Nix wie Zores!. Topsy Küppers

Nix wie Zores! - Topsy Küppers


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unverbindlichem Lächeln erklärte mir mein Lektor, dass meine Leserschaft von mir auch ganz persönliche Erfahrungen erwarte. Oh! Tun sie das? Fragte ich mit überraschtem Augenaufschlag? Weil ich aber eine harmoniesüchtige Person bin, krame ich in meinem neunzigjährigen Gehirnkastl, und notiere für Sie, für Dich, für Euch ganz spontane, unfrisierte Lebensweisheiten.

      Erlebnisse oder Begegnungen mit anderen Menschen erzählen oder schildern, ist eine Begabung, die vielen Autoren abhandengekommen ist. Ich probiere es trotzdem, denn es sind Situationen, die man nicht erfinden kann. Jeder definiert den Begriff ZORES anders. Einer schreibt: »Schwierigkeiten!« Ein anderer sagt: »Große Probleme!«

      Meine Freundin Margot Mendelsohn sagte vor vielen Jahren zu mir: »Man kann nicht früh genug anfangen, Altwerden zu üben!« Also übte ich, »alt zu werden …«

      Wenn man sein Leben auf der Bühne verbracht hat, kommen automatisch dichterische Aussprüche in den Sinn.

      Zum Beispiel, wenn Grillparzer seine Sappho sagen lässt: »Ach, die Gewohnheit ist ein lästig Ding! Selbst an Verhasstes fesselt sie!«

      Also lernte ich, mich zurückzulehnen, um das verhasste politische und gesellschaftliche Treiben zu beobachten.

      Man schmeichelt mir: »Sie sehen wunderbar aus!«

      »Danke, Sie auch!«, antworte ich höflich. Ach, du liebe Zeit! Ich weiß doch, wie ich aussehe.

      Mein Gesicht ist von einem Netz von Falten überzogen. Madame Plissee, die Vielfältige, das wäre jetzt die richtige Rolle für mich!

      Auf meinem Handrücken tummeln sich Altersflecken und mein Fuß zeigt Anzeichen von einem Hallux.

      Ich nehme diese Alterssignale bewusst, aber nicht verzweifelt auf.

      Sie zeigen nur: Ich habe gelebt – gelacht – geliebt!

      Vor vielen Jahren fing ich an, in meinem Herzen einen Vorrat an glücklichen Gedanken zu speichern. Einfach, um mich zu wappnen. Wann immer ich mit Gehässigkeiten, Lügen und Intrigen konfrontiert war oder bin, öffne ich meine kleine Herzkammer und kann lächeln, was immer auch gerade passiert.

      Ich liebe die Werke von Michel de Montaigne! Irgendwo sagt er: Wer im Alter ohne Schmerzen ist, hat die Pflicht, glücklich zu sein!

      Alt werden ist kein Verdienst. Es ist eine Gnade. Ich erinnere an die heute fast hundertjährigen Menschen, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten Hunger sowie schreckliche, körperliche und seelische Qualen erleben mussten.

      Ein Leben ohne Leid gibt es nicht. Aber wie kann man sich aufrichten? Mit Alkohol? Mit Drogen? Mit Globuli? Mit sinnvollen Therapien? Mit sinnlosen Affären? In den Buchhandlungen stapeln sich Ratgeber für alle Lebenslagen, die ich nach dem österreichischen Sprichwort »Hilft’s nix, schadt’s nix« einordne.

      Wie ich einem schönen Inder hörig wurde!

      Anfang der 1960er-Jahre war ich am Züricher Schauspielhaus engagiert. Es war ein eisiger Winter. Der Zürichsee zugefroren, die Vorstellungen waren gefährdet, und das halbe Ensemble erkältet. Ich war es gewöhnt, schwanger, fiebrig, mit Muskel- oder seelischen Schmerzen aufzutreten, aber diesmal war meine Nase verstopft und meine Stimme so gut wie unhörbar.

      Mein wunderbarer Kollege Harry Tagore riet mir, einen Mann namens Yesudian zu kontaktieren, einen Inder, der Hatha Yoga lehrte. Skeptisch folgte ich seinem Ratschlag, für den ich ihm bis heute dankbar bin.

      Der Yogi, übrigens ein bildhübscher, junger Mann, sprach Englisch und zeigte mir einige Übungen der Bauchatmung. Ich machte sie sofort und problemlos nach. Ihn überraschte das, doch für korrekt ausgebildete Sänger und Schauspieler ist die Bauchatmung die Basis für den Klang der Stimme. Ohne Bauchatmung keine Stimmführung. Ach, würden doch die Schönen in den Medien diesen Hinweis ernst nehmen.

      Jedenfalls verneigte sich die indische Schönheit freundlich und sagte: »Wir versuchen Shirshasana, die Königsübung. Wenn die Übung gelingt, üben Sie bitte dreimal täglich fünf Minuten. Damit kniete er nieder, atmete tief ein und aus, und stieg leicht wie eine Feder in den Kopfstand. Ich staunte. Sein Kopf ruhte vor seinen gefalteten Händen.

      Ich bewunderte die Schönheit seines ebenmäßigen Körpers, als er genau so leicht wie er aufgestiegen war, wieder zu Boden glitt. Er lächelte. »Shirsha ist Sanskrit und heißt Kopf«, sagte er. Es heißt Kopfstand, nicht Handstand. Unwissende glauben, bei der umgekehrten Körperhaltung könnte eine Ader im Gehirn platzen. Diese Behauptung kann niemand bestätigen. Ein Gehirnschlag kann uns nur dann treffen, wenn unsere Lebensfunktionen bereits gestört sind.

      Ich verstand. Nicht das Sportliche der üblichen Trainingseinheiten war angesagt, keine abgewinkelten Arme, kein heftiges Hochschwingen, kein Zappeln, bis die Senkrechte erreicht war. Ich putzte mir sicherheitshalber die Nase. »Ich kann das nicht!«

      Er tat, als habe er mich nicht verstanden, und deutete auf die Wand. Ich kniete nieder, legte meine Hände zusammen und vor den Kopf. Leicht und elegant wie Yesudian wollte ich meine Beine hochziehen. Ich war vierzig und tänzerisch trainiert. Vergeblich. Ich zappelte wie ein Maikäfer, der auf dem Rücken liegt.

      Mit leiser Stimme sagte Yesudian: »Work easy …« Damit schlang er einen weißen Seidenschal um eines meiner Fußgelenke und hob langsam das dazugehörige Bein hoch, bis der Fuß die Wand berührte. Ich war verblüfft. Ohne dass ich etwas verändert hatte, war mein rechtes Bein automatisch auch hochgestiegen und berührte ebenfalls die Wand. Ich kann nicht sagen, wie lange ich Shirshasana machte. Ich spürte nur eine ruhige Sicherheit in mir. Yesudian sagte: »So langsam wie Sie aufgestiegen sind, kommen Sie jetzt in die kniende Stellung zurück. Wenn Sie umfallen wie ein Mehlsack, ist Shirshasana wirkungslos. Er führte mein Bein mit dem Schal behutsam zurück auf den Boden. Das rechte Bein folgte wieder und ich kniete vor der Wand. Leise sagte Yesudian: »Bleiben Sie am Boden und legen Sie Ihre Fäuste übereinander und Ihre Stirn einige Minuten auf Ihre Fäuste. Er berührte leicht meine Schulter und reichte mir Papiertaschentücher. Aus meiner Nase kamen Bergwerke.

      Danach atmete ich frei und wurde Yesudians gelehrige Schülerin! Jahrzehntelang praktiziere ich Sirscha und denke bei anstrengenden Proben immer an Yesudians »Work easy!«

      Wer tief empfindet, leidet auch tiefer!

      Es gibt die Momente, Situationen, in denen wir fragen: »Warum ich? Wieso ich? Ich bin schlank, lebe gesund, nehme keine Medikamente, warum trifft es mich?« Bei mir lautete die Diagnose Krebs. Es war ein Tumor im Darm.

      Manchmal schüttet das Schicksal seinen Leidenssack sogar über zwei Personen gleichzeitig aus. Während ich mich durch das volle medizinische Programm quälte, bekam auch mein Mann eine bedrückende Diagnose. Er war ein starker Raucher. Der Arzt meinte lakonisch: »Herr Kommerzialrat, Sie haben keine Lunge, sondern ein Brikett im Körper.« Er musste sich einer schweren Operation unterziehen. Einige Tage vor Weihnachten des betreffenden Jahres holte ich ihn aus dem Spital.

      Wer je zu Silvester einen geliebten Menschen sterbend im Arm gehalten hat, während der Lärm von Silvesterraketen, das Läuten der Pummerin und »Prosit Neujahr«-Rufe die Nacht erfüllten, wird niemals mehr ein neues Jahr begrüßen können.

      Mehrere Jahre lang lag Shirshasana und »Work easy« in der Mottenkiste. Man sagt: Die Zeit eilt – teilt – heilt!

      Wer diesen Spruch erfunden hat, hat nie geliebt …

      Dennoch nahm ich irgendwann meine Matte und übte wieder Shirshasana.

      Zorn hat vier Buchstaben, aber auch das Herz! Vier Buchstaben hat das Leid, aber auch das Lied!

      Meine Medizin ist die Musik. Chopin tröstet, Mozart beglückt, Sinatra lenkt ab, und der mit Preisen ausgezeichnete Schweizer Liedermacher Roger Stein singt das, was wir uns immer sagen sollten: »Sagt mir, woran misst man Wahrheit? An dem, was war, an dem, was wird …«

      Jedes Wort hinterlässt


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