership - Schule gemeinschaftlich führen (E-Book). Nina-Cathrin Strauss
ist Führung eine Dimension des Menschseins. In HertsCam und dem breiteren International-Teacher-Leadership-(ITL-)Netzwerk argumentieren wir, dass sie als ein wesentlicher Teil der Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern anzusehen ist.» (Hill 2014, 74)
Der Ansatz, auf den sich Hill hier bezieht, ist nicht nur deshalb «informelle Teacher Leadership», weil die formelle Position der Lehrperson nicht relevant ist. Von entscheidender Bedeutung ist die Feststellung, dass Führung nicht durch eine Funktion oder durch persönliche Eigenschaften definiert ist – sie ist eine Praxis (Crevani, Lindgren u. Packendorff 2010; Raelin 2016). Die Praxis der Führung beinhaltet zum Beispiel Verhaltensweisen wie die Klärung von Zielen, das Ermöglichen von Dialogen, die Rechenschaftslegung und die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen.
Die grundlegende Methodik der HertsCam-Programme ist die «lehrpersonengeleitete Entwicklungsarbeit». Sie wird folgendermaßen definiert:
«Strategisches, zielgerichtetes und überlegtes Handeln mit dem Ziel, Verbesserungen in der professionellen Praxis herbeizuführen. Es erfolgt in Form von kooperativen Prozessen mit Aktivitäten wie Beratung, Aushandlungen, Reflexion, Selbstevaluation und Überlegungen, die in geplanter Reihenfolge durchgeführt werden.» (Frost et al. 2018, 7)
Wichtig ist, dass dies keineswegs informell ist, sondern dass es sich um eine strategische und geplante Intervention in Form eines gesteuerten Prozesses im zeitlichen Verlauf handelt. Als zweiten Punkt möchte ich aus der Erklärung von Val Hill (2014) herausgreifen, dass das übergreifende Ziel von HertsCam darin besteht, die Entwicklung einer erweiterten Profession zu fördern und zu ermöglichen. In dem bereits erwähnten Artikel von Michael Fullan (1993b), in dem er forderte, dass die Lehrpersonen zu Change Agents werden sollten, gab es eine Verbindung zur Frage der Profession:
«Wir brauchen ein neues Konzept zur Profession von Lehrpersonen, das sowohl das Anstreben von pädagogischen Werten (moral purpose) als auch die Verantwortung für Veränderungsprozesse (change agentry) beinhaltet.» (Fullan 1993b, 2)
Dies ist eine sehr hilfreiche Aussage, obwohl der Begriff «Profession» (professionalism) für einige von uns problematisch ist, da er mit Fragen von Status und Autonomie verbunden ist. Ich halte den Begriff «Professionalität» (professionality) insofern für besser, weil er sich mehr auf die Rolle und die professionelle Identität der Lehrkraft konzentriert. Mit anderen Worten geht es darum, wie Lehrpersonen ihre Identität als Professionelle konstruieren und wie sie sich entscheiden, diese Identität zu verwirklichen. In den 1970er-Jahren schrieb Eric Hoyle (1974) über die Idee der «erweiterten Professionalität», ein Konzept, das er 2008 wieder aufgriff. Dabei beschreibt er jemanden mit erweiterter Professionalität als eine Person,
«die sich um eine Verbesserung der Praxis bemüht durch Lesen und persönliches Engagement für kontinuierliche Professionalisierung, die sich gerne kollegial verhält und die die Unterrichtspraxis in einen größeren sozialen Zusammenhang stellt» (Hoyle 2008, 291).
Hoyles Idee der «erweiterten Professionalität» wird bis zu einem gewissen Grad auch in der Forderung nach «aktivistischem Professionalismus» von Judith Sachs (2003) aufgegriffen. Beide Ideen sind kraftvoll. Bei HertsCam sah man die Notwendigkeit, den Schwerpunkt «Führung» in die Anforderungen zur Professionalität von Lehrkräften aufzunehmen. Wir wollen eine Form der Professionalität, die maximal handlungswirksam ist. Abbildung 1 zeigt eine Grafik, die wir einige Jahre verwendet haben, damit Lehrkräfte ihre berufliche Identität entweder als eine mit den in der linken oder der rechten Spalte aufgeführten Merkmalen konstruieren konnten. Die Verwendung von solchen Instrumenten ermöglicht uns eine explizite Debatte über Professionalität.
Abbildung 1: Ein Diagramm, das alternative Formen der Professionalität in Form einer Reihe als Kontinuum darstellt. Die rechte Spalte stellt einen Modus von Professionalität dar, der mehr ist als die erweiterte Professionalität nach Hoyle (1974). Es ist eine Professionalität, die Führung miteinbezieht (Raelin 2011)
In der rechten Spalte wird eine Art von Professionalität dargestellt, die über die erweiterte Professionalität von Hoyle hinausgeht und stärker auf Führung fokussiert (Raelin 2011). Mit dieser Form von Professionalität sollten sich sowohl angehende Lehrkräfte als auch Verantwortliche der Lehrkräfteausbildung auseinandersetzen. Lehrperson zu werden, ist nicht nur eine Frage des Wissenserwerbs und der Entwicklung von Fähigkeiten für die Unterrichtspraxis; es sollte einen Prozess der Selbstidentifikation beinhalten. Eine berufliche Identität kann nicht einfach nur gelehrt werden; sie kann nicht vorgeschrieben oder durch eine Reihe von professionellen Standards ausgedrückt werden. Identität ist ein komplexes Konzept, und der Prozess der Identitätsentwicklung umfasst eine Reihe von verschiedenen Einflüssen. Dabei spielt natürlich das Element der Sozialisation eine starke Rolle, aber das muss unter der Berücksichtigung von Werten und pädagogischen Prinzipien abgemildert werden.
Der HertsCam-Ansatz zur Unterstützung von Teacher Leadership
Das HertsCam-Netzwerk ist heute eine unabhängige, von Lehrkräften geführte, gemeinnützige Organisation, die sich für eine Umgestaltung des Bildungswesens durch Teacher Leadership einsetzt. Das Netzwerk entstand aus einer Partnerschaft, die in den 1990er-Jahren zwischen der Universität Cambridge und der lokalen Bildungsbehörde von Hertfordshire gegründet wurde. Im Laufe der Zeit wurde es immer unabhängiger, und seit 2013 liegen Betrieb und Leitung von HertsCam vollständig in den Händen von Schulen und Lehrkräften. Die Kernprogramme sind das «Teacher Led Development Work»-Programm (TLDW) und das «MEd in Leading Teaching and Learning»-Programm. Beide Programme sind durch das Networking-Programm miteinander verbunden. Die internationale Initiative für Teacher Leadership hat es HertsCam ermöglicht, mit Partnerinnen und Partnern in mehr als 17 Ländern auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Ziel der Zusammenarbeit ist die gegenseitige Unterstützung beim Aufbau von Programmen zu Teacher Leadership (Frost 2011). Darüber hinaus verfügt HertsCam über einen erfolgreichen Publikationszweig. Ich stelle nun jedes dieser Elemente von HertsCam kurz vor.
Das «Teacher Led Development Work»-Programm (TLDW) ermöglicht es Lehrkräften und anderen Fachleuten, Projekte zu initiieren und zu leiten, um die Effektivität des Lehrens und Lernens an ihren Schulen zu verbessern (Hill 2014). Das Programm nutzt die Methodik der von Lehrkräften geleiteten Entwicklungsarbeit (Frost u. Durrant 2003), die es ihnen ermöglicht, durch die Initiierung, Gestaltung und Leitung von Entwicklungsprojekten Veränderungen zu bewirken. Die Entwicklungsarbeit wird definiert als strategisches, zielgerichtetes und überlegtes Handeln mit dem Ziel, Verbesserungen in der beruflichen Praxis zu erreichen. Sie erfolgt in Form von kooperativen Prozessen mit Aktivitäten wie Beratung, Verhandlung, Reflexion, Selbstevaluation und Deliberation. TLDW arbeitet mit Workshops, die Reflexion, Planung und Critical Friendship anregen. Ein Team von Tutorinnen, Tutoren und erfahrenen Lehrkräften moderiert jeweils in den Workshops und stellt eine Sammlung von Instrumenten zur Verfügung.
Das «MEd in Leading Teaching and Learning» ist ein zweijähriger, berufsbegleitender Masterstudiengang, der sowohl praxisnah ist als auch immer wieder kritisch auf die Praxis blickt. Der Studiengang führt zu spürbaren Verbesserungen der Unterrichtspraxis und zu Fortschritten im beruflichen Wissen (Frost et al. 2018). Dieser Studiengang wird ausschließlich von erfahrenen Lehrpersonen unterrichtet, die sich als wissenschaftliche Fachkräfte verstehen. Sie sind mit der akademischen Literatur vertraut und nutzen sie in ihrer Lehrtätigkeit zur Beleuchtung alltäglicher Berufsprobleme. Die Wissensbasis für den Kurs ist ein übergreifendes Konzept, «Leadership for Learning», das Themen wie pädagogische Führung, Professionalität, Organisationswissenschaft, Pädagogik sowie Projektdesign und -management umfasst. Das MEd-Programm wird von HertsCam durchgeführt und von der Universität Hertfordshire begleitet und fortlaufend evaluiert. Die Zertifizierung erfolgt über die Universität.
Das Networking-Programm umfasst eine Reihe von sechs Netzwerkveranstaltungen, die an Schulen nach dem Unterricht, normalerweise zwischen 16.30 und 18.30 Uhr, durchgeführt werden. Ziel dieser Veranstaltungen ist es, durch Dialog und «kritische Freundschaft» das eigene Wissen zu erweitern (Anderson et al. 2014).