Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA. Willy Obrist

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Bereich immer das selbstgesteuerte Lernen – der »kompetente Lernende«, der das eigene Lernen angemessen planen kann, der es überwacht und steuert und seine Lernmotivation aufrechterhalten kann – der schließlich bereit ist, »lebenslang zu lernen«.

      Was braucht es dazu? Was zeichnet erfolgreich Lernende aus?

      Auf dem Weg zum selbstgesteuerten Lernen

      Lernen – auch schulisches Lernen – ist ein komplexes Geschehen, dessen wesentliche Aspekte (vgl. Reinmann-Rothmeier/Mandl 2006) im Unterricht immer berücksichtigt werden müssen:

      1. Lernen ist ein aktiver Prozess, an dem die Lernenden selbst maßgeblich beteiligt sind. Sie müssen Lernmotivation und ein situatives Interesse entwickeln.

      2. Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess. Die Lernenden sind für die Steuerungs- und Kontrollprozesse selbst verantwortlich, wobei das Ausmaß ihrer Beteiligung beim direkten oder beim indirekten Vorgehen variiert. Lernen ohne jegliche Selbststeuerung ist nicht denkbar.

      3. Lernen ist ein konstruktiver Prozess und baut immer auf vorhandenen Ressourcen auf. Ohne entsprechenden Erfahrungs- und Wissenshintergrund und ohne eigene »Aufbauleistung« finden keine nachhaltigen kognitiven Prozesse statt.

      4. Lernen ist ein situativer Prozess, der stets in spezifischen Kontexten erfolgt. Situationen ermöglichen die konkreten Lernerfahrungen und liefern einen Interpretationshintergrund für die Bewertung der Ressourcen.

      5. Beim Lernen sind die emotionalen Prozesse von großer Bedeutung. Viel Einfluss haben die leistungsbezogenen und sozialen Emotionen, vor allem auch im Hinblick auf die Motivation.

      6. Last but not least ist Lernen auch ein sozialer Prozess. Lernen geschieht häufig in der sozialen Interaktion und am Modell – wobei keineswegs nur Ausbilderinnen und Ausbilder das »Modell« sein müssen – sehr oft übernehmen auch die Peers diese Rolle, die Gleichaltrigen, die Mitlernenden.

      Beim Lernen kommen ferner verschiedene Strategien zum Zug: kognitive und metakognitive Strategien, über die jemand verfügt, aber selbstverständlich auch motivationale Strategien. Ganz bewusst sprechen wir in diesem Zusammenhang von Strategien – es geht um komplexe Denk- und Arbeitsweisen und nicht um bloße Techniken. Strategien werden mit Absicht und gezielt eingesetzt; sie werden in ihrer Wirksamkeit kontrolliert und bei Bedarf angepasst.

      Diese drei Strategie-Komponenten sind wie die Schichten einer Zwiebel ineinandergefügt (vgl. Abbildung 4).

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      Die kognitiven Strategien bilden die innerste Schicht des Zwiebel-Modells: Unter kognitiven Strategien verstehen wir all jene Prozesse, die unmittelbar mit der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Information zu tun haben. Dabei unterscheiden wir Oberflächenstrategien, die hauptsächlich auf Reproduktion von Wissen ausgerichtet sind – etwa auswendig lernen, einen Text mehrmals lesen und sich den Inhalt einprägen usw. –, und Tiefenstrategien, die man einsetzt, wenn man die zu erlernenden Inhalte wirklich verstehen, Wichtiges von Unwichtigem trennen oder Zusammenhänge aufdecken will.

      Tiefenstrategien sind zum Beispiel:

      • den Inhalt eines Abschnittes in eigenen Worten wiedergeben,

      • die wichtigsten Punkte aus einem Text herausschreiben und ordnen

      • und daraus eine eigene Zusammenfassung erstellen,

      • die Sachverhalte bildhaft darstellen,

      • sich zum Inhalt eine praktische Anwendung vorstellen,

      • Neues mit Inhalten verknüpfen, die bereits früher gelernt wurden,

      • zum Lernstoff eine eigene Gliederung anfertigen,

      • aus dem Text systematisch Schlussfolgerungen ziehen.

      Wenn die Lernenden an den Inhalten interessiert sind und das Erarbeitete mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen können, dann besteht die Chance, dass sie sich nicht auf oberflächliches Lernen beschränken, sondern »der Sache auf den Grund gehen« wollen und Tiefenstrategien einsetzen.

      Mit metakognitiven Strategien steuern die Lernenden ihr Lernen selbst. Sie können zum Beispiel Ziele formulieren, selbstständig eine Gliederung erstellen, mögliche Stolpersteine vor der Ausführung der Arbeit erkennen und sich selbst kontrollieren, aber auch abschätzen, was nötig ist, um möglichst ökonomisch zu arbeiten.

      Beispiele für metakognitive Strategien sind:

      • sich bewusst ein Ziel setzen und überlegen, wie viel Anstrengung es braucht, es zu erreichen,

      • eine Arbeit planen oder ein Problem in Teilprobleme unterteilen,

      • sich klarmachen, ob man das Gelernte wirklich verstanden hat, und allenfalls nachfassen, das heißt, einen Satz oder Abschnitt noch einmal lesen,

      • sich beobachten, ob man beim Lernen bei der Sache bleibt und nicht abschweift,

      • überprüfen, ob man das Wichtigste auch behalten hat,

      • gezielt Pausen machen und über den Lernprozess nachdenken,

      • Schlussfolgerungen zum eigenen Lernen ziehen,

      • die Zeit im Auge behalten,

      • den Aufbau des zu bearbeitenden Stoffes analysieren,

      • bei Unklarheiten in den Unterlagen oder anderen Büchern nachschlagen.

      Zentral für den Lernerfolg ist die äußerste Schicht der Zwiebel, die Motivation. Darunter verstehen wir die Bereitschaft der Lernenden, sich auf den Weg zu machen und auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben. Ob ein Lernender sich gut motivieren kann, hängt u.a. davon ab, ob er sich selbst realistische Ziele zu setzen vermag, ob er es schafft, die eigene Stimmung positiv zu beeinflussen, das eigene Interesse am Thema zu wecken, zu erhalten und sich Erfolgserlebnisse zu verschaffen (Metzger 2008, S. 15–18). Motivation ist der Wille, sich in einer konkreten Lernsituation intensiv und ausdauernd mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen (vgl. Wild/Hofer/ Pekrun 2006). Im Unterricht ist in diesem Sinne namentlich das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit, nach Autonomie und sozialer Eingebundenheit (Zughörigkeit, Wohlfühlen, Sicherheit, Unterstützung) wirksam. Dass solche Bedürfnisse im Unterricht befriedigt werden, ist die Grundbedingung für ein produktives und subjektiv bedeutsam erlebtes Lernen (Messner/Niggli/Reus­ser 2009, S. 154).

      Ein Beispiel aus der Praxis

      Dass unser Modell praxistauglich ist, zeigt ein Beispiel aus dem Unterricht.

      Sie alle kennen die Situation: Ein Thema wurde in der Klasse sorgfältig erarbeitet; jetzt steht die Prüfung an. Möglicherweise haben Sie Ihre Lernenden in dieser Phase auch schon einmal gefragt, wie sie sich auf die Prüfung vorbereiten. Von Robin, einem Auszubildenden im ersten Lehrjahr, stammt die folgende Antwort:

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      Offensichtlich kennt Robin ein breites Spektrum von kognitiven Strategien, die man bei der Vorbereitung auf eine Prüfung einsetzen kann. Er möchte Oberflächenstrategien (durchlesen/anschauen/auswendig lernen) und Tiefenstrategien einsetzen (sich Notizen machen/Text gut verstehen). Er will sein Vorgehen planen und kontrollieren (jeden Tag eine Stunde anschauen/ jeden Tag mit Freunden lernen/überlegen, ob man alles richtig hat). Auch scheint er motiviert, sich der Herausforderung zu stellen (jeden Tag lernen/mit Freunden lernen).

      Aufgrund der Liste allein können wir aber nicht wissen, ob Robin alle diese Strategien auch wirklich beherrscht, wie gut und wirkungsvoll er sie zu Hause einsetzt und ob er sich


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