Die Fast Food Falle. Harald Sükar
nur beispielgebend. Einer von vielen, der kräftig am Kuchen nascht.
Sehen wir uns das Eingangszitat erneut an. Klingt es immer noch so unversöhnlich und hart?
Fast Food ist Kindesmisshandlung.
Geprägt hat diesen Ausspruch Christopher J.T.H. Brewis. Brite, Politiker und Stadtrat in Lincolnshire, der zweitgrößten Grafschaft Englands. Er sagte ihn vor wenigen Jahren in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender BBC Radio.
Ein Satz, der Wellen geschlagen hat und seither viele Male wiederholt worden ist. Natürlich weiß ein erfahrener Mann wie Brewis, dass Reporter auf so markige Sprüche nur warten. Dass der Redakteur im Studio in der Sekunde nachhaken würde. Bei dieser Attacke, diesem Rundumschlag. Immerhin hatte er Fast Food (genauer gesagt: das System Fast Food, das den globalen, massenhaften Verzehr mit Mitteln, und seien sie noch so perfide, auf die Spitze treibt) mit einem Kapitalverbrechen gleichgestellt: Kindesmisshandlung. Ein Delikt, für das selbst das Strafgesetzbuch juristisch exotischer Länder langjährige Haftstrafen vorsieht.
Brewis hatte auch nicht abgeschwächt, indem er bloß einen Vergleich zog und das Wörtchen wie einstreute. Brewis sagt nämlich nicht:
Fast Food ist wie Kindesmisshandlung.
Nein. Er formulierte es wie das einleitende Zitat. So und nicht anders. Weil er es so und nicht anders meinte. Weil er es so und nicht anders transportiert wissen wollte. Weil er in der heillos überzuckerten, mit Unmengen an Fetten, Salzen und künstlichen Phosphaten vollgepumpten, hochgradig ungesunden und obendrein praktisch wertlosen, weil nährwertlosen, Ware Fast Food das Tatwerkzeug sieht. Und die skrupellosen Täter in der endlosen Kette von Produzenten und anderweitig Verantwortlichen.
Darum sagte er:
Fast Food … ist …Kindesmisshandlung.
Dabei stützte er sich auf eine Flut von Fakten und Hintergrundwissen. Hintergrundwissen, weil ein Politikprofi wie Brewis selbstverständlich um die Zusammenhänge weiß. Er kennt die oft schmutzigen Deals hinter verschlossenen Türen, die der Normalbürger immer nur erahnen, doch so gut wie nie belegen kann. Als unabhängiger, weil parteiloser Volksvertreter lässt einer wie Brewis sich nicht so schnell den Maulkorb verpassen, den die meisten seiner Kollegen tragen und dafür auch noch kräftig Schmerzensgeld kassieren.
Wer keinen Fraktionszwang kennt und in keiner Regierung sitzt und auch nicht dem mehr oder weniger sanften Druck von Lobbyisten ausgesetzt ist, bewegt sich bedeutend freier im üblen Spiel aus Abhängigkeiten und Gefälligkeiten zwischen Politik und Wirtschaft. Und Brewis kennt natürlich auch die Fakten. In Zeiten des Internets sind sie für jeden in großem Ausmaß verfügbar. Man muss es nur genauer wissen wollen, tiefer zu wühlen und dabei auch kritisch zu unterscheiden beginnen.
Tatsächlich sind diese Zahlen und Daten so alarmierend wie erschütternd. Sie lassen sich in den Vorstandsetagen der Konzerne und in Ministerbüros bestenfalls klein- oder schönreden. Aus der Welt schaffen lassen sie sich nicht.
Wovon wir sprechen?
Wir sprechen beispielsweise davon, dass heute schon zwei Milliarden Menschen deutlich zu viele Kilos auf den Rippen haben. Jeder Vierte der Weltbevölkerung. Unter ihnen 700 Millionen, die überhaupt als krankhaft fettleibig gelten. Jeder Elfte also bereits.
Wir sprechen davon, dass allein in den USA jedes dritte Kind übergewichtig ist. Tendenz stark steigend. Davon, dass zwei Millionen dieser Kinder überhaupt das Doppelte und mehr des altersgerechten Körpergewichts mit sich herumschleppen. Und davon, dass wir Europäer nicht spöttisch mit dem Zeigefinger in Richtung Atlantik deuten sollten, weil wir mit Vollgas auf der Überholspur unterwegs sind. Neunzig Prozent aller erwachsenen Briten beispielsweise werden bis ins Jahr 2030 als übergewichtig gelten. Bis dahin sind es nur noch elf Jahre.
Im selben Jahr werden es übrigens bereits sechzig Prozent der Weltbevölkerung über achtzehn Jahren sein, die entschieden zu viel auf die Waage bringen. Krankhaftes Übergewicht ist längst auch in den Schwellenländern angekommen. China und Indien ächzen auch schon kräftig unter der Last. In Festland-Europa wiederum ist Deutschland (nach Ungarn) kaum zu schlagen: Jeder vierte Erwachse gilt mittlerweile als stark übergewichtig. In Österreich sieht es etwas besser aus.
Noch.
Wir sprechen ferner davon, dass heute an einem beliebigen Ort Geborene eine statistisch beträchtliche Chance haben, eines Tages an Diabetes zu erkranken. Jeder Dritte nach aktuellen Schätzungen. Wir sprechen auch davon, dass der sogenannte Alters-Diabetes, wie die Zuckerkrankheit des Typs 2 der Generation fünfzig plus einmal hieß, längst nicht nur bei den Mittdreißigern angekommen ist, sondern bei den Kindern. Unter ihnen bereits zahllose im Vorschulalter.
Insgesamt sprechen wir davon, dass es bald schon, in zwanzig, bestenfalls dreißig Jahren, eher die Regel als die schicksalhafte Ausnahme sein wird, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben. Weil die zahllosen Krankheiten im Gefolge unserer stark veränderten Ernährungsgewohnheiten längst begonnen haben dafür zu sorgen, dass wir wieder früher abtreten müssen. Spitzenmedizin hin, Technik her. Das sind keine gefühlten Wahrheiten, denn: In der Supernation – den USA – schlägt sich dies seit kurzem auch messbar nieder. In der Statistik. Die Zahlen deuten genau in diese Richtung. Erstmals seit Jahrzehnten gibt es in einem hochentwickelten Industrieland nämlich eine Trendumkehr. Die Lebenserwartung der Amerikaner hat zum Sinkflug angesetzt. Langsam, aber stetig.
Wo beginnt die Verantwortung des Einzelnen? Und wo endet sie zwangsläufig? Weil dort Manipulationsgeschick und Verführungskraft der Multi-Konzerne einsetzen? Weil der Hebel unter anderem dort ansetzt, wo er die stärkste Wirkung zeigt: bei den Kindern.
Kümmere dich um die Kunden, und das Geschäft wird sich um sich selbst kümmern.
Das Wort Kunden lässt sich in diesem Zitat wunderbar durch Kinder ersetzen. Das Zitat stammt übrigens von Ray Kroc. Aus seiner Autobiographie. Und auch in The Founder (Deutsch: Der Gründer), einem 2016 in bester Hollywood-Manier gedrehten Streifen, kommt der Satz vor. Weil der Film auch von ihm handelt:
Ray Kroc.
Das ist jener Mann, der heute noch als Gründer von McDonald’s genannt wird, ohne es wirklich gewesen zu sein. Allerdings hat er aus der ehemaligen Burger-Bude zweier wenig motivierter Brüder in San Bernadino, einem Kaff nahe Los Angeles, das gemacht, was wir heute kennen: die McDonald’s Company. Einen globalen Fast-Food-Riesen. Das weltumspannende Ergebnis einer ungeheuren Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht und lange Jahre als Synonym für den American Way of Life hergehalten hat.
Fünfzig Persönlichkeiten wurden Anfang der 1980er Jahre im Magazin Esquire gelistet, die den größten Beitrag zu diesem American Way of Life geleistet haben sollen. Das las sich damals so:
»Kolumbus entdeckte Amerika. Jefferson (Anmerkung: Thomas Jefferson, der dritte US-Präsident) erfand es und Ray Kroc hat ihm den Big-Mac-Stempel aufgedrückt.«
Stimmt: Kroc und seine Nachahmer, die nicht lange auf sich warten ließen, haben die Welt tatsächlich aus den Angeln gehoben. Eine kulinarische Weltrevolution. Zu einem besseren Ort haben sie diese Welt allerdings nicht gemacht. Keiner hat so früh und effizient begriffen wie Ray Kroc, was es heißt, Menschen quer über den Globus ans eigene Produkt zu binden. Nämlich von frühester Kindheit an, und von da weg ein Leben lang. Kroc hat mit seinen ersten, durchaus genialen Marketinginstrumenten in Gang gesetzt, was bis zum heutigen Tage immer weiter perfektioniert wurde.
Konzerne wie McDonald’s und Co. nennen es Marketing und Kundenbindung. Andere nennen es Gehirnwäsche. Und neuerdings wurde auch der wissenschaftliche Beweis darüber geliefert, was Kroc intuitiv vor bald siebzig Jahren ohnehin wusste:
Kriegst du die Kinder, gehören sie dir auf ewig.
Und mit ihnen kommen die Erwachsenen.
Ganz von selbst.
An dieser Stelle die erste (garantiert unabhängige) Studie. Eine Untersuchungsreihe der Universität von Missouri-Kansas City sowie dem Kansas Medical Center. Der Titel, Neuroökonomie von kontroversen Lebensmitteltechnologien, ist alles andere als sexy, umso erhellender und