Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Andreas Bosshard
dabei die nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbaren Faktoren, welche die Ertragsfähigkeit (Ertragspotenzial) eines gegebenen Standortes definieren. Die übrigen Faktoren sind mehr oder weniger direkt oder indirekt durch Nutzungs- und Pflegemassnahmen steuerbar.
2.2 Die abiotischen Umweltfaktoren
2.2.1 Wasserhaushalt
Die Wasserverfügbarkeit im Boden ist für die Pflanzen ganz direkt von vitaler Bedeutung zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen. Aber auch indirekt prägt die Wasserverfügbarkeit die Wachstumsbedingungen vielfältig mit. So können viele Nährstoffe von den Pflanzen nur dann aufgenommen werden, wenn sie im Bodenwasser gelöst sind. Wassermangel – auch nur temporär – wirkt sich deshalb auf die Ausprägung einer Wiese ähnlich aus wie Nährstoffmangel. Auch der Umkehrschluss ist richtig: Die Ausbringung von Nährstoffen auf Wiesen, die regelmässig unter Wassermangel leiden, verfehlt den gewünschten Effekt. Abhilfe kann in diesen Fällen eine Bewässerung schaffen. Dies wird in den niederschlagsärmeren Regionen der Zentralalpen zunehmend praktiziert, um das Wiesland weiter intensivieren und mehr Ertrag erzeugen zu können (Kap. 6.10).
Abb. 6. Die wichtigsten Einflussfaktoren, welche die Entwicklung und die Eigenschaften einer Naturwiese prägen. Links «Naturfaktoren», kursiv: durch die Bewirtschaftung und weitere menschliche Aktivitäten wesentlich beeinflussbar. Rechts «Kulturfaktoren», blau: mähwiesenspezifisch, grün: weidespezifisch. Nach BOSSHARD (1999), ergänzt.
Auch zu viel Wasser, das heisst eine Wassersättigung des Bodens über längere Zeit, schränkt die Wuchsbedingungen ein und bestimmt das Vorkommen oder Nichtvorkommen vieler Arten. Hauptsächlich verantwortlich für diesen Effekt ist nicht das Wasser selber, sondern die durch das Wasser bewirkte reduzierte Sauerstoffversorgung des Bodens im Wurzelraum.
2.2.2 Nährstoffe und Düngung
Für Ertrag und Artenzusammensetzung des Wieslandes ist das Nährstoffniveau ein ausschlaggebender Faktor. Die Nährstoffe können von der Pflanze allerdings nur unter der Voraussetzung aufgenommen werden, dass die Wasserverfügbarkeit während der Wachstumszeit in geeignetem Masse sichergestellt ist. Ein ausgewogener Wasserhaushalt ist deshalb für eine gute Nährstoffverfügbarkeit ebenso ausschlaggebend wie die im Boden vorhandenen Nährstoffe.
Während bei Extensivwiesen der jährliche Ertrag lediglich aus den im Boden vorhandenen und durch den Niederschlag eingetragenen Ressourcen gebildet wird (Exkurs 3), wird definitionsgemäss ab einer wenig intensiven Nutzung aktiv Dünger zugeführt. Je nach Betriebsorganisation stammt die Nährstoffzufuhr mehr oder weniger aus geschlossenen betrieblichen Kreisläufen, oder aus einem Import auf den Betrieb, sei es in Form von zugekauftem Dünger (Hofdünger, Kunstdünger) oder von zugekauften Futtermitteln, die über die Verfütterung an die Raufutterverzehrer zu zusätzlichem Hofdünger führen.
Düngung, in welcher Form auch immer, ist – von der Herstellung bis zur Ausbringung – immer mit Kosten verbunden. Jede Düngung benötigt zudem Energie zur Herstellung und zum Ausbringen, und je nach Düngerart werden auch nicht erneuerbare Ressourcen wie Phosphor oder Erdöl verbraucht. Schliesslich hat Düngung in den meisten Fällen unvermeidliche negative Auswirkungen auf die Umwelt, z. B. durch Stickstoffemissionen in die Luft, wie sie bei jedem Einsatz von stickstoffhaltigen Düngern resultieren, oder durch den Eintrag von Düngerfrachten in Oberflächengewässer durch Ab- und Ausschwemmung oder durch Versickerung ins Grundwasser.
Sowohl aus wirtschaftlichen wie ökologischen Gründen ist deshalb ein sehr gezielter Einsatz der Düngung bei der Bewirtschaftung des Wieslandes zentral. Der Hofdünger schliesst dabei den Stoffkreislauf zwischen Wiese und Raufutterverzehrer auf dem Hof. Für seine Effizienz im Hinblick auf die Ertragsbildung, aber ebenso zur Minimierung negativer Umweltwirkungen und von Verlusten, sind einerseits die Aufbereitung (z. B. als Mist/Gülle, mit/ohne Zusätze), andererseits die Ausbringung entscheidend. Bei der Ausbringung sind neben den technischen Möglichkeiten (z.B. Einsatz von Schleppschlauchverteiler) vor allem die Form, der Zeitpunkt und die Menge der Hofdüngergaben zu beachten. Ihre Anpassung an den Standort und den Pflanzenbestand gehört zu den wichtigsten Massnahmen des nachhaltigen Naturfutterbaus und ist für den Ertrag und die botanische Zusammensetzung des Wiesenbestandes einer der Hauptfaktoren (s. Kap. 4.1).
Der Einsatz von Handelsdünger ist im Wiesland der Schweiz und den meisten Teilen Mitteleuropas in aller Regel nicht mehr zu rechtfertigen. Die meisten intensiv genutzten Wieslandböden der Schweiz sind heute vor allem in Regionen mit hohen Tierbeständen als Folge der anhaltenden Futtermittelzufuhr und Gülledüngung im Hinblick auf die Ertragsbildung für Jahrzehnte mit Phosphor gut bis übermässig versorgt (Kap. 6.9.2 und 6.9.3). Der nötige P-Gehalt im Boden, der zur Vermeidung von Ertragseinbussen nötig ist, wurde offenbar lange stark überschätzt (BUWAL 2004; BOSSHARD et al. 2010).
Was den mineralischen Stickstoffdünger (Handelsdünger) anbelangt, ist sein Einsatz im Wiesland in energetischer Hinsicht besonders ineffizient, einerseits weil seine Herstellung sehr viel fossile Energie benötigt (BOSSHARD et al. 2010), andererseits weil im Wiesland vielfältige Möglichkeiten einer Förderung der bakteriellen Stickstofffixierung über Leguminosen bestehen, die je nach Leguminosenanteil bis über 300 kg Reinstickstoff pro Hektare und Jahr fixieren können (Übersicht in KLATT 2008). Je mehr Stickstoff gedüngt wird, desto weniger Stickstoff produzieren die Leguminosen (Abb. 7).
Exkurs 3
Ertrag ohne Düngung: Bedeutung und Effekt der natürlichen Nährstoff-Nachlieferung des Wieslandbodens
Wiesland ist ein Ökosystem, das auch ohne Düngung einen massgeblichen, konstanten Ertrag liefert. Ungedüngte Magerwiesen liefern langfristig Erträge von bis zu 4 Tonnen Trockensubstand (TS) pro ha (DIETL 1986). Wird andererseits die Düngung in langjährig gedüngten Beständen ausgesetzt, geht der Ertrag zwar zurück. Die Höhe dieses Rückgangs hängt aber in hohem Masse von den Standortsbedingungen, insbesondere vom Nährstoff-Nachlieferungsvermögen des Bodens und von den klimatischen Bedingungen, aber auch vom Pflanzenbestand selber ab. In einem 20-jährigen Düngungsversuch auf einem guten Boden im Schweizer Jura nahm der TS-Ertrag von 6 bis 8 t/ha (je nach Düngungsvariante) nach Aufgabe der Düngung in wenigen Jahren auf 3,5 t/ha ab und blieb dann über all die Jahre weitgehend konstant. Im Mittel wurden dann pro Jahr und Hektare 12 kg P2O2, 71 kg K2O und 69 kg N im Erntegut abgeführt (THOMET und KOCH 1993). SCHIEFER (1984) stellte im Rahmen ausgedehnter Aushagerungsversuche in Baden-Württemberg unter günstigen Bedingungen hinsichtlich unter anderem des Nährstoff-Nachlieferungsvermögens des Bodens selbst nach 15 Jahren Aushagerung keinen nennenswerten Rückgang des Ertragsniveaus nach Aufgabe der Düngung fest, während unter anderen Bedingungen ein Ertragsabfall unterschiedlicher Stärke und Geschwindigkeit eintrat (SCHIEFER 1984).
Diese Erkenntnisse stellen in Frage, was bis heute in Lehre und Beratung den Landwirten und Studierenden vermittelt wird und worauf die Nährstoffbilanz und Düngungspraxis in vielen Ländern basiert: dass nämlich die aus einer bewirtschafteten Fläche abgeführten Nährstoffe ersetzt werden müssten, um die Ertragsfähigkeit des Wieslandes erhalten zu können. Dieser Ansatz wird auf Justus von LIEBIG (1840) zurückgeführt.
Zahlreiche Versuche der letzten Jahrzehnte zeigten eindrücklich, dass das Konzept der Düngerbilanz auf der Basis des Nährstoffersatzes zwar der Düngerindustrie regelmässigen Absatz sichert und überhöhte, mit importierten Futtermitteln gefütterte Tierbestände auf den Betrieben ermöglicht, aber nicht sachgemäss ist oder zumindest nur einen Teil der Zusammenhänge beschreibt. Unberücksichtigt bleibt dabei vor allem der wesentliche Faktor des Nährstoff-Nachlieferungsvermögens des Bodens (Abb. 7).
Besonders intensiv mit dem wichtigen Aspekt der Nährstoff-Nachlieferungsvermögen befasste sich SCHELLER (1993), der vor allem auf die Bedeutung und das Potenzial der aktiven Nährstoffmobilisierung