Der Topophilia-Effekt. Roberta Rio

Der Topophilia-Effekt - Roberta Rio


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Art auf Anhieb sympathisch. Auch die beiden Kinder des Ehepaares waren dabei. Ein Junge und ein Mädchen im Teenageralter. Es gab buntes Ofengemüse, Zucchini, Tomaten, Fenchel, alles Mögliche, dazu Salat.

      »Mahlzeit«, sagte die Frau, als sie jedem eine große Portion auf den Teller anrichtete. »Lasst es euch schmecken!«

      Wir plauderten beim Essen über das Wetter und wir waren alle zufrieden damit. Dieser Herbst war tatsächlich schön. Viel Sonnenschein, kaum Niederschlag. Die Familie plante, in den kommenden Wochen für ein paar Tage zu verreisen. Nicht weit weg, aber raus aus den eigenen vier Wänden, mal wieder etwas anderes sehen, neue Eindrücke sammeln. Ich sagte, dass ich das nachvollziehen könne und dass sie ihren Kurztrip in vollen Zügen genießen sollten.

      Dazwischen zog Leya immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie ihren Kopf schief legte und Streicheleinheiten einforderte. Darin ist sie wirklich gut.

      Auf das Thema »Immobilie« kamen wir erst spät zu sprechen, nach dem Essen bei Kaffee und Kuchen. Nachdem es hier um viel Geld ging, war die Anspannung des Notars die ganze Zeit über groß. Vor unserem Treffen hatte er mich darauf hingewiesen, dass er mir ein Zeichen geben würde, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, um über diese eine bestimme Sache zu reden. Als er mir das Signal gab, sagte ich wie mit ihm abgemacht in die Runde: »Was das Haus betrifft: Ich glaube, es wäre gut, wenn ihr es verkaufen würdet.«

      Die Frau riss die Augen weit auf und schlug die Arme über dem Kopf zusammen. Einem Moment der absoluten Stille folgte ein lautes »Endlich!« Sie rief: »Endlich sagt das jemand! Es wird Zeit, dass wir diese Immobilie loswerden. Schnell weg damit!«

      Der Mann war genauso verblüfft über ihre Reaktion wie ich. Dann erzählte sie mir, dass ihr Mann seit dem Kauf immer angespannt und nervös war, wenn er zu dem Haus fuhr, auch wenn er ständig behauptete, so begeistert davon zu sein.

      »Vielleicht habe ich mir tatsächlich etwas vorgemacht«, überlegte er. »Wahrscheinlich hat mich der Papierwert der Immobilie, ihr vergleichsweise günstiger Preis und die theoretisch erzielbare Rendite abgelenkt. Wenn man dann einmal so viel investiert hat, hört man nicht mehr richtig hin, wenn tief in einem ein Bauchgefühl Alarm schlägt. Man will davon nichts wissen, verdrängt und verkrampft sich. Bloß eine Frage stelle ich mir. Kann ich das Haus überhaupt mit gutem Gewissen verkaufen? Jetzt, wo ich weiß, was mich dort vielleicht erwartet?«

      »Diese Frage stellen mir meine Klienten oft«, sagte ich. »Aber ich warne euch vor. Meine Antwort darauf klingt etwas jungianisch und sie ist auch tatsächlich von dem Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung, auf den ich später noch zurückkommen werde, geprägt. Sie lautet: Wenn jemand etwas in seinem Leben unbedingt haben möchte, heißt das, dass sein Unterbewusstsein ihn aus irgendeinem Grund dorthin lenkt.

      Vielleicht besitzt derjenige, der das Haus kaufen und behalten wird, sogar die Kraft, sich diesen Umständen zu stellen und die Sache zu bewältigen. Oder er sucht unbewusst nach genau diesen Erfahrungen, die er dort machen kann, um daran zu wachsen. So wie du. Jung sagte: ,Bis du dem Unbewussten bewusst wirst, wird es dein Leben steuern und du wirst es Schicksal nennen.‘

      Du hast gelernt, dass du besser auf dein Bauchgefühl achten solltest, auch wenn es etwas anderes sagt, als die Zahlen am Papier. Man könnte es so sehen: Du hast mich engagiert, um dir das bestätigen zu lassen.«

      Die Geheimnisse der Etrusker

      Unseren Ahnen war die Wirkung von Orten bewusster als uns selbst. Das dokumentiert unter anderem die Geschichte der Etrusker, die sie bei ihrer Besiedelungsstrategie berücksichtigten und rund um sie bis heute erhaltene Baudenkmäler schufen.

      Dass Orte eine Wirkung haben, spüren viele Menschen intuitiv. Wir haben alle schon einmal Sätze gesagt wie: »Ich habe mich dort gleich wohl gefühlt.« Oder im umgekehrten Sinn: »Ich habe mich dort gleich unwohl gefühlt.«

      Die meisten Menschen berücksichtigen diese Eindrücke, wenn sie sich beispielsweise für oder gegen eine Wohnung oder ein Haus entscheiden. Viele geben diesen Empfindungen mehr Bedeutung als Kriterien wie Balkon, Raumgröße- und höhe oder Parkplatzangebot. Von der ersten Nacht in einer Wohnung heißt es, man solle die Träume beobachten, denn sie hätten Bedeutung für das Leben dort.

      Erst jüngst lief im Bayrischen Fernsehen ein Beitrag über eine uralte Linde, von der die Eltern den Kindern und die wieder ihren Kindern erzählen, dass sie deshalb so mächtig ist, weil sie auf einer Wasserader steht und dass sie aus dem gleichen Grund in zwei Hauptstämme gespalten ist. Im Dorf gehört das genauso zum Wissen wie etwa, wo der nächste Supermarkt liegt oder wo man im Sommer baden geht.

      Ich kenne Menschen, die eine Wohnung nicht haben wollen, weil dort früher eine Zahnarztpraxis war, die sie mit Schmerz assoziieren. Ebenso kenne ich eine Frau aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, die ihr Leben lang einen bestimmten Platz in der Innenstadt mied, ohne zu wissen warum, bis ihr jemand erzählte, dass dort einmal eine Synagoge abgebrannt ist. Es war eine schreckliche Katastrophe mit mehreren Toten. Ich kenne auch erfolgreiche Unternehmer, die lange zögern, ehe sie ihren Firmensitz wechseln, weil sie fürchten, an dem neuen Ort könnte die Energie schlechter sein und ihren Geschäften schaden.

      Ist das alles wirklich nichts als Aberglaube?

      Auch mir selbst war die Wirkung von Orten bewusst, lange bevor ich mich wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen begann. So etwa hatte mich als Historikerin schon immer das antike Volk der Etrusker fasziniert. Die Etrusker lebten wahrscheinlich von 800 v. Chr. an im Raum der heutigen italienischen Regionen Toskana, Umbrien und Latium bis ihre Kultur in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. im römischen Reich aufging.

      Die Etrusker waren ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Volk und würden viel mehr historische Beachtung verdienen. Nicht nur, weil sie einer alten Überlieferung zufolge die Herrschaftsdauer und das Ende ihres eigenen Volkes ziemlich präzise vorhersagten. Sie waren auch in den Belangen des täglichen Lebens enorm weit. Sie waren ausgezeichnete Seefahrer und besaßen ein langjähriges Monopol auf die sogenannte Metallroute, die von der Ägäis bis in den Nahen Osten reichte. Bearbeitung von Metallen war so auch, neben dem Handel mit Öl und Wein, ein wichtiges Merkmal ihres Wirtschaftssystems, weshalb sie in der Goldschmiedekunst, der Hydraulik, der Architektur und dem Schiffbau glänzten.

      Heute sind sie vor allem für die Gestaltung ihrer Gräber bekannt. Die versahen sie mit Malereien, in denen sich ihre Einstellung zum Tod widerspiegelt. Die Bilder zeigen, dass sie in jeder Hinsicht das Leben feierten. Teilweise finden sich in diesen Zeichnungen aus heutiger Sicht sogar pornografische Inhalte.

      Interessant sind auch die Tempel der Etrusker, die sie mitten in die Natur errichteten und mit ihr verbanden. Ihre Spiritualität drehte sich um das »Sacer der Erde«, also um die Ur-Energie der Erde, die, gemäß ihren Überzeugungen, alles erschaffen hat, aber ebenso gut alles zerstören kann. Diese Energie verehrten sie als Gottheit.

      Für die Etrusker scheint das Bewusstsein, dass Orte auf sie wirken, ganz selbstverständlich gewesen zu sein und ihren Alltag in vielen Fragen des Lebens durchdrungen zu haben. Besonders interessant fand ich schon immer ihren Brauch der »Leberschau«.

      Die Leberschau war ein unverzichtbarer zeremonieller Bestandteil eines Festes, das sie einmal im Jahr einberiefen. Und zwar im »Fanum Voltumnae«, was so viel wie heiliger Bezirk, heiliger Ort an Voltumna, einer etruskischen Gottheit gewidmet, bedeutet. Herzstück der Anlage ist ein u-förmiges Areal mit einem Tempel im Zentrum und zwei Brunnen. Prachtstraßen, gesäumt von Kanälen, führten zu dem Tempel und wurden höchstwahrscheinlich für religiöse Prozessionen genutzt. Einmal jährlich, im Frühjahr, trafen sich laut römischen Schriftstücken die führenden Priester und Politiker der Etrusker dort.

      Man kann es sich als Volksfest vorstellen, mit allem, was die Antike dafür zu bieten hatte: Theateraufführungen, sportliche Wettkämpfe, Märkte und überall Menschenmassen, Athleten, Musiker, Tänzer, Gaukler, Händler, Gläubige und Pilger. Erstaunlich war auch, dass die etruskischen Frauen damals – ganz gegen die Gewohnheiten der Römer, die darüber auch aus der Ferne die Nasen rümpften – dem bunten


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