Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA. Willy Obrist

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gezielt geschult werden und mit der Zeit in Fleisch und Blut übergehen.

      Haltungen: Als Haltungen bezeichnen wir die inneren Einstellungen eines Menschen, seine Werte und Normen. Haltungen prägen das Handeln wesentlich mit. Beispiele für Haltungen in diesem Sinne sind etwa Verantwortungsbewusstsein, Einfühlungsvermögen, Toleranz und Interesse am Umfeld.

      Aus diesem Begriffsverständnis leiten wir für unser Buch folgende Regeln ab:

      1) Werden bei kompetentem Handeln Ressourcen gebündelt, müssen diese Ressourcen schon vorhanden sein – im Unterricht werden sie also zunächst aufgebaut, weiterentwickelt und systematisiert.

      2) Kompetentes Handeln ist immer situationsbezogen – und jede Situation ist anders. Situationen lassen sich allerdings auch typisieren und konstruieren. Dies sind für die Ausbildung im schulischen Bereich zentrale Annahmen.

      Wie lassen sich nun Kompetenzen im konkreten Unterricht fördern ? Welche didaktischen Maßnahmen führen zu welchem Ergebnis? Durch welche methodischen Settings lassen sich welche Ressourcen gezielt aufbauen, fördern, anwenden und evaluieren? Diese Fragen beantworten wir mit diesem Buch.

      Kompetenzorientiert unterrichten

      Aus unserem Konzept von »Kompetenz« (→ Abbildung 1) ergibt sich ein einfaches didaktisches Grundmuster: Im kompetenzorientierten Unterricht werden 1) gezielt Ressourcen aufgebaut, und es werden 2) Gelegenheiten geboten, in denen die Lernenden (wenn auch vielleicht nur übungshalber) Kompetenz beweisen, kompetent handeln können – in denen sie Ressourcen also »bewusst aktivieren«, »kreativ und funktional bündeln« und in der Umsetzung Erfahrungen sammeln können. Im Unterricht werden »Situationen« geschaffen, die genau dies erlauben. Dazu setzen die Lehrpersonen ganz gezielt bestimmte methodische Settings ein.

      Zwei Präzisierungen dazu, auf die in diesem Buch immer wieder Bezug genommen wird:

      1) Beim Aufbau von Ressourcen und bei der Förderung der Kompetenzen lässt sich stets ein »direktes« und ein »indirektes« Vorgehen unterscheiden.

      2) Ein kompetenzorientierter Unterricht kann immer aus zwei Perspektiven beschrieben und analysiert werden: von der Außenseite, die als Verlauf von Unterricht zu erkennen ist, und in einer Innensicht, die sich auf den Lernprozess selbst bezieht, den Aufbau von Ressourcen.

      Direktes und indirektes Vorgehen

      Beim direkten Vorgehen ist es die Lehrperson, die vorgibt, welche Ressourcen für das Bearbeiten einer vorgegebenen Situation benötigt werden. Bildlich gesprochen: Die Puzzleteile werden den Lernenden einzeln präsentiert; die Lehrperson zeigt, wie die Teile zusammenpassen, mit welchem Wissen und welchen Fertigkeiten sie eine Situation meistern können. In solchen Settings ist das Vor- und Nachmachen ein wichtiger metho­discher Zugang. Mithilfe von Lehrmitteln zum Thema »Lernen lernen« oder konkreten Arbeitsanweisungen erhalten die Lernenden Einblick in verschiedene Vorgehensweisen und entwickeln gezielt Ressourcen. Mit der Zeit entsteht für sie aus den einzelnen Teilen ein Ganzes. Nachdem ihnen die Instruktion der Lehrperson den Weg gewiesen hat, sind sie allmählich in der Lage, eine vorgegebene Situation planmäßig anzugehen und selbst zu meistern. Solch schrittweises, durch die Lehrperson gelenktes Vorgehen ist dann sinnvoll, wenn die Lernenden noch über wenig Ressourcen verfügen oder wenn die Ausbildungssituation den Einsatz ganz bestimmter Ressourcen voraussetzt.

      Beim indirekten Vorgehen wird den Lernenden lediglich eine komplexe Situation vorgegeben. Sie versuchen autonom, die Situation mit den vorhandenen Ressourcen zu analysieren und herauszufinden, wie ein Problem gelöst werden kann. Aufgrund der Analyse wird festgehalten, welche Ressourcen in den Feldern »Wissen«, »Fertigkeiten« und »Haltungen« allenfalls noch zu erwerben, zu optimieren oder zu hinterfragen sind. Im Anschluss an die Analyse wird im Team das weitere Vorgehen geplant, werden die nächsten Schritte definiert. Beim indirekten Vorgehen ist also bereits zu Beginn das ganze Bild ersichtlich; die Lernenden können jeden weiterführenden Schritt stets mit der zu lösenden Situation in Verbindung bringen und versuchen, sie aus eigener Kraft zu meistern, ohne dass die Lehrperson mit methodischen Vorgaben eingreift.

      Selbstverständlich markieren die Begriffe direktes und indirektes Vorgehen nur die Eckpunkte eines Kontinuums – im konkreten Unterricht sind stets auch Zwischenformen und Übergänge denkbar. Darüber hinaus lassen sich die beiden beschriebenen Verfahren ergänzen: durch isoliertes, eingebettetes oder kombiniertes Training von Lerntechniken und Arbeitsstrategien (Dubs 2009, S. 261). Beim isolierten Training werden eigenständige Unterrichtseinheiten zur Förderung bestimmter Techniken und Strategien eingeschaltet, wie sie in manchen Lehrplänen bereits vorgesehen sind. Beim eingebetteten Strategie- und Kompetenzentraining wird in den Lehrplänen ausgeführt, welche Kompetenzen mit welchen Inhalten oder Leistungszielen in Verbindung gebracht werden können. Selbstverständlich lassen sich die verschiedenen Formen bei der Gestaltung konkreten Unterrichts auch mischen.

      

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      Welches Vorgehen kommt wann zum Zug? In einer Klasse von Lernenden, die über wenig Vorwissen verfügen, werden wir zunächst den direkten oder gelenkten Weg einschlagen, aber immer mit dem Ziel, zum indirekten Vorgehen zu wechseln, sobald die Lernenden dazu bereit und motiviert sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Haltung der Lehrperson. Die Lernenden sind eher dazu bereit, sich gezielt auf die Förderung von Kompetenzen einzulassen, wenn die Lehrperson sinnvolle Aufgaben und Probleme stellt und immer wieder darauf achtet, die Lernenden in diesem Prozess sorgsam zu begleiten. Zudem entscheiden bei den Lernenden motivationale Faktoren, ob sie überhaupt dazu bereit sind, ihre Lern- und Arbeitsgewohnheiten anzupassen (vgl. dazu die Ausführungen auf Seite 23).

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      Wie können Lehrpersonen bei der Planung konkret vorgehen? Wie lassen sich Ressourcen nachhaltig aufbauen? Die Unterscheidung einer äußeren und einer inneren Seite von Unterricht liefert dazu wertvolle Hinweise.

      Die innere und die äußere Seite von Unterricht

      Es gibt zwei mögliche Sichten auf kompetenzorientierten Unterricht, die innere und die äußere Sicht. Die Außensicht zeigt, mit welchen Methoden oder Arbeitsweisen die Ressourcen in der konkreten Ausbildungssituation aufgebaut oder entwickelt werden können. Die Lehrperson bestimmt aufgrund ihrer Erfahrung und des Vorwissens der Lernenden, welcher Weg zweckmäßig ist, und überlegt sich dabei, ob eher direktes oder indirektes Vorgehen angebracht ist. Beispiele finden sich in den folgenden Kapiteln.

      Entscheidend für die nachhaltige Förderung von Ressourcen ist aber die innere Sichtweise, der Blick auf den eigentlichen Lernprozess, den die Lernenden durchlaufen. Hier kommen lernpsychologische Erkenntnisse ins Spiel – unser AVIVA©-Phasenmodell für kompetenzorientierten Unterricht, das dem Ablauf von Lernprozessen nachempfunden ist (wir kommen im nächsten Kapitel ausführlich auf das Modell zurück).

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      Kompetenzorientiert zu unterrichten, bedeutet also, kurz gefasst, dass wir den Lernenden den Weg mit verschiedenen Methoden vorgeben und dabei auf den Lernweg achten, das heißt, die genannten fünf Phasen bei der Planung und Durchführung von Unterricht sorgfältig berücksichtigen. Ideal ist es, wenn die Lernenden im Verlauf der Ausbildung die bestehenden und neu erworbenen Ressourcen zunehmend selbstständig miteinander kombinieren und so neue Herausforderungen und unbekannte Situationen autonom meistern können.


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