Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg
Küche gibt, die einen schöneren Blick auf die Donau erlaubt. Wenn Sie diese Aussicht für einen Moment auf sich wirken lassen, wird Ihnen Ihr Menü gleich viel besser gelingen. Was mich bereits zu meiner Lektion Nummer eins bringt: Wirklich gut kochen kann man nur, wenn man in guter Stimmung ist.«
Er machte eine kleine Pause.
»Die entsprechenden Zutaten braucht es natürlich auch.« Doris sah auf fast allen Gesichtern der Teilnehmer ein zumindest leises Lächeln.
Gekonnte Eröffnung, dachte sie. Obwohl sie nicht in der vom Meister beschworenen Gemütsverfassung war, verstand sie natürlich sofort, warum er diese Eröffnung gewählt hatte. Die Stimmung im Kurs würde sich vielleicht nicht auf die Kochkünste aber ganz sicher auf die Nachrede und die daraus folgende Mundpropaganda auswirken. Sein Konzept schien aufzugehen. Die Kursteilnehmer blickten alle voll andächtiger Begeisterung aus dem Riesenfenster. Die Lage des Restaurants zwischen Donau und Uferstraße war ja auch tatsächlich großartig. Das gab es in der ganzen Wachau wahrscheinlich nur in Joching.
Überrascht war sie, dass vom starken Autoverkehr auf der Uferstraße, also auf der Rückseite des Hauses, gar nichts zu hören war. Dafür aber das leise Plätschern der Donau. An diesem Effekt musste ein Toningenieur tagelang getüftelt haben. Vielleicht funktionierte es auch deshalb, weil am gegenüberliegenden Donauufer eine bewaldete Böschung aufragte, die wohl viel Schall schluckte. Im Blickfeld waren nur der Fluss und die Aulandschaft. Natur pur. Sie hatte das Gefühl, nur eine Angel aus dem Fenster hinaushalten zu müssen und schon würden Barsche und Karpfen daran zappeln. Mit dem sanften Plätschern war es allerdings gleich vorbei, weil ein Lastkahn daherkam, der sich laut brummend stromaufwärts mühte.
Von der Aussicht war sie höchst angetan. Allerdings ärgerte sie sich, dass sie in Sachen Kleidung auf Erich gehört hatte. Sie hatte auch ein Dirndl, nicht ganz so teuer, aber sehr hübsch, das sie bei ihrer Größe sogar mit flachen Schuhen hätte tragen können. Aber morgen war ja auch noch ein Tag.
»Ich werde natürlich oft speziell von den Kursteilnehmerinnen nach Bekleidungstipps gefragt. Wenn ich mich hier kurz umblicke, dann haben Sie alle instinktiv das Richtige getan. Es gibt nämlich auch keine fürs Kochen typische Bekleidung. Man soll einfach das anziehen, worin man sich wohlfühlt. Und das reicht eben von ganz zwanglos und leger bis elegant.«
Ein richtiger Profi, dachte sie. Kein Wunder, dass er pro Kursteilnehmer dreihundert Euro verlangen konnte. So sehr sie sich auf das Wochenende gefreut hatte, so kamen ihr jetzt doch Zweifel, ob ihr Mann und sie die sechshundert Euro nicht für etwas anderes hätten verwenden sollen. Aber ihr Erich war ja richtig versessen auf diesen Kurs gewesen.
»Und bevor ich Ihnen jetzt eine kleine Einführung in meine Küche gebe, möchte ich Sie bitten, dass sich jeder von Ihnen jetzt eine von diesen Schürzen umbindet. Damit gleich das richtige Gefühl aufkommt für das, was wir in den nächsten Stunden gemeinsam tun wollen.«
Der Koch zeigte auf den Stapel an beigen Schürzen, die auf einem Hocker lagen. Amüsant zu sehen, wie die Damen diese Schürzen skeptisch ansahen. Mit diesen Fetzen sollten sie ihre schönen Kleider überdecken? Farblich passend war das Beige auch in den seltensten Fällen.
Sie selbst hatte zwar ebenfalls keine gesteigerte Sehnsucht nach einer Schürze. Aber ihr Outfit zu verdecken konnte nicht schaden. Allerdings wollte sie sich die missmutigen Gesichter der Damen nicht entgehen lassen. Daher ließ sie den anderen Kursteilnehmern den Vortritt.
Da sah sie, wie die Dame mit dem tiefen Ausschnitt sich an Erich wandte, der unmittelbar hinter dieser Exhibitionistin stand. Mit der offensichtlichen Bitte, ihr die Schürze an ihrem Rücken zusammenzubinden. Und was tat ihr Mann? Er kam dieser Aufforderung bereitwilligst, wie ihr schien, nach. Aber nicht nur das. Er nutzte auch die Gelegenheit, der trotz ihrer Stilettos klein geratenen Frau über die Schulter ins Dekolletee zu schauen. Bei seiner Körpergröße von 1,85 kein Problem.
Doris wusste nicht, ob sie in dem Moment rot oder ganz blass wurde. Aber eines wusste sie: dass ihr Gesicht mit Sicherheit seine Farbe wechselte. Am liebsten hätte sie Reißaus genommen.
Das ließ allerdings ihr Stolz nicht zu. Außerdem hätte sie damit alles nur noch schlimmer gemacht. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Sie war doch bis jetzt immer selbstbewusst genug gewesen, um sich ihres Mannes sicher zu sein. War vielleicht doch diese verdammte Josefa Machherndl und nicht diese Kokotte an ihrer Gemütslage schuld?
Bei der Zubereitung des Menüs konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren. Sie war so zerstreut, dass sie sich sogar vom Koch die Frage gefallen lassen musste, ob sie heute zum ersten Mal in einer Küche stehen würde. Zwar mit einem Augenzwinkern vorgetragen. Aber bei jemandem, dessen oberstes Ziel es doch war, nur ja keinen Kursteilnehmer zu verärgern, war das doch eine sehr deutliche Ansage. Den heutigen Tag musste sie jedenfalls abschreiben.
Samstag, 17. April 16 Uhr 05
Die Weinreben des Tausendeimerbergs zeigten erst einen kleinen Anflug von Grün. Dennoch schirmte das knorrig verästelte Gehölz ihn und sein Fernglas gut genug gegen Blicke ab. Im Garten seiner Zielperson war alles ruhig. Er wusste nicht, ob sich Klaus Strasser an der Blütenpracht seiner Marillenbäume erfreute. Wenn ja, dann sollte es heute zum letzten Mal sein.
Wieder dieses Zittern. Würde Klaus Strasser heute laufen gehen oder nicht? Schon seit eineinhalb Stunden beobachtete er das Haus. Jedenfalls war Strasser spät dran. Um drei Uhr war ein Lieferwagen vorgefahren. Mehrere Kisten wurden ausgeladen. Er hätte es trotz seines Fernglases nicht beschwören können. Aber so vorsichtig. wie Fahrer und Beifahrer mit den Kisten umgingen, musste es sich hauptsächlich um Geschirr handeln. Bei den Strassers gab es offensichtlich ein Fest zu feiern.
Zum fünften oder sechsten Mal richtete er sein Fernglas auf die umliegenden Hügel. Es kam vor, dass auch andere Menschen mit einem Fernglas unterwegs waren. Die hätten ihn erspähen können. Zumal immer das Risiko bestand, dass sich das Sonnenlicht in seinen Linsen spiegelte und das Glas aufblitzen ließ. Aber da war niemand.
Vor dem Haus tat sich wieder etwas. Zwei junge Mädchen, er schätzte sie auf Anfang zwanzig, kamen in einem Kleinwagen an. In schwarzem Gewand und weißer Schürze. Extra engagierte Serviererinnen. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis das Fest begann. Wenn die ersten Gäste ankamen, war seine Chance vorbei.
Das Zittern erfasste seine Arme. Unkontrollierbar. Er konnte das Fernglas kaum noch halten. Die Puppe war gestern in der Donau gefunden worden. Daher musste er heute zuschlagen. Heute. Samstag. Da war Strasser noch hier. Am Sonntag fuhr er meist schon am frühen Nachmittag zurück nach Wien.
Da kam der Anwalt aus seinem Bau. Zielstrebig steuerte er auf seinen protzigen Porsche zu. In einem blauen Trainingsanzug mit weißen Streifen. Er ging laufen. Trotz des Festes. Trotz des baldigen Eintreffens der ersten Gäste.
Den Porsche durfte er nicht entwischen lassen. Daher rannte er zu seinem Wagen, der nur ein paar Meter entfernt im Schatten von ein paar Bäumen parkte. Er fuhr, so schnell er konnte, den Berg hinunter durch die verwinkelten Gassen. Bald sah er den Porsche in einiger Entfernung vor sich.
Jetzt musste Strasser nur noch eine einsam gelegene Laufstrecke wählen. Die Chancen dafür standen 7:2. Von vielen Beobachtungen wusste er, dass Klaus Strasser immer wieder seine Laufstrecken wechselte. Bis heute hatte er neun gezählt. Von diesen eigneten sich sieben für seinen Plan. Wegen der einsamen Lage und der Uneinsehbarkeit von Teilen der Laufstrecke. Jetzt kam es drauf an. Fuhr Strasser zur Donau hinunter, um am Treppelweg zu laufen, der an einem so schönen Samstag im Frühling voller Radfahrer war? Oder wählte er eine einsame Strecke in den Wäldern?
An der Hauptstraße bog der Porsche nach Norden Richtung Waldviertel ab.
Das Schicksal war heute offenbar nicht auf Strassers, sondern auf seiner Seite. Er wollte bewusst von Schicksal reden, nicht von Glück. Schicksal passte besser zu dem, was in der nächsten Stunde geschehen sollte.
Samstag, 17. April 17 Uhr 55
Ihre ursprüngliche Idee war gewesen, sein Geburtstagsfest ohne fremde Hilfe zu gestalten. Nur die Familie Strasser. Klaus, Theresa, Katja und Mathias. Bald hatte sie