Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA. Willy Obrist

Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA - Willy Obrist


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Frage kreist das Buch, das Sie in Händen halten. Ein bemerkenswertes Buch, in verschiedener Hinsicht: Zunächst, weil die Autor/innen sich um präzise, verständliche Begriffe bemühen: Kompetenz ist für sie nicht ohne Ressourcen zu haben – nicht ohne Wissen, Fertigkeiten und Haltungen –, den direkten Weg zur »Kompetenz« gibt es nicht. So verstandene Kompetenzen sind aber keine leeren Instrumente: Da gibt es kein Können ohne Inhalte, kein Stricken ohne Wolle.

      Ressourcen hingegen können mit mehr oder weniger Aufwand erworben werden; sie lassen sich aufbauen, trainieren, festigen. Man kann sie in konkreten Situationen erproben und gezielt kombinieren – und schließlich auch testen. Was also kompetenzorientierten Unterricht ausmacht, ist, dass er überlegt die Ressourcen aufbaut, die es braucht, um kompetent zu handeln und zu lernen, und dass er Gelegenheiten schafft, Ressourcen an authentischen Fragen zu erproben und zu nutzen. Und dass er all dies gezielt und absichtsvoll tut.

      Wie, das erfahren Sie hier von vier ausgewiesenen Praktiker/innen. Die Autor/innen wissen genau, wovon sie sprechen, das ist aus jeder Zeile zu spüren. Sie verbinden ihre Überlegungen mit einem kompakten Modell von gutem Unterricht, das sich auf die Erkenntnisse der Lernpsychologie stützt und dabei immer alltagstauglich bleibt.

      Das Buch richtet sich primär an Lehrpersonen und Ausbildungsverantwortliche der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe. Es hält aber auch für Lehrende in tieferen Stufen manche Erkenntnis bereit und ist für alle Ausbilderinnen und Ausbilder gedacht, denen kompetenzorientiertes Unterrichten ein Anliegen ist.

      Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre – und beim Erproben des vorgeschlagenen Wegs zu kompetenzorientiertem Unterricht.

      Im Frühjahr 2013

      Beat Wenger

      Rektor Gewerblich-industrielles Bildungszentrum Zug

      Präsident BCH/FPS

      Einführung

      Kompetenzen und Ressourcen

      Lehr- und Bildungspläne sind heute meist auf Kompetenzen ausgerichtet, über die Lernende am Ende ihrer Ausbildung verfügen sollten. Im Bildungsplan für Automobil-Mechatroniker/innen sind so neben den geforderten fachlichen Kompetenzen, die präzise aufgefächert werden, auch Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen beschrieben, die weit über das Fachliche hinausgehen. Die typische Formulierung lautet: »Automobil-Mechatroniker, Automobil-Mechatronikerinnen können …« – nämlich Arbeitsabläufe ziel­orientiert, systematisch und effizient gestalten und bewerten, sich selbstständig Informationen beschaffen und sie nutzen, Geduld und Ausdauer bei Diagnosen und anspruchsvollen Reparaturarbeiten zeigen, mit Termindruck und Belastungsspitzen umgehen oder Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Auffassungen akzeptieren – und so weiter.1 Nach diesem Modell ergibt sich (berufliche) Handlungskompetenz aus dem Zusammenspiel von Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen.

      In einem anderen Modell arbeiten die Ausbilder/innen im Gesundheitswesen oder in der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie. Ausgangspunkt sind hier typische Situationen, die im beruflichen Alltag bewältigt werden müssen. Nach diesem Modell sind Fachleute zu kompetentem und adäquatem Handeln in der Lage, wenn sie über bestimmte Ressourcen verfügen – über Wissen (Kenntnisse), Fertigkeiten und Haltungen. Diese Ressourcen bilden die – teils in der Ausbildung erworbene, teils bereits vorhandene –

      Grundausstattung, die benötigt wird, um den beruflichen Alltag zu meistern.

      Wie wir uns das Zusammenspiel der Ressourcen konkret vorstellen müssen, lässt sich am besten an einem Beispiel zeigen: Eine Friseurin berät eine Kundin, die sich Gedanken über eine Haarfärbung macht.

      Zunächst spielen die Haltungen eine Rolle. Grundsätzlich muss die Friseurin daran interessiert sein, die Kundin optimal zu beraten und deren Wünsche zu erfüllen. Gleichzeitig muss sie auch einen gewissen Geschäftssinn entwickeln und daran interessiert sein, Dienstleistungen zu verkaufen. Aber bleiben wir zunächst bei der Beratung: Die Friseurin braucht viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl; sie muss spüren, ob die Kundin ihre Haare überhaupt färben oder ob sie doch eher zu ihren weißen Haaren stehen will. Sie muss dabei die eigenen Vorlieben zugunsten derjenigen der Kundin zurückstellen. Sie muss Verantwortung übernehmen und die Kundin ehrlich über die Konsequenzen einer chemischen Farbveränderung informieren.

      In ihrer Verantwortung liegt es anschließend auch, das optimale Mittel zu wählen und ihre Arbeit korrekt und sorgfältig auszuführen. Dabei kommen ihre Kenntnisse und Fertigkeiten ins Spiel.

      Die Friseurin muss zunächst die unterschiedlichsten Mittel und Verfahren für Farbveränderungen kennen; sie muss der Kundin deren Möglichkeiten und Grenzen aufzeigen und aufgrund ihrer Wünsche das richtige Mittel wählen (Kenntnisse). Um das Produkt korrekt anwenden zu können, muss die Friseurin Anwendungshinweise verstehen. Sie muss wissen, welche Konsequenzen ein Nichteinhalten der Einwirkzeit haben kann. Sie muss ebenfalls verstehen, dass es je nach Situation verschiedene Auftragetechniken gibt. Sie muss also Überlegungen anstellen, um welche Situation es sich im vorliegenden Fall handelt.

      Hat sich die Friseurin für eine Auftragetechnik und ein Produkt entschieden, kommen ihre Fertigkeiten zum Zug. Beim Mischen der Farbe berücksichtigt sie die ­genauen Anwendungshinweise und trägt sie sorgfältig und korrekt auf. Der Kreis zu den Haltungen schließt sich, indem die Friseurin Verantwortung für die sorgfältige Ausführung und das Einhalten der Einwirkzeit übernimmt.

      Unser Kompetenzverständnis

      Ganz ähnlich wie im eben skizzierten Beispiel verstehen wir in diesem Buch Kompetenz als Fähigkeit, bewusst Ressourcen – also Wissen, Fertigkeiten und Haltungen – zu aktivieren und kreativ und funktional miteinander zu kombinieren, um konkrete Situationen erfolgreich zu meistern (in Abbildung 1 sind diese Zusammenhänge dargestellt; vgl. auch Ghisla/Kolb 2003, S. 11–14; Euler 2009, S. 33–35).

      Dabei konzentrieren wir uns hier bewusst auf den schulischen Bereich – und verlieren dabei gleichzeitig nie aus dem Blick, dass das, was in der Schule vermittelt und gelernt wird, nur ein Teil dessen ist, was es zu »beruflicher Handlungskompetenz« braucht, dem Ziel jeder beruflichen Ausbildung. Umgekehrt ist ganz wesentlich, dass das Wissen, die Fertigkeiten und Haltungen, die sich Lernende am Arbeitsplatz im Betrieb aneignen, ständig in den Unterricht eingebettet, nutzbar gemacht und reflektiert werden. Unterricht soll stets bei den Erfahrungen der Lernenden anknüpfen – im besten, produktivsten Sinne.

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      Ein paar allgemeine Bemerkungen zu den drei Typen von Ressourcen:

      Wissen: Wissen lässt sich häufig in Aussagesätzen fassen. Diese Art von Wissen wird als deklaratives Wissen bezeichnet (Kaiser 2005, 2008). Die Lernenden müssen zum Beispiel Fachbegriffe kennen, deren Bedeutung verstehen und Zusammenhänge zwischen ihnen nachvollziehen und benennen können. Dieser Typus von Wissen beschränkt sich indessen nicht auf sachliche Inhalte. Auch bei den Arbeits- und Lerntechniken ist deklaratives Wissen wesentlich: Die Lernenden erwerben Kenntnisse über mögliche Vorgehensweisen, einen möglichen Arbeitsablauf. Das genügt freilich nicht. Sie müssen auch wissen, wie man sich einer Technik bedient (»Wissen, wie«, prozedurales Wissen, vgl. Euler/Hahn 2007, S. 109). Und weiter müssen sie wissen, wann und unter welchen Umständen man eine bestimmte Arbeits- und Lerntechnik mit Gewinn einsetzt. Solches Expertenwissen, das Handeln in der konkreten Umsetzung steuert, bezeichnen wir als konditionales Wissen. Zur Ressource Wissen gehört schließlich das Wissen über sich selbst als Lernende/n (fachliches Vorwissen, Lerngewohnheiten, eigenes Lernstrategierepertoire), über die Lernsituation (Metzger 2001, S. 43) und über Aufgaben und Aufgabentypen (Büchel/Büchel 2009, S. 33–38). Solches Wissen bezeichnen wir als Metawissen.

      Fertigkeiten: Die Lernenden müssen ihr Wissen auch in bestimmten Situa­tionen anwenden können;


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