Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Andreas Bosshard
alt="image"/>
Abb. 11. Temperaturabhängigkeit von Photosynthese und Atmung, welche hauptsächlich für das Pflanzenwachstum verantwortlich sind. Das Temperatur-Wachstumsoptimum während des Tages (Topt bezogen auf die Nettophotosynthese) liegt für viele Wiesengräser Mitteleuropas zwischen 17 und 21 °C, wobei zwischen den einzelnen Arten deutliche Unterschiede bestehen (Quelle: LACHER 2001). Stark wüchsige Gräser wie Italienisches oder Englisches Raygras oder das Fromental haben relativ hohe Temperaturoptima. Mit zunehmender Höhenlage treten sie deshalb zugunsten von weniger wüchsigen, aber an tiefere Temperaturen angepassten Gräser zurück. Während der Nacht findet nur Atmung und keine Photosynthese statt. Je tiefer die Nachttemperaturen, desto weniger Energie veratmet die Pflanze.
Exkurs 5
Einfluss der Höhenlage auf den Ertrag und die Futterqualität von Wiesen
Mit zunehmender Höhenlage geht die maximal mögliche Nutzungsintensität und das Ertragsmaximum von Wiesen zurück. Inwieweit das der Fall ist, zeigt Abbildung 12 (grüne Kurven). Bei gedüngten Wiesen nimmt in der Schweiz der Ertrag im Durchschnitt um 4 bis 6 Prozent pro 100 Höhenmeter ab, das sind zwischen 0,2 (DIETL 1986; THOMET et al. 1989) und 0,4 t TS/ha (MOSIMANN 2005) pro 100 Höhenmeter oder, auf die Milchproduktion umgerechnet, um etwa 350 bis 700 kg Milch/ha (WINCKLER et al. 2012). Ungenügende oder übermässige Wasserverfügbarkeit, schattige Lagen und andere Standortfaktoren, die sich nicht oder nur begrenzt beeinflussen lassen, können die Ertragsfähigkeit eines Wiesenbestandes innerhalb der klimatischen Grenzen weiter einschränken.
Bei ungedüngten Wiesentypen ist der Ertrag dagegen weniger von der Höhenlage abhängig als von anderen Standortbedingungen, vor allem der Nährstoffverfügbarkeit (THOMET et al. 1989). Der ungedüngte Wiesentyp mit einem der höchsten TS-Erträge liegt in der subalpinen Stufe: die früher oft als Wildheumähder genutzten, meist ausserordentlich artenund blütenreichen subalpinen Hochgrasfluren (eigene Untersuchungen, unveröff.).
Generell nimmt der Gehalt an Eiweiss und Energie ebenso wie die Verdaulichkeit des Futters bei ungedüngten Wiesentypen mit zunehmender Höhenlage auf vergleichbarer geologischer Unterlage deutlich zu. Ein Beispiel sind die ausgedehnten ungedüngten, halbschürigen oder einschürigen Futterwiesen zwischen 1900 und 2200 m ü. M. auf der rechten Talseite des Schanfigg (Kanton Graubünden), also in der oberen subalpinen und unteren alpinen Stufe (Abb. 13). Das nährstoffreiche, gut verdauliche Heu dieser sehr arten- und blumenreichen Wiesen wird bis heute für die Fütterung des Milchviehs auch während der Laktation eingesetzt, genau wie das Futter der intensiv genutzten Wiesen in den tieferen Lagen um die Dörfer.
Die für das Wachstum und die Konkurrenzverhältnisse wichtige Temperatur ist für die Verbreitung nicht nur einzelner Arten, sondern auch der verschiedenen Wiesentypen ein ausschlaggebender Faktor (Kap. 5.5).
Abb. 12. Ertragspotenzial von Wiesland in Abhängigkeit der Nutzungsintensität (Horizontalachse) und der Höhenlage (grüne Kurven A-D). Mit zunehmender Höhenlage nimmt die Nutzungsintensität, welche einen maximalen Ertrag ermöglicht, ab. So sind in den tieferen Lagen (kollin, bis ca. 600 m ü.M., Kurve D) mit einer sehr intensiven Nutzung hohe Erträge möglich, da hier die intensiv nutzbaren Grasarten geeignete Wachstumsbedingungen vorfinden. In der alpinen Stufe (Kurve A) dagegen ist schon eine mittelintensive Nutzung nicht mehr möglich, ohne dass der Pflanzenbestand degeneriert (s. Kap. 5.5). Blau und rosa stellen schematisch den Anteil der wichtigsten Faktoren der Ertragsbildung bei zunehmender Nutzungsintensität unter der Bedingung konstanter Wasserverfügbarkeit dar. Im extensiven, das heisst ungedüngten Bereich hängt der Ertrag lediglich von der Bodenstruktur/Bodenart, der Artenzusammensetzung und der Artenvielfalt ab. Bei zunehmender Nutzungsintensität nimmt die Bedeutung dieser Faktoren ab, und der Ertrag wird zunehmend durch das Düngungsniveau definiert.
Abb. 13. Ausgedehnte, blumen- und artenreiche Heuwiesen prägen die untere alpine Stufe im mittleren Schanfigg ob St. Peter und Peist (Kanton Graubünden). Bereits kleine Standortunterschiede führen zu unterschiedlichen Wiesentypen – links im Bild eine magere Goldhaferwiese auf basischer Unterlage, rechts ein artenreicher, relativ nährstoffreicher Borstgrasrasen mit Arnika auf saurer Unterlage. Obwohl ungedüngt und nur halbschürig bis einschürig genutzt, liefern diese Wiesen Heu mit relativ hohem Eiweissund Energiegehalt. Das Futter wird zusammen mit demjenigen aus den Intensivwiesen im Tal den laktierenden Milchkühen verfüttert.
2.3 Die biotischen Umweltfaktoren
Bei den biotischen Faktoren ist zunächst zu unterscheiden zwischen nicht-anthropogenen («natürlichen») und antrhopogenen. Die anthropogenen, also menschgemachten Faktoren werden hier als Kulturfaktoren oder schlicht «Bewirtschaftung» bezeichnet (Abb. 6). Die wichtigsten (nicht-anthropogenen) biotischen Naturfaktoren umfassen die biologische Bodenaktivität (z.B. Bakterien, Würmer, Mäuse usw.), Symbiosepartner von Wiesenpflanzen (z. B. Nährstoffe erschliessende Mykorrhiza-Pilze, Stickstoff fixierende Knöllchenbakterien, bestäubende Insekten), Konsumenten (Pflanzen oder Ausscheidungen von Pflanzen fressende Tiere) und Destruenten (z.B. Pilze, die absterbende Pflanzenteile abbauen).
Ein wichtiger biotischer Faktor sind auch die vorhandenen Wiesenpflanzen selber. Die Arten und Ökotypen, die in Naturwiesen und -weiden vorkommen, entwickeln sich in aller Regel aus dem Samenvorrat einer Gegend von selbst. Sie können aber durch eingebrachte, züchterisch veränderte Pflanzenarten ergänzt werden. Das gezielte Einbringen von Arten oder Sorten gehört nicht zum Naturfutterbau. Wird es regelmässig praktiziert, um die Ertragsfähigkeit aufrechtzuerhalten, geht die Naturwiese in eine Kunstwiese über (Abb. 3).
Abb. 14. Standort- und Bewirtschaftungsvielfalt resultiert in einer entsprechenden Vielfalt an Wiesentypen. Die Karte zeigt einen Ausschnitt aus der Wiesenkartierung aus dem Gebiet der Aufnahme in der vorhergehenden Abbildung. Die prägendsten Faktoren sind in diesem Fall der Wasserhaushalt und der Säuregehalt (pH) des Bodens, die je nach Unterlage und Topographie oft sehr kleinflächig ändern. Aber auch die Bewirtschaftung hat zu diesem Mosaik beigetragen, insbesondere die (teils weit zurückliegende) stellenweise Mistdüngung und die Mahdzeitpunkte. Die abgebildete Wiesenkartierung mit zusammenfassenden Einheiten diente als Basis für die Nutzungsplanung und zur Festlegung von Biodiversitäts-Förderbeiträgen. Die Breite der Abbildung entspricht etwa 1,5 km. Quelle: trifolium/Ö+L, 2007.
2.3.1 Schädlinge und Krankheiten
Unter den meisten der genannten biotischen Faktoren gibt es als Schädlinge oder Krankheiten bezeichnete Organismen, welche den Pflanzenbestand in unerwünschter Weise verändern oder schädigen und den Ertrag stark reduzieren können. In der Regel sind es nur diese Schädlinge, die unter der Kategorie der biotischen Umweltfaktoren ins Bewusstsein treten, während die übrigen Organismen ihre für die Artenzusammensetzung und Ertragsfähigkeit eines Wieslandbestandes teils ausschlaggebende positive Rolle meist im Verborgenen ausüben und wenig beachtet werden (Abb. 15). Entsprechend gibt es vor allem über die Schädlinge und Krankheiten in Futterwiesen eine umfangreiche Literatur. Eine zusammenfassende Übersicht über einige wichtige Schadorganismen und Problempflanzen geben beispielsweise DIETL und LEHMANN (2004).
Die meisten Schadorganismen schädigen nur einzelne Pflanzenarten, was im Wiesland dank der Pflanzenartenvielfalt meist nicht stark