Dürnsteiner Himmelfahrt. Bernhard Görg
Wachzimmer war er natürlich mit Fragen bombardiert worden. Aber er hatte sich wohlweislich zurückgehalten. Er hatte gerade nur so viel erzählt, dass den Kollegen der Mund offenblieb.
Dafür erzählte er am Abend seiner Elfriede alles umso ausführlicher. Wie es ihm gelungen war, den hohen Herrn von seiner Selbstmordtheorie zu überzeugen. Wie alle seine Kritiker ganz kleinlaut geworden waren. Welch ein Triumph! Schade nur, dass er seiner Frau nicht auch den Bericht des Landespolizeidirektors an den Herrn Landeshauptmann zeigen können würde, in dem der Name Felix Frisch besonders lobend erwähnt war. Da er aber sicher war, bald ein allerhöchstes Dankschreiben in Händen zu halten, nicht weiter schlimm. Ein paar Tage würde sich seine Elfriede halt noch gedulden müssen.
Heute war sein freier Tag. Da war der Tagesablauf streng geregelt. Den Vormittag verbrachte er nach wohlverdient spätem Aufstehen auf der Couch vor dem Fernseher in Erwartung des Schweinsbratens, den er sich zur Feier des Tages von Elfriede gewünscht hatte. Außerdem kredenzte sie ihm zum Nachtisch als Überraschung einen Apfelstrudel. Sie war eine Meisterin darin, dem Boden des Apfelstrudels genau die richtige knusprige Festigkeit zu geben, wenn sie sich bemühte. Diesmal hatte sie sich bemüht. Beim Test der Konsistenz konnte er den Boden des Apfelstrudels unter dem Druck seiner Gabel knistern hören. Offenbar war sie diesmal wirklich stolz auf ihn.
Nach der Mittagsruhe fuhr er dann wie immer zur Autowäsche am öffentlichen Waschplatz in der Kremser Au. Sein Skoda Octavia, der jetzt schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, glänzte noch immer wie neu. Das verdankte das Auto der vorbildhaften wöchentlichen Pflege durch seinen Besitzer, die sich unter anderem dadurch auszeichnete, dass er dabei nur ausgesuchte Markenprodukte verwendete. Obwohl ihm seine Elfriede ständig in den Ohren lag, auf billigeren Schaum und preiswerteres Wachs umzusteigen. Natürlich ließ er am Waschplatz die ein oder andere Bemerkung über seine Rolle bei der Entdeckung der wahren Todesursache des Kunsthändlers fallen. Aber selbstverständlich so diskret, dass ihm nur bösartige und neidische Zeitgenossen den Vorwurf der Übertreibung hätten machen können. Was ohnehin nie seine Sache gewesen war.
Als er gerade seine Kühlerhaube polierte, sah er eine Person daher radeln, mit der er schon seine Erfahrungen gemacht hatte. Jedenfalls war er keinesfalls erpicht darauf, mit der Dame ins Gespräch zu kommen.
Was Josefa Machherndl, die ihn offensichtlich ebenfalls erspäht hatte, nicht daran hinderte, auf ihn zuzusteuern.
»Herr Gruppeninspektor, welche Freude, Sie zu sehen. Meine Spione haben mir berichtet, dass Sie gestern in ganz geheimer Mission in einem Weingarten auf meinem Gemeindegebiet unterwegs gewesen sind. Darf man fragen, was der Gegenstand dieser Geheimmission gewesen ist?«
Felix Frisch konnte nicht umhin, höchst angetan zu sein. Eigentlich gegen seinen Willen. Aber erstens hatte ihn die pensionierte Gemeindesekretärin ganz korrekt als Gruppeninspektor angesprochen, was leider allzu selten vorkam. Zweitens merkte er, dass sich die anderen Autobesitzer, die hier eine eingeschworene Gemeinschaft bildeten, neugierig nach ihm umdrehten. Und drittens war er angetan, weil die Formulierung ›geheime Mission‹ fast nach James Bond klang. Daher wollte er gegenüber Frau Machherndl nicht unhöflich sein. Aber er würde ihr nicht so viel verraten wie seinen Freunden hier vorhin. Denen zwinkerte er jetzt zu, bevor er sich an die ehemalige Gemeindesekretärin wandte: »Sie sind ja erstaunlich gut informiert. Allerdings bin ich wirklich in geheimer Mission unterwegs gewesen. Daher sind meine Lippen verschlossen wie ein Grab.« Ein paar Momente ließ er Frau Machherndl zappeln und genoss das wissende Grinsen seiner Freunde. Dann beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte: »Ich sage nur … Selbstmord.« Mit dieser Information würde sie ohnehin nichts anfangen können.
Donnerstag, 23. Juni 19 Uhr 14
Nach dem Heurigenbesuch hatten Walpurga und er noch einen ausgedehnten Verdauungsspaziergang durch die Weinberge gemacht. Er konnte sich nicht erinnern, sich je mit einer Frau so lange und so gut unterhalten zu haben. Dabei war die Zeit wie im Nu verflogen. Aber je mehr es gegen Abend ging, desto unruhiger wurde er. Denn das hier wurde ernst. Viel schneller, als er erwartet hatte. Auf dem Weg zurück zum Wagen hatte sie sich bei ihm eingehängt. Das war ihm sehr angenehm, aber gleichzeitig war er etwas überrumpelt. Er wusste nicht, wie der Abend noch enden würde. Als sie dann zum Auto kamen, war aus der Unruhe bereits ein mulmiges Gefühl geworden.
Vor der Abfahrt aus St. Pölten hatte er vorsichtshalber das kleine, graue Wollknäuel aus seinem Nabel herausgefischt, das sich dort alle paar Tage bildete. Ohne dass er eine Ahnung hatte, woher es kam. Da war er sich noch wie ein junger Draufgänger vorgekommen. Bereit, seine Flamme im Sturm zu erobern.
Auf der Rückfahrt hingegen war er gar nicht mehr in Draufgänger-Stimmung; im Vergleich zum Nachmittag ziemlich wortkarg. Als sie ihm dann kurz vor St. Pölten ihre Adresse nannte, bekam er einen richtigen Bammel. Fieberhaft dachte er darüber nach, wie er dem offensichtlich Unvermeidlichen doch noch entgehen konnte. Zwar hatte er sich beim Trinken zurückgehalten. Aber fit fühlte er sich keineswegs. Der Abend würde in einer Blamage für ihn enden. Ein Königreich für einen Anruf seiner Chefin, mit dem sie ihn dringend aufforderte, sofort noch einmal ins Büro zu kommen. Leider kam kein Anruf.
Noch fünfhundert Meter bis zu ihrer Wohnung. Spencer verlangsamte die Geschwindigkeit fast bis zum Schritttempo. Hinter ihm hupte jemand. Der Chefinspektor verspürte gute Lust anzuhalten und den Drängler zur Rede zu stellen. Um sich dabei so in Rage zu reden, dass auch die liebestollste Frau Verständnis dafür haben würde, dass heute nichts mehr ging. Er verwarf den Gedanken aber gleich wieder und mahnte sich zur Gelassenheit. Irgendwann würde dieser entscheidende Moment so oder so kommen. Noch vierhundert Meter. Noch dreihundert. Noch zweihundert. Er tat so, als ob er die Parklücke hundertfünfzig Meter vor dem Ziel übersehen hätte. Er hätte sich aber lächerlich gemacht, wenn er die nächste, zweihundert Meter dahinter, wieder nicht bemerkt hätte. Jetzt musste er wenigstens ein perfektes Einpark-Manöver hinkriegen. Aber auch das misslang.
Da spürte er ihre Hand auf seinem Oberschenkel. »Du brauchst gar nicht einzuparken. Ich kann gleich hier rausspringen. Es war ein großartiger Nachmittag. Danke.« Sie küsste ihn auf die Wange. »Wenn du willst, kannst du übermorgen zum Frühstück vorbeikommen. Morgen geht es leider nicht.«
Spencer hoffte inständig, dass sie seine Erleichterung nicht mitbekam. Stattdessen mimte er verständnisvolle Enttäuschung. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Zum Frühstück komm ich gern. Wann ist es dir denn recht?«
Freitag, 24. Juni 14 Uhr 04
Nach seinem Gespräch mit Frau Haberl in Krems, das ihm Doris aufgetragen hatte, war er wieder zurück in St. Pölten und steuerte von roter Ampel zu roter Ampel auf das Präsidium zu. Eilig hatte er es nicht. Heute spielte es keine Rolle, ob er ein paar Minuten früher oder später im Büro seiner Chefin erschien. Heute brauchte er ohnehin Zeit für sich, um sich zu sammeln. Ob sie die Sache mit Walpurga wohl jetzt ansprechen würde? Heute früh war er deswegen schon um halb acht ins Büro gekommen, um vor ihr da zu sein. Er wollte keine Zeit verlieren und ihre Fragen zu Walpurga sofort beantworten. Er hatte sich sogar ans Fenster gestellt, um ihre Ankunft nicht zu übersehen. Keine drei Minuten, nachdem sie ihren Wagen abgestellt hatte, war er wie immer unaufgefordert in ihr Büro gegangen. Er hatte fest damit gerechnet, dass sie entweder direkt oder zumindest indirekt auf seinen gestrigen Besuch beim Heurigen zu sprechen kommen würde, und war dann doch enttäuscht, dass sie es nicht tat. Sie hatte so getan, als sei gar nichts. Ohne sich lange mit Small Talk aufzuhalten, hatte sie ihn über ihr Gespräch mit dem Landeshauptmann informiert, verbunden mit der Bitte, sich noch im Lauf des Vormittags mit Frau Haberl in Verbindung zu setzen und wenn möglich gleich zu ihr nach Krems zu fahren. Zu diesem Gespräch hatte sie ihn genau instruiert und ihn auch gebeten, den Akt samt Obduktionsbericht noch einmal selbst genau zu studieren. Das hatte er selbstverständlich getan. Die Witwe hatte er um halb elf in ihrem Haus besucht und mit ihr ein ebenso langes wie intensives Gespräch geführt. Fast eine ganze Stunde lang. Da war er auch ganz konzentriert gewesen und hatte nicht an Walpurga gedacht. Erst auf der Rückfahrt waren die Gedanken an sie und an das Frühstück, das ihm am morgigen Samstag bevorstand, wiedergekommen. Er würde ausgiebig duschen und frische Semmeln mitbringen, so viel wusste er schon. Aber sonst wusste er nichts. Das machte ihn leicht nervös. Gerne hätte er