Im Netz der Beziehungen. Alexander von Schlieffen

Im Netz der Beziehungen - Alexander von Schlieffen


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      Aus dem ursprünglichen Reflex der Nahrungsaufnahme entsteht der Drang des Haben-Wollens. Kinder stecken das, was sie ertasten, in den Mund, um es über die Haptik zu verifizieren. Später, in der Auseinandersetzung mit anderen Kindern, wollen sie die Dinge haben und reagieren sauer, wenn man ihnen etwas wegnimmt. Hier beginnen die ersten Revierkämpfe. Etwas als sein Eigen bezeichnen zu können ist eine Abgrenzungsmaßnahme. Ich bin, was ich habe lautet das Motto des 2. Hauses.

      Kinder bauen das, was sie haben, konzentrisch um sich herum auf. Niemand darf etwas berühren oder gar verschieben. Das Sein wird über das Haben definiert.

      So ist es auch später bei den Erwachsenen. Was haben wir denn in Wirklichkeit? Nur der Körper ist unser Eigentum.

      Alles Weitere, was wir haben, um es zu besitzen, ist bereits eine Abstraktion von diesem ursprünglichen Eigentum. In Wirklichkeit können wir gar nichts anderes besitzen als unseren Körper. Jeder Besitz außerhalb des Körpers ist eine Weiterführung dieses ursprünglichen Besitzverhältnisses hinaus in die Welt, wo es jedoch eigentlich keinen wirklichen Besitz geben kann. Besitz in der Welt ist lediglich eine Vereinbarung. Wir werden in unserem Körper geboren und können nichts Materielles mitnehmen, wenn wir wieder gehen werden. Darin zeigt sich ein Sicherungstrieb, dessen Ursprung das Haben des Körpers ist. Wir «verkörpern» Stücke von Welt, machen sie uns zu «leibeigen».

      Also zeigt das 2. Haus, was wir zu unserer Existenzsicherung bedürfen. Die Beziehung zum eigenen Leib spiegelt sich in der Nahrungsaufnahme und im Umgang mit Besitz. Der Leib ist das Einzige, was wir haben und wieder verlieren werden – wir wissen also um dessen Endlichkeit. Im besonderen Besitzverhalten jedes Einzelnen von uns spiegelt sich demnach sein Verhältnis zum Tod. Besitz ist folglich ein Bollwerk gegen den Tod und die Sinnlichkeit eine Kampfansage an die Endlichkeit alles Stofflichen.

      Aus der Notwendigkeit ist Gier geworden. Immer bleibt das kleinkindliche Gefühl, nicht genug zu bekommen. Das Grundgefühl für das Notwendige ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist wie bei Dagobert Duck: Je mehr er hat, desto wahnsinniger wird er in seiner Vorstellung, alles verlieren zu können. Was brauchen wir wirklich? Zuviel dessen, was man nicht benötigt, engt ein, macht unbeweglich. Jemand, der zu viel isst, wird zu fett.

      Warum gibt es in dieser Zeit besonders bei Frauen so oft Essstörungen? Die Nahrung wird nach dem Essen wieder ausgekotzt, damit man als Frau den krankhaft mageren Vorbildern aus der Werbung entspricht. Gleichzeitig muss man aber zehn Lebensversicherungen abgeschlossen haben, in einer Villa wohnen und wenigstens einen Porsche fahren, um sicher davor zu sein, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt? Was sagt das über die Selbstachtung der Menschen einer Gesellschaft aus?

      In der dritten Phase der Entwicklung fängt das Kind an zu krabbeln, es richtet sich auf und beginnt dann zu gehen. Es erkundet seine Umgebung und will die Funktionen der Gegenstände begreifen. Dieses Wort ist wörtlich zu nehmen, denn es geht um das Anfassen, das Umfassen und das Umgreifen, respektive Begreifen. Dies ist nur mittels des Gegendruckes, welcher durch den Daumen ausgelöst wird, möglich. Die Hand ist also ein wunderbares Symbol für das 3. Haus. Am Gegenstand erfährt das Kind dessen Funktionen und dabei auch diejenigen seiner eigenen Hand. Alle Grundwerkzeuge sind in der Hand enthalten: Hammer, Zange und Schraubenzieher.

      Mit der Hand kann man etwas tun, etwas bewirken, etwas umformen, etwas gestalten. Sie ist die Grundlage des sich aufbauenden Selbstbewusstseins in dieser und auch in späteren Lebensphasen. Mit der Hand und den anderen Werkzeugen des Leibes kann man nicht nur schaffen, sondern vor allem, im ursprünglichsten Sinne, Nahrung besorgen, auf die Jagd gehen oder vor Jägern flüchten. Der gesamte Bewegungsapparat ist meine Werkzeugkiste.

      Ich bin, was ich kann. In einer Zeit, in der Kinder zu früh an der Computertastatur oder vor Bildschirmen sitzen, bilden sie ihre angelegten Möglichkeiten und Anlagen nicht mehr aus. Das Potenzial versiebt im Kopf. Daher haben viele Jugendliche, die nichts «können», Probleme mit ihrer Aggression.

      Die Ausbildung und Förderung der angelegten Anlagen ist wichtig für die Entwicklung einer selbstbewussten Persönlichkeit. Die Werkzeuge sind eine Gabe, wie ein Talent. Das alleine reicht aber noch nicht, um damit zum Erfolg zu kommen. Dazu gehört auch noch der Wille zur Umsetzung und Auffassungsgabe.

      Eine Gesellschaft, in der echtes Talent keinen Wert darstellt, sondern mittelmäßige Selbstdarsteller zu talentierten Superstars erhöht werden, entzieht sich die Grundlage, auf lange Sicht noch echte Substanz zu schaffen. Denn dafür braucht es Begabungen und keine virtuellen Superstars.

      Betrachtet man den 1. Quadranten als Einheit, so beginnt er mit kardinalem Feuer, es fehlt das Element Wasser. Der 1. Quadrant ist ichbezogen und alle drei Phasen haben einen aggressiven Unterton. Im 1. Haus ist es die körperliche Grundspannung, aus welcher die Art des persönlichen Kampfgeistes hervorgeht. Im 2. Haus geht es um das Haben. Man beobachte die Aggression des Kindes, wenn ihm etwas weggenommen wird. Bei Erwachsenen ist dies vielleicht etwas besser getarnt, aber im Grunde genauso vorhanden. Im 3. Haus geht es um den Drang nach Bewegungsfreiheit. Wird diese einem Lebewesen genommen, weil es auf der Flucht feststeckt oder gefesselt ist, so löst dies Panik und Aggression aus (nur bei hinzukommenden Mars/ Pluto- oder Venus/Pluto-Spannungen führt das zu Lustgewinn).

      Die Einordnung in das Gefüge

      Im 1. Quadranten geht es um die körperliche Grundkonstitution des «Ich». Diese Grundkonstitution ist das «rohe Material» der Persönlichkeit. Dies erfordert nun einen Schliff, eine Sozialisation, um Gruppentauglichkeit zu entwickeln. Wer nicht gruppentauglich wird, der bleibt ein Einzelgänger. Zur Gruppentauglichkeit gehören Mitgefühl, Zusammengehörigkeit und Loyalität (4. Haus), der Kampf um die Selbstbehauptung im Rudel (5. Haus) und vor allem die Fähigkeit, sich in ein Gefüge einzuordnen (6. Haus). All dies lernen wir idealerweise in der Familie. In der Familie entwickelt der Einzelne die Fähigkeit, sich als Bestandteil eines Wir zu begreifen und sich entsprechend seiner Rolle oder Aufgabe diesem Gefüge zur Verfügung zu stellen.

      Daher gehört die gesamte Familie in den 2. Quadranten. Traditionellerweise stehen die Mütter für den inneren Zusammenhalt (4. Haus), der Vater für die Leitwolfposition (5. Haus). Durch die Geschwister lernen wir, unsere Rolle im Gefüge zu akzeptieren, auch wenn uns das nicht gefällt (6. Haus). Durch die Geburtenabfolge der Geschwister wird eine «Hackordnung» vorgegeben, in welcher der Einzelne kraft seiner Position in der Geschwisterfolge seine Rolle innehat.

      Die Familie kann man sich nicht aussuchen, man wird in sie hineingeboren. Man gehört dazu, ob man die Familienmitglieder mag oder nicht. Man ist verbunden, ob man das mag oder nicht. Man erlebt die positiven und die negativen Aspekte von Nähe.

      Vielleicht hat das alles einen Sinn? Wie wäre es, wenn man in eine Familie hineingeboren werden würde, in der alles und alle so sind, wie es einem gefällt? Vielleicht würde man sich dann gar nicht so entwickeln können, wie es sein soll? Vielleicht hat es einen Sinn, dass der Einzelne in eine Familie geboren wird und es dort lernen muss, sich mit Menschen zu organisieren, die er nicht gewählt hat?

      Im 2. Quadranten hat man keine Wahl!! Man muss sich arrangieren. Dafür stehen aber auch die Verbundenheit und die Dazugehörigkeit nicht auf dem Spiel. Um diese muss man dann im 3. Quadranten kämpfen, denn dort sind sie nicht garantiert.

      Vielleicht braucht es eine Reibung, damit der einzelne Mensch sozial kompatibel werden kann. Wo sonst muss man lernen Kompromisse einzugehen, wenn nicht mit Menschen, mit denen man sich nicht immer einig ist. Mit wem streitet man sich am meisten? Wo ist die Rivalität am größten? Mit den Geschwistern natürlich. Man kann sich sogar hassen, aber die Verbundenheit bleibt. Auch Hass verbindet, daher sollte man sich grundsätzlich im Leben überlegen, ob es sich lohnt, jemanden


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