Mann 2020. Markus Margreiter

Mann 2020 - Markus Margreiter


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Mann zu mir in die Ordination kommt, betrachte ich ihn ganzheitlich und nahezu unmerklich: Wie kommt er bei der Tür herein? Wie ist seine Körperstatur und Hautbeschaffenheit? Was sagen seine Gestik und Mimik? Wie ist unsere Interaktion? Ich mache mir ein Bild, ich überlege schon, was Mit-Faktoren sind. Das kann die Hautfarbe sein – bitte nicht falsch verstehen – ich meine, ob jemand blass ist oder gerötet, ob er schwitzt, kurzum: wie jemand in der sozialen Interaktion ist. Weil man auf diese Art unglaublich viel herauslesen kann. Das mache ich nicht, damit sich jemand ungut fühlt oder durchleuchtet vorkommt. Aber das ist etwas Grundlegendes, etwas Entscheidendes, um herauszufinden: Wo sind die Probleme? Und genau das interessiert mich über die Jahre. Menschen in ihrer ganzheitlichen Erscheinung. Mannsbilder.

      Im Wesentlichen ist es so, dass ich im Rückblick gesehen, von Kindheit an eine gewisse Faszination am Geschlechterthema hatte. Frau und Mann fand ich wahnsinnig interessant. Eines meiner ersten Bücher, als ich lesen konnte, war ein medizinisches Buch: Der Mensch, ein Biologiebuch, und das mit fünf. Das hat mich damals schon interessiert. Reproduktion, Hormone, Herz, Nieren, Knochen und Skelett. Ich fand das immer verlockend, vor allem was sich da in einem drinnen tut, die Verbindung zwischen Frau und Mann und die weitere Entwicklung. Schon damals habe ich mir gesagt, es wird dich einmal in die Medizin verschlagen. Dort ist dein Platz.

      Bei uns in der Familie war es offenkundig, wir sind alle in sehr unterschiedlichen Richtungen tätig. Mein Vater war in der Wirtschaft, eher die rationale Ebene in der Familie. Meine Mutter war eine sehr emanzipierte Frau, die sehr fortschrittlich dachte, sie war Psychologin. Ich glaube, dass ich von Jugend an einen anderen Zugang zum Menschen mitbekommen habe. Es war ein gelungener Ausgleich: das Rationale meines Vaters und die emotionale, empathische Mutter. Letztlich hat sich mein Fokus in der Schule auf das Naturwissenschaftliche gerichtet. Nicht zuletzt, weil da auch die Mädchen waren. Ich kann sagen, dass ich sehr viel Glück in meinem Leben hatte und bin dafür sehr dankbar. Ich hatte eine wunderbare Familie und eine Basis des Vertrauens in meinen Eltern. Ich habe mir beim Lernen, vor allem während des Medizinstudiums und für meine amerikanischen Medizin- und Zulassungsprüfungen, leichtgetan. Und ich hatte schließlich großartige Mentoren, Lehrer und auch Kollegen, ohne die ich nicht dort wäre, wo ich heute bin, und nie das Wissen hätte, das ich heute habe; einmal ganz abgesehen davon, dass dabei auch tiefe Freundschaften entstanden sind. Meine Patienten profitieren von diesen Wegbegleitern, die mich im Zug meiner Karriere an Stationen haltmachen ließen, an denen ich ohne sie vielleicht vorbeigerauscht wäre.

      Der Ausnahmemediziner Professor DDr. Johannes Huber hat mir schon während des Studiums die Hormone und die Reproduktionsmedizin nahegebracht und für beides das Feuer in mir entfacht. Er begleitet mich nun schon während meines gesamten beruflichen Weges und ist bis heute ein höchst geschätzter Austauschpartner für Hormonfragen. Professor DDr. Michael Marberger war ein harter und strenger Lehrer. Er hat mich immer gefördert und holte mich aus Amerika zurück nach Wien. Ihm verdanke ich neben meinen vielen ehemaligen Kollegen an der Universitätsklinik meine fundierte urologische Ausbildung. Professor Dr. Shahrokh Shariat war ein Wegweiser in eine zukunftsorientierte, sehr wissenschaftliche Sicht der Dinge. Unter seiner Führung schrieb ich meine Habilitation, wurde zum Assoziierten Professor ernannt und übernahm die Leitung der Andrologie an der Universitätsklinik für Urologie im AKH Wien.

      Medizinisch prägte mich das Jahr mit dem gesamten Ärzte-Team um Professor Patrick Walsh und Professor Alan Partin der James Buchanan Brady Urology Clinic in Johns Hopkins wie kein anderes. In diesem Jahr operierte ich so viel wie nie zuvor und verbrachte so viele Stunden im Krankenhaus, dass man sagen kann, ich hatte ein Spitalsbett dort. Die dortigen Professoren, die zur Weltelite in der Urologie zählen, gaben mir sehr viel Wissen mit sehr viel Herzlichkeit mit.

      Man kann sagen, dass mein Weg zum Mann über die Frau geführt hat. Nach meinem Studium dachte ich, ich gehe in die IVF, kurz für In-vitro-Fertilisation, künstliche Befruchtung. Weil mich die Hormone immer interessiert haben. So bin ich in der Klink mit Johannes Huber zusammengekommen. Irgendetwas in meinem Bauch sagte: Wunderbar – aber. Ich habe bei einem der Kinderwunsch-Päpste Professor Wilfried Feichtinger wissenschaftlich mitgearbeitet, aber gespürt, dass mir da thematisch etwas fehlt. Nach meinem Turnus bin ich nach München gegangen und habe dort ein halbes Jahr IVF gemacht, ich fand die Hormone reizvoll, doch die Gynäkologie war’s eben nicht. Damals habe ich festgestellt, dass es kaum jemanden gibt, der sich mit männlicher Unfruchtbarkeit auseinandersetzt. Das war genau zu der Zeit, 2000 bis 2005, wo die Gynäkologen den Mann hormonell de facto mitbehandelt haben, und ich habe gesagt: Ich schaue, wo es auf der Welt das Zentrum für männliche Unfruchtbarkeit gibt. Das war damals an der Cornell Universität in New York. Noch vor meiner urologischen Ausbildung bin ich nach NY gegangen und habe dort ein sogenanntes post doc fellowship gemacht, bei den führendenen Ärzten auf dem Gebiet der männlichen Unfruchtbarkeit, Professor Peter Schlegel und Professor Marc Goldstein, der mich übrigens auch auf den Geschmack des Marathon-Laufens brachte. Auf einem urologischen Kongress in Atlanta bot mir dann der Ordinarius der Wiener Universitätsklinik, Professor Michael Marberger, eine volle Ausbildungsstelle an seiner Abteilung an, was damals ausgesprochen selten war. Zurück in Wien ereilte mich rasch wieder das Fernweh nach NY. Daher habe ich auch etwas später die einmalige Chance genutzt, wieder nach Amerika zu gehen, konkret nach Baltimore in die renommierte Johns Hopkins Universität, dem Mekka der Urologie. Und dort eben gab es den Papst der Prostata: Patrick Walsh, er hat schon 1982 eine Operation der Prostata gemacht, mit der die Nerven erhalten bleiben konnten. Davor war jeder Patient nach einer Prostata-OP impotent, und die meisten waren inkontinent. Walsh, eine Ausnahmefigur, hat in seinem Leben rund 7.000 solcher OPs gemacht. Die Giganten der Urologie waren dort. Ich durfte eine einjährige Ausbildung bei ihnen machen. Für Amerika musste ich Prüfungen nachholen, um operieren zu dürfen, das Zusatzstudium habe ich in sechs Monaten geschafft. Es war sicher das härteste Jahr in meinem Leben, dort in Baltimore. Morgens arbeiten, abends Evaluationen von unseren Profs, alle drei Monate Mentoren-Gespräche. Viel Feedback von den Patienten, das einem weitergegeben wird. Das war toll. Ich habe viel mitgenommen. Man agiert so eng miteinander, mit den Oberärzten, operieren, analysieren, therapieren. 20-Stunden-Tage. Von dort zurück, dann Habilitation, danach habe ich den andrologischen Bereich mit aufgebaut, die vergangenen Jahre geleitet, mehr als zehn Jahre war ich im AKH. Und bin letztendlich mit einem eigenen Männergesundheitszentrum in der Wiener Privatklinik Confraternität angekommen. Männergesundheit, Sexualität, all die Bereiche habe ich zum Zentrum des Mannes werden lassen. Willkommen im Men’s Health Center Vienna.

      Bitte nicht falsch verstehen: Männergesundheit, darauf gibt es kein Monopol. Das hat niemand gepachtet. Weder der Arzt, noch der Ernährungsberater oder der Lifestyle-Mediziner, der einen am Ergometer checkt, noch der Sportmediziner oder der Fitnesstrainer. Bei Männergesundheit horchen aber alle auf. Das ist frisch, jugendlich, viril. Besser als das Schreckwort Urologie. Leider passiert es ja allzu oft, dass wir Mediziner gut gemeinte medizinische Empfehlungen klingen lassen, als würde man die Patienten mit erhobenem Finger ermahnen. Das soll in diesem Buch nicht vorkommen. Keine zu medizinische Sprache, sondern eine, die wir Männer verstehen. Allem voran eine menschliche Sprache. Wichtig ist es mir, Ihnen die Inhalte auf Augenhöhe zu vermitteln. Auf Augenhöhe mit den Männern.

      Ich möchte auch keine Dogmen aufstellen. Die gibt es in der Medizin nur selten oder sie werden nach einiger Zeit widerlegt.

      Jeder Mensch ist individuell.

      Kein Mann gleicht dem anderen.

      DIE PROSTATA

      Eigentlich sollte jeder Mann den Tag mit einem »Danke« beginnen. »Danke«, sollte jeder von uns zu seiner Prostata sagen, »du bist ein großartiges Organ, ich bin stolz, dass ich dich habe.«

      Falls Sie sich jetzt fragen, was ein Urologe mit so einem obskuren Rezept will, kann ich Sie beruhigen. Ich sage das nicht als Arzt, ich sage das als Mann. Als Arzt sage ich, warum wir uns bei der Prostata bedanken können.

      Die Prostata ist eines der wichtigsten Geschlechtsorgane des Mannes. Ohne die Prostata gäbe es uns alle nicht. Einmal nur vom Beitrag des Mannes aus betrachtet, wäre die Menschheit nicht existent. Das haben wir diesem kleinen, kastanienförmigen Knödelchen zu verdanken, das uns letztlich zum Mann macht. Wollte man einen Mann biologisch auf das Wesentliche


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