Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn. Raimund Allebrand

Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn - Raimund Allebrand


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Printausgaben und Hörbüchern erzielte der Comedian seit dem Jahr 2006 eine Gesamtauflage von mehr als vier Millionen Exemplaren. Damit ist dieser Erlebnisbericht das meist verkaufte deutschsprachige Sachbuch überhaupt, sozusagen das Buchereignis der letzten Jahre.

      Über Kerkelings Reiseziel und den Weg durch Spaniens Nordwesten nach Santiago de Compostela wird man hier jedoch nicht unbedingt klüger. Allerdings ist das Buch flüssig geschrieben und stellt geringe Ansprüche an die Konzentration des Publikums, somit die ideale Bettlektüre. Den mehrfach preisgekrönten Verfasser hat man im Fernsehen mit teils köstlichen Persiflagen erlebt, als sympathischer Entertainer sind seine Popularitätswerte bei Unterhaltungssendungen garantiert, deshalb empfiehlt sich sein Pilgerbuch auch als Geschenk im Freundeskreis: Donnerwetter, Jakobsweg, hätte man gar nicht erwartet vom Hape!

      Aus einem anfänglichen Geheimtipp wird somit ein millionenfacher Bestseller und allein die Tatsache dieser flächendeckenden Präsenz sorgt bereits für Gesprächsstoff. Ein Band, dessen Verbreitung mit dem Telefonbuch und der Bibel konkurrieren kann, muss nahezu unverzichtbar sein. Das Phänomen des Buchautors Kerkeling verdient deshalb einige Beachtung.

      Weniger allerdings der Inhalt einer Publikation, die mit dem Symbolwert der Pilgerstraße spielt, ohne ihre historische oder spirituelle Dimension ernst zu nehmen. Nicht etwa der vermeintlich in Santiago de Compostela begrabene Patron des katholischen Spanien wird hier zum Motiv eines beschwerlichen Fußweges, sondern ein Fernsehstar auf der Suche nach sich selbst – der allerdings seinen Urlaub auch anderswo verbringen könnte. Entsprechend erfährt der Leser so gut wie nichts über Spanien und seine historische oder aktuelle Szenerie. Nach überstandener, bald kurz- und bald langweiliger Lektüre weiß er hingegen so manches über einen postmodernen Pilger, der in erster Linie Geschmack findet an der Wirkung seiner eigenen Person.

      Kerkeling outet sich als sogenannte Couch-Potato und erwartet von sich keine sportlichen Höchstleistungen. Auf dem Pilgerweg will er die Folgen eines Hörsturzes überwinden, der ihn zeitweise aus der Bahn geworfen hat. Einzelne Etappen der rund 750 Kilometer langen Wegstrecke legt er aber lieber mit dem Automobil zurück. Pilgerunterkünfte für das gemeine Volk sind seine Sache nicht, er bevorzugt bessere Hotels; schließlich will er sich verständlicherweise für die körperliche Anstrengung des Tages abends nicht bestrafen.

      Städte, Dörfer und Landschaften des vielseitigen spanischen Nordens spielen bei ihm keine Rolle, noch weniger Kirchen und Klöster, wie sie Kulturtouristen eifrig frequentieren: Auf dieser Bühne will er nicht auftreten. Stattdessen widmet er seine Aufmerksamkeit den Menschen und Weggenossen, die ihm während des Marsches begegnen und ihn streckenweise begleiten. Und natürlich seinen Impressionen, der Reaktion des eigenen Körpers auf die ungewohnten Beschwerden des Wanderns und zahlreichen Fragen an sich selbst. Hat man ihn wohl hier oder dort als Prominenten erkannt?

      Sein erheblicher Bekanntheitsgrad ist ihm Lust und Last, denn schließlich will er dem Gegenüber als Mensch begegnen, als Pilger unter seinesgleichen. Fühlte sich die Kanadierin gestern von ihm angemacht oder hat sie ihn heute als Schwulen ausgemacht, was den Umgang erleichtern könnte? Den deutschen Spießern von der letzten Mittagsrast will er jedenfalls nicht wieder begegnen. So gehen die Tage hin und füllen sich die Buchseiten.

      Mit wenigen Episoden der Schilderung, die ausdrücklich ernst und besinnlich werden, ist der Leser nicht eben überfordert. Auf einem Pilgerweg sollte man ja auch an Gott denken, was immer das sein mag. Im heimatlichen Religionsunterricht hat er davon einiges gehört, aber liegt Gott nicht eher in uns selbst? Und was er wohl von mir denken mag, wenn er mich hier wandern sieht?

      In einigen Buchzeilen zeigt sich Kerkeling tatsächlich innerlich berührt, wenn er etwa am Beispiel einer Krebserkrankung auf den Tod zu sprechen kommt. Dass sich die Christenheit über Gott und die Welt und die letzten Dinge seit zweitausend Jahren den Kopf zerbrochen hat und dabei zu Ergebnissen kam, ist ihm aber ziemlich schnuppe. Denn nichts Genaues weiß man lieber nicht, sonst wäre Glauben ja Wissen und damit überflüssig. Außerdem hat das womöglich unerwünschte Nebenwirkungen. Also vertraut man besser auf den inneren Kompass der eigenen Ahnung, die uns sagt: Irgendwie ist da was, und dahin bin ich unterwegs.

      Ist das alles, was einer auf 350 Seiten über sich zu sagen hat? Denn über anderes als die eigene Person spricht er ja selten in diesem Reisebericht.

      Kerkelings flüssig erzählte Erlebnisschilderung gerät zu einer Mischung von Ausgleichssport, Zufallsbekanntschaften und einer tieferen Bedeutung, die sich bald im Banalen verliert. Ein wochenlanger Fußmarsch bietet dazu reichlich Anlass, wenn mürrische Gastwirte, skurrile Weggenossen und lädierte Fußsohlen farbig geschildert werden: Jakobsweg light, Pilgerschaft als zeitgemäße Kulisse einer Selbstbespiegelung, die aufgrund der Prominenz des Autors mit millionenfacher Beachtung rechnen darf.

      Wenn sich etwa Lieschen Müller beim Wandern eine Blase läuft, so handelt es sich um eine Banalität, die man eher schamhaft nur im engsten Freundeskreis erzählt. Geschieht ebendies jedoch einem sogenannten Prominenten, wird ein vorübergehender Muskelkrampf schnell zum Kulturereignis.

      Doch wird der Leser auf Kerkelings Weg durchaus mitgenommen, denn was ihm widerfährt, könnte jedem von uns ebenfalls geschehen. Nicht das Außergewöhnliche oder Einzigartige scheint hier mitteilenswert, sondern das, was jedem passiert und was im Grunde jeder schon weiß oder ahnt. In diesem Sinn läuft Hape Kerkeling als pilgernder Marathon-Man auf internationalem Asphalt stellvertretend für Deutschland.

      Anders steht es etwa um den Bergsteiger und Autor Reinhold Messner, der in seinen Büchern über extreme Erfahrungen berichtet und uns darüber staunen lässt, wozu ein Mensch, aus welchen Motiven auch immer, fähig ist. Von ihm sind wir aber meilenweit entfernt und wir werden ihn niemals einholen, schon gar nicht auf einem Achttausender. Wenn jedoch Kerkeling, der sympathische Prominente von nebenan, nur das erlebt, was auch ich so ähnlich erleben kann, dann bin ich selbst dadurch ebenfalls ein Stück weit prominent.

      Deshalb macht es nichts aus, wenn Kerkeling am Ende nichts Besonderes zu sagen hat, denn ich hätte auch nicht mehr zu berichten aus diesem Wanderurlaub auf den Spuren mittelalterlicher Pilger, und dieses Wenige wird gleichsam geadelt von Kerkeling. Durch die Lektüre des Buches erfahren auch wir durchschnittliche Leser den Ritterschlag einer gewissen Prominenz. Hier überschneidet sich das Interesse des Autors mit dem seines Publikums, was vielleicht erklären mag, warum ein Buch mit wenig Inhalt viel gelesen wird oder zumindest weit verbreitet ist.

      Daneben beruhen dieser Effekt und sein Erfolg auf dem kurzen Gedächtnis eines Medienbetriebs, der sich der authentischen Bedeutung des Pilgerwegs nicht erinnern kann, weil der historische Zusammenhang dem europäischen Kulturbewusstsein abhandenkam. Ihrer Hintergründe entkleidet steht die jüngst erst wiederentdeckte Pilgerstraße recht plötzlich im grellen Scheinwerferlicht einer postmodernen Sinnsuche, deren Bedarf an Wertorientierung immer verzweifelter wird. Der Camino als Symbol einer längst vergessenen Spiritualität signalisiert zumindest die Ahnung einer einstmals vertikal verankerten Gesinnung, die über die eigene Person hinaus weist.

      Gewiss waren die mittelalterlichen Pilger aus mancherlei Gründen unterwegs zum Ende der damaligen Welt; in zeitgenössischen Berichten sind diese Anlässe gut dokumentiert. Die lange Wanderung nach Santiago verspricht seit dem Hochmittelalter vor allem die Vergebung von Sündenstrafen, daneben spielen allerlei Ziele eine Rolle: Handel und Wandel, Tourismus, soziale und erotische Erfahrungen fernab heimatlicher Zwänge. Die Suche nach sich selbst zählt allerdings durchaus nicht unter diese oftmals recht weltlichen Motive. Der Sinn des Lebens steht seinerzeit außer Frage, und der spirituelle Kompass weist nicht auf die eigene Person, sondern in die Vertikale.

      Demgegenüber geht man heute wie selbstverständlich davon aus, dass sich der Wanderer am Pilgerweg irgendwie auf der Suche befindet. Unterwegs-Sein heißt demnach, ein Ziel suchen, im Zweifelsfall einen Sinn, zumindest aber einen Weg zu sich selbst. Oder eben: Der Weg ist sein eigenes Ziel. Dieses Konzept des Pilgerns als Sinnfindung steht in klarem Gegensatz zur traditionellen Bedeutung eines Pfades, dessen Sinn man nicht erfragen musste, weil sein Ziel jedem bekannt war.

      Wer nicht weiß, wohin er will, darf sich nicht wundern, wenn


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