Die Fast Food Falle. Harald Sükar

Die Fast Food Falle - Harald Sükar


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abzuändern? Wir. Das bedeutet: Jeder Einzelne. Die Gesellschaft als Ganzes. Die Politik.

      Mit dem britischen Stadtrat Chris Brewis, von dem wir schon gehört haben, verbindet mich eines ganz besonders: die Innensicht. Seine ist jene auf die Materie Politik. Meine auf die Materie Fast Food. Dabei bin ich weder Arzt noch Ernährungswissenschaftler. Auch bin ich nicht Aktivist der Grünen noch Mitglied einer NGO. Ebenso wenig ein ausgewiesener Experte in Sachen Globalisierung.

      Im Gegenteil. Ich habe der anderen Seite angehört. Mit Leib und Seele. Meine Karriereleiter zeigte ewige Zeiten immer nur in die eine Richtung: steil nach oben. Ich war im Management eines Ölkonzerns. Ich habe eine Bäckereikette geführt. Ich habe ein kleines Gastro-Reich in die Höhe gezogen. Ich war Kurzzeit-Präsident eines Bundesliga-Fußballvereins und habe damit so gut wie alles zerstört, was ich mir zuvor aufgebaut habe. Nur nicht meine Ehe, weil ich auf eine Frau zählen durfte und darf, die mir auch in Zeiten der schwersten Krise immer zur Seite gestanden ist.

      Vor allem jedoch war ich dreizehn Jahre lang das: maßgeblicher Teil eines menschenverachtenden globalen Netzwerkes, das sich seit neuestem die Menschenliebe an die Fahnen heftet und doch nur drei Ziele kennt:

      Profit.

      Profit.

      Und nochmals Profit.

      Ich war ein Rad am Wagen. Nicht das fünfte, sondern eines, das immer stärker wurde und immer mehr trug. Erst nur in Österreich. Für Österreich. Bald schon auf europäischer, dann sogar auf globaler Ebene. Ich hatte immer mehr zu sagen im System Fast Food. Immer mehr zu entscheiden, immer mehr zu verantworten. Dann habe ich begonnen nachzudenken. Weil es dafür nie zu spät ist, nie zu spät sein darf.

      Mein Name ist Harald Sükar. Ich war Spitzenmanager bei McDonald’s.

      Wenn es eine zentrale Botschaft gibt, die ich den folgenden Seiten überordnen möchte, dann diese:

      Geht nicht hin! Nicht zu McDonald’s. Nicht zu Burger King. Nicht zu den anderen Fast-Food-Riesen. Schon gar nicht mit euren Kindern. Nicht einmal ausnahmsweise.

      Das Geständnis, das keines sein sollte:

      »Wir sind Teil des Problems … ähm, der Lösung.«

      Zuerst reift die Selbsterkenntnis. Im Stillen. Danach folgt die Selbstkritik. Laut und vielleicht sogar öffentlich. Sind das nicht menschliche Tugenden, die wir schätzen? Vor allem, wenn sie ehrlichen Ursprungs sind, wenn sie zur rechten Zeit am rechten Ort in Erscheinung treten?

      Spitzenmanager globaler Konzerne besitzen diese menschlichen Tugenden in der Regel nicht. Wenn doch, so halten sie sich sehr bedeckt damit. Sie tragen weder Selbsterkenntnis noch Selbstkritik einfach so nach außen. Schon gar nicht, wenn sie massiv unter Beschuss stehen. Schon gar nicht in der Fast-Food-Industrie. Und schon dreimal nicht vor laufender Kamera. Wenn überhaupt, dann unter ihresgleichen. Bei einem launigen Treffen hinter verschlossenen Türen etwa. Mit dem dritten Glas Whisky in der einen und einer Havanna in der anderen Hand.

      Wer beschmutzt schon gerne das eigene Nest? Und doch hat Gene Grabowski genau das getan. Ohne es zu wollen. Es ist ihm herausgerutscht. Denn er hat, mit sichtbaren Schweißperlen auf der Stirn, diesen einen Satz in die Kamera gesagt:

      »Wir sind Teil des Problems …«

      Als dem fünfzig Jahre alten Grabowski dieser verräterische Sager entfährt, ist er längst nicht mehr der kleine Reporter bei der Washington Times mit Spezialgebiet Weißes Haus, der er irgendwann einmal gewesen war. Grabowski hat große Karriere gemacht, ist nunmehr Vize-Präsident der GMA. Und zugleich ihr Sprecher.

      Was das ist, die GMA?

      Damals, im Jahr 2004, steht das Kürzel noch für Grocery Manufacturers of America. Später (und bis zum heutigen Tag) wird GMA nach einer Fusion mit der Food Products Association (FPA) dafür stehen:

      Grocery Manufacturers Association.

      Ein Fachverband der Lebensmittelindustrie. Aber nicht irgendwelcher Kleinkrämer oder der halbwegs potenten Gewerbetreibenden nur eines einzigen Landes, sondern der weltweit größten Markenartikel-Unternehmen für Lebensmittel, Getränke und Konsumgüter. Eine Vereinigung, der vorübergehend auch die vormalige First Lady Michelle Obama beitrat, um mit ihrer Let’s move-Kampagne gegen die ausufernde Epidemie fettleibiger US-amerikanischer Kinder anzutreten. Dass diese Epidemie längst den ganzen Globus erfasst und sich damit zu einer Pandemie ausgeweitet hat, ist mittlerweile nicht mehr von der Hand zu weisen.

      Offiziell ist die GMA eine Non-Profit-Organisation. Vor allem aber ist sie eine unfassbar mächtige Lobby. Ein tausendarmiger Krake der Industrie, dessen Tentakel überallhin reichen. Bis in den letzten Winkel des kleinsten Hinterzimmers politischer Entscheidungsträger. Rund um den Erdball. Von Z wie Zypern bis A wie Afghanistan. McDonald’s gibt es schließlich auch in Kabul.

      Aber was kann einen Medienprofi wie Gene Grabowski so sehr aus der Fassung bringen, dass ihm dieser Lapsus widerfährt? Diese Peinlichkeit? Unabsichtlich einzugestehen, was niemals eingestanden werden darf?

      Ursprünglich (so viel kann ich Ihnen schon verraten) hat Grabowski die alte Leier abspulen wollen. Einen Text, den jemand wie er immer und überall runterbeten kann, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Einen Standardtext zur Verantwortung der Lebensmittel-Konzerne, den er so selbstverständlich intus hat, wie jeder Geistliche das Vaterunser. Sätze wie:

      »Die Lösung muss im Bildungssystem liegen.«

      Oder:

      »Man muss den Sportunterricht fördern.«

      Oder auch, was er tatsächlich gesagt hat, angesprochen auf die Rolle der Lebensmittel-Giganten im Allgemeinen und der Fast-Food-Industrie im Speziellen. Wie es in punkto Verantwortung für die Gesundheit von zig Millionen Menschen in seinem Heimatland steht. Und von Milliarden in aller Welt.

      Gene Grabowski im Originalton: »Wir werden weiterhin gutes Marketing betreiben, Bildungsprogramme finanzieren, was wir ja schon im großen Stil tun. Wir informieren Eltern, um Probleme zu lösen. Das tut die Nahrungsindustrie. Wir spielen eine verantwortungsvolle, wichtige Rolle.«

      Diese angesprochene Co-Finanzierung von Bildungsprogrammen bedeutet: Zwar werden Hunderttausende Kinder in den USA alphabetisiert, lernen endlich einigermaßen Lesen und Schreiben, doch um den Preis, dass die ohnehin verschwindend geringe Wochenstunden-Zahl für Sport in den Schulen weiter schrumpft. Mit dem Ergebnis, eventuell um einen Hauch gebildetere, aber mit Garantie um Längen fettere Kinder in den Bänken sitzen zu haben. Unter anderem auch, weil die Softdrink-Hersteller ihre Automaten weiterhin in den Schulgängen aufstellen und befüllen dürfen.

      Das weiß ein Mann wie Gene Grabowski selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich kommt ihm aber nichts dergleichen über die Lippen. Stattdessen sagt er in die Kamera:

      »Wir sind keine Polizei oder Behörde. Wir stellen günstige Lebensmittel in Mengen her, wie nie zuvor. Die Industrie übernimmt Verantwortung. Wir wollen mehr tun, weil wir erkennen: Wir haben eine Aufgabe. Wir sind Teil der Lösung.«

      Und dann passiert’s eben. Weil an diesem Tag irgendetwas anders ist. Weil der ausgebuffte Medienprofi Grabowski auf dem falschen Fuß erwischt wird. Vielleicht hat er einfach nur schlecht geschlafen. Vielleicht liegt es aber doch an den verstörenden Fakten, mit denen man ihn in der Lobby der GMA konfrontiert. Ausgesprochen von diesem lästigen Ex-Kollegen, der mit allen Wassern gewaschen ist:

      Morgan Spurlock.

      Regisseur. Dokumentarfilmemacher. Drehbuchautor. Produzent. Versuchskaninchen im eigenen Auftrag. Und auf gewisse Weise auch Journalist wie früher Grabowski. Einer der, hat er erst einmal Fährte aufgenommen, sich verbeißt, wie ein von der Leine gelassener Kampfhund. Mit seinen nervenden Fragen, die er obendrein mit jeder Menge Hintergrundwissen unterbuttert.

      Und so stottert Gene Grabowski, Vize-Präsident der großen GMA, in die Kamera:

      „Wir sind Teil der Lösung

      …


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