Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg

Dürnsteiner Puppentanz - Bernhard Görg


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weniger als ein Gesamtkunstwerk.

      Während des Sichtens der Angebote hatte er mehrmals an seine Mutter denken müssen. Vor mehr als dreißig Jahren hatte sie sich von ihrem Mann ebenfalls einen Kochkurs schenken lassen. Damals mussten die Teilnehmer noch Messer und Schürze selbst mitbringen. Jetzt bekam man nach Absolvierung des Kurses nicht nur die Schürze als Präsent, sondern ein Kochbuch des jeweiligen Meisters noch dazu. Plus einer Urkunde über den erfolgreichen Abschluss des Kurses, die den gezeigten Fotos nach zu schließen aufwändiger gestaltet war als seine Promotionsurkunde.

      Ihm wäre ja am liebsten ein Kurs für italienische Küche gewesen. Weil er sie besonders gern mochte. Aber ein solcher Kurs war in ganz Österreich nicht zu finden. Außerdem hatte seine Doris protestiert. Sie würde es nie wagen, Gästen italienische Küche zu servieren. Die würde in Italien doch am besten schmecken. Oder zur Not auch bei einem Italiener, den es nach Österreich verschlagen hatte.

      Letztlich war die Entscheidung nach Rücksprache mit Doris auf das Angebot eines jungen Wachauer Spitzengastronomen gefallen. Dieser versprach den Kursteilnehmern, bei ihnen ein untrügliches Gespür für die ideale Harmonie von Zutaten zu wecken. Das würde für die Kochkünste seiner Frau und vor allem für seine eigenen den meisten Mehrwert bringen. Heute war der große Tag. Er saß startklar am Sofa im Wohnzimmer.

      Doris hingegen hatte er vorhin noch unter der Dusche singen gehört. Haare waschen gehörte zu ihrer samstäglichen Routine. Er mochte ihre halbnassen Haare, die sie noch jünger aussehen ließen, als sie ohnehin war. Was er allerdings nicht mochte, war Verspätung. Er sah auf die Uhr. Kurz nach neun. Noch war keine Eile geboten. Der Kochkurs startete erst um zehn Uhr. Aber viel Spielraum gab es nicht mehr. Für die Fahrt von St. Pölten nach Joching mussten sie vierzig Minuten rechnen. Wo blieb sie denn nur?

      Da hörte er, dass sie im Arbeitszimmer telefonierte. Ihrer Tonlage nach zu schließen musste es ein ziemlich heftiges Gespräch sein. Soweit er seine Frau verstehen konnte, schien es um die Schaufensterpuppe zu gehen, die gestern Nachmittag von der Strompolizei in Krems geborgen worden war.

      Die Geschichte mit der Puppe kannte er wegen des Anrufs, den sie gestern Abend von ihrem Stellvertreter erhalten hatte. Der gute Spencer. Wirklich nicht zum Anschauen. Aber seine Doris schwor auf ihn. Und er mochte Spencer auch.

      Sie riss die Tür zum Esszimmer auf. »So eine blöde Kuh! Da bin ich so nett, rufe sie extra an. Sage ihr, dass da doch keine Leiche in der Donau war. Nur eine Schaufensterpuppe. Da fängt sie an zu schimpfen. Dass ich unfähig bin, wenn ich mich auf Idioten verlasse. Dass die Strompolizei bekanntermaßen das polizeiinterne Abstellgleis für alle Idioten ist. Ich hab natürlich dagegengehalten. Hab sie ruhig gefragt, wie sie zu der Meinung kommt, dass dort alle unfähig sind. Da sagt sie mir mit einem Unterton, der an Süffisanz nicht zu überbieten ist: Inspektor Felix Frisch ist zur Strompolizei versetzt und mit offenen Armen aufgenommen worden.«

      »Sie scheint sich bei der Kremser Polizei gut auszukennen«, kommentierte er.

      »Weiß der Himmel, woher sie diese Information mit dem Frisch hat. Habe nicht einmal ich gewusst, dass sie den zur Strompolizei versetzt haben.«

      »Ist dieser Inspektor Frisch wirklich ein Idiot?« fragte er.

      Sie nickte. »Kann man wohl sagen. Aber eine Schaufensterpuppe wird er ja doch von einer Leiche unterscheiden können.«

      Er zuckte mit den Achseln. »Lass’ dir von der Machherndl den Tag nicht versauen. Es gibt halt Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als im Mist anderer Leute zu stierln. Solltest du am besten wissen.«

      »Du hast ja Recht. Aus. Schluss. Ich werde das ganze Wochenende nicht mehr an sie denken.« Sie ließ sich zu ihm aufs Sofa fallen. »Wie würdest du mich denn heute am liebsten sehen?«

      »Am liebsten natürlich nackt.«

      Doris spitzte ihre Lippen, beugte sich zu ihm und gab ihm einen leichten Kuss auf die Nasenspitze. »Erich Lenhart, du alter Schleimer. Ich meine, was ich anziehen soll?«

      »Auf alle Fälle ganz leger. Ich würde sagen, bequeme Hose und ein leichter Pullover. Und ganz flache Schuhe. Du wirst dir nämlich dort die Füße in den Bauch stehen.«

      Erich merkte an der Miene seiner Frau, dass sie mit seiner Empfehlung nicht recht zufrieden war.

      »Du wärst auch in Sack und Asche die strahlende Königin jeder Küche.«

      »Also gut. Schlabberlook. Auf deine Verantwortung.«

      Samstag, 17. April 10 Uhr 10

      Der Anblick der Küche erschlug sie. Mindestens fünfzig Quadratmeter nichts als blitzender Edelstahl. Acht Kochinseln mit gewaltigen Gasherden. In den von der Decke hängenden Oberschränken Töpfe und Pfannen in allen Größenordnungen. Sie hatte ja schon viele Küchen gesehen. Von anderen Restaurants und Hotels. Aber nicht so etwas. Diese Küche hatte wirklich was gekostet. High-Tech, wohin sie schaute. Nur die Messer, die penibel nach Größe gereiht auf einem magnetischen Ständer auf jedem Arbeitstisch griffbereit standen, schienen ihr auf den ersten Blick Low-Tech zu sein. Bei genauerem Hinsehen bemerkte sie allerdings Schleifspuren auf allen Messerblättern. Wahrscheinlich waren sie gefährlich scharf.

      Sie riss sich vom einschüchternden Anblick der Küche los und nahm die anderen Kursteilnehmer in Augenschein. Wenig überraschend: Mindestens drei Viertel von ihnen waren Frauen. Die vier männlichen Teilnehmer wirkten fast deplatziert. Es überraschte sie allerdings, dass sich die wenigsten Teilnehmerinnen an die tollen Bekleidungstipps ihres Erich zu halten schienen. Abgesehen von zwei älteren Damen waren alle so herausgeputzt, als würden sie sich gleich an einen festlich geschmückten Tisch setzen wollen, um ein von hilfreichen Geistern zubereitetes und serviertes Fünf-Gänge-Menü zu verzehren. Wobei ihre Anstrengungen einzig und allein darin bestehen würden, die kunstvoll gefaltete Serviette über dem Rock auszubreiten und das Silberbesteck in ihre zarten Hände zu nehmen.

      Natürlich waren die Dirndln in der Überzahl. Kein Wunder bei einem Kochkurs in der Wachau. Aber es waren keine gewöhnlichen Dirndln. Jedenfalls nicht solche, wie sie Doris Lenhart kaufte. Hier waren Dirndln von Nobelmarken das untere Limit. Die meisten waren allerdings maßgeschneidert. Sündteuer. Das sah sie auf den ersten Blick.

      Eine der Damen trug zwar nur ein Nobelmarken-Dirndl, dafür aber eine ungewöhnlich tief ausgeschnittene Bluse. Viel fehlte da nicht, und die Brustwarzen wären freiliegendes Ziel der allgemeinen Bewunderung geworden. Ganz schön schamlos. Dazu eine blonde Haarpracht, die in makellosen Wellen auf die Schultern herabfiel. Hier wollte jemand unbedingt die strahlende Königin des Tages sein.

      Doris blickte sich kurz um. Zu dieser Dame schien kein Mann zu gehören. Das würde sich im Lauf des Kurses ändern, davon war sie überzeugt. Jede Wette. Diese Frau hatte etwas vor. Wobei abgesehen vom Chefkoch von den vier anwesenden nur zwei Herren als Bewunderer in Frage kamen. Von vornherein schied der ältere Herr aus, der schon sehr nach Großvater aussah und neben einer ebenfalls sehr großmütterlich wirkenden Frau stand, die noch legerer gekleidet war als sie selbst. Und ihr Erich.

      Natürlich inspizierte sie auch die Schuhe der Damen. Zwei flache Paare, einmal sogar Turnschuhe, und der Rest waren Schuhe mit Absätzen zwischen drei und sechs Zentimetern Höhe. Mit den Stilettos der Möchtegernkönigin als krönendem Abschluss. Die Bleistiftabsätze mussten mindestens zehn Zentimeter hoch sein. Was ja auch gar kein Wunder war. Ohne diese Absätze würde ihr die Dame nicht einmal bis zur Schulter reichen. Doch irgendwie eine Genugtuung.

      Erst jetzt nahm sie den Chefkoch richtig wahr. Obwohl er sie und ihren Mann schon vor fünf Minuten begrüßt hatte. Für einen Koch ausgesprochen schlank, maximal vierzig, mit schon leicht grau meliertem, gleichwohl dichtem dunkelblondem Haar. Mit der Ausstrahlung von jemandem, der weiß, dass er Erfolg hat. Würde sie nicht wundern, wenn der Mann bald in einer Fernsehshow auftreten würde. Vielleicht hatte es die Dame mit den Stilettos ja auf ihn abgesehen.

      »Einen recht schönen, guten Morgen, meine Damen und Herren!«, hob er an. »Ich heiße Sie in meinem Lokal herzlich willkommen. Ich habe natürlich gesehen, dass speziell die Damen unter Ihnen diese Küche bestaunen. Ich würde Sie aber bitten, zunächst


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