Sprache und Partizipation im Schulfeld (E-Book). Stefan Hauser
Dynamiken und Voraussetzungen verbunden. Wenn die Kinder über Partizipationsmöglichkeiten in der Schule sprechen, beziehen sich ihre Schilderungen zum einen auf den regulären Schulunterricht und zum anderen auf formalisierte Gremien wie den bereits thematisierten Schülerrat und Projekte, die darauf ausgerichtet sind, die Schülerinnen und Schüler teilhaben zu lassen und in Entscheidungen miteinzubeziehen, die sie betreffen. Die Lehrpersonen strukturieren hierbei aus Perspektive der Kinder die Teilhabe- und Entscheidungsmöglichkeiten deutlich (vgl. Rieker et al. 2016; Rieker 2017). Schulische Partizipationsgremien werden dennoch aus kindlicher Perspektive auch als Räume der eigenen Entscheidungsmacht entworfen (Rieker 2017, 4), in denen sie ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse äußern sowie ihre Interessen vertreten können. Gleichzeitig strukturieren die Lehrpersonen nicht nur die Teilhabe- und Entscheidungsmöglichkeiten, sondern sie spielen auch eine entscheidende Rolle für die Gestaltung des Zugangs zu formalisierten Partizipationsformen. Insofern ist in Bezug auf die von den Lehrpersonen formulierten Erwartungen an die Kinder, die sie erfüllen müssen, um Teil der Gremien sein zu können, die Frage zu stellen, wie sich die Kinder hinsichtlich dieser Anforderungen äußern und inwiefern sie die Relevanz von sprachlichen Fähigkeiten thematisieren.
Sprache und kommunikative Fähigkeiten erscheinen aus Sicht der Kinder nur als eine mögliche Unterscheidung, die die Mitarbeit in schulischen Partizipationsgremien ermöglichen, aber auch verhindern kann. In welcher Weise Kinder in den schulischen Partizipationsgremien politische Artikulationsweisen und -formen zeigen und damit zur Aufführung bringen können, wird in der folgenden Passage deutlich, in der Kurt von seiner Wahl zum «Stadtpräsidenten» im Rahmen eines Schulprojekts erzählt:
«I: Du, wie habt ihr denn den Stadtpräsidenten gewählt? Weißt du das noch?
K: Er konnte kandidieren, eine Rede schreiben (I: Mhm), und ja ich war da dann ziemlich (.) ich glaube 9 zu 4 – 1 – 1 – 0. […]
I: Okay. Und dann hast du eine Rede geschrieben?
K: Mhm.
I: Und die vorgetragen?
K: Mhm.
I: Weißt du noch, was du da erzählt hast in der Rede?
K: Eigentlich habe ich alle gefragt, was sie wollen (I: Mhm). Und dann was sie alle wollen, habe ich eigentlich nur das erwähnt, und dann wurde ich einfach so ((haben sie mich gewählt)).
I: ((Lacht)). Okay. Hast du sie vorher gefragt?
K: Ja. Am Schluss wurde einfach nichts realisiert, aber und das was ich versprochen habe ((I: Lacht)), aber am Schluss ist es einfach nicht gegangen.
I: Mhm, aber es hat geklappt, du bist gewählt worden?
K: Mhm.» (Kurt, Rosenberg)
Auf die Frage hin, wie Kurt Abgeordneter («Stadtpräsident») geworden ist, wird ein aus politisch-demokratischen Kontexten bekanntes Wahlverfahren erläutert. Entsprechend agiert Kurt im Habitus des erfahrenen Politikers. Er führt seine Wahl als «Stadtpräsident» im Rahmen eines Unterrichtsprojektes, in dem die Kinder ihre eigene Stadt gebaut und dann in «Stadtratssitzungen» auch «regiert» haben, darauf zurück, dass er in seiner Wahlkampfrede genau das gesagt habe, was alle hören wollten. Damit schreibt Kurt sich eine sprachlich-kommunikative Fähigkeit zu, die – zumindest für Kurt – zum Erfolg führt. Er entspricht den Erwartungen der Lehrkräfte an die Selbstpräsentation der Kinder, die an Partizipationsgremien teilnehmen, dahingehend, dass er im Rahmen seiner Kandidatur zum Stadtpräsidenten eine Rede schreibt und vorträgt. Er zeigt dabei zum einen elaborierte sprachliche Fähigkeiten, zum anderen macht er aber auch deutlich, dass er Einblick in das Funktionieren demokratischer Wahlprozesse hat, wenn er entsprechend der Erwartung reagiert, gewählte Vertreterinnen und Vertreter sollten die Interessen des «Wahlvolkes» erfassen und vertreten. Dieses Erfassen der Wünsche und Interessen der zu vertretenden Wählerinnen und Wähler sowie deren Darstellung in seiner Wahlrede hat seines Erachtens dazu geführt, dass er mit großem Vorsprung als «Volksvertreter» gewählt wurde. Dass diese Wahlversprechen dann nicht umgesetzt werden konnten, führt er auf äußere Begrenzungen zurück: «am Schluss ist es einfach nicht gegangen».
Neben einem grundlegenden Verständnis demokratischer Abläufe sowie den sprachlichen-kommunikativen Fähigkeiten, die hier auf der Ebene des «Redenschreibens» und «Vortraghaltens» liegen, werden von den Kindern noch weitere Aspekte geschildert, die den Zugang zu einem Partizipationsgremium begünstigen können. Pascal etwa ist Mitglied des Schülerrats und führt seine Wahl nicht auf sprachliche, sondern auf soziale Fähigkeiten zurück:
«I: Mhm. Okay. Du und wie kam es denn dazu, dass du in den Schülerrat gekommen bist?
P: Also das haben sie gesagt in der Schule. Und dann hat es eine Abstimmung gegeben (I: Mhm). Wir mussten einen Wahlspruch machen (I: Mhm) und so. Und dann weil ich so ein Netter bin und fast allen helfe, also allen eigentlich, haben fast alle mich gewählt.» (Pascal, Rosenberg)
Aus Sicht dieses Kindes kommt es weniger auf die erfolgreiche Selbstpräsentation als politischer Vertreter mit dem eigenen «Wahlspruch» und dessen Inhalte als vielmehr auf die Beliebtheit in der Klasse an, wenn es darum geht, als deren Vertreterinnen und Vertreter ausgewählt zu werden. Während für Kurt das Halten einer «beschwingten Rede» (Rieker et. al 2016, 131) und die erfolgreiche Selbstpräsentation zum Erfolg führen, sieht Pascal sich durch die erfolgreiche Wahl in seinem Selbstverständnis als hilfsbereites und empathisches Kind bestätigt (ebd.).
Aus diesen empirischen Beispielen wird ersichtlich, dass die in partizipative Gremien gewählten Kinder sehr gut in der Lage sind, die Erwartungen der die Wahlverfahren strukturierenden Lehrkräfte zu antizipieren und zu «bespielen». Neben dem Wissen über demokratische Abläufe, das aus Kurts Schilderungen spricht, sind dafür aus Pascales Perspektive neben dem Wahlspruch auch seine Persönlichkeit und seine Beliebtheit relevant. Für die Schülerinnen und Schüler ergibt sich in der Folge durch die Möglichkeit der Teilnahme an Gremien ein Ermächtigungs- und Lernumfeld, in dem der gekonnte Einsatz des Habitus als politisch agierender Schüler weiter eingeübt werden kann. Die Kinder, die die Regeln des «Spiels» (Bourdieu 2005) beherrschen, und die auf der Basis des impliziten Wissens um die gewünschten Anforderungen der Teilnahme in schulischen Partizipationsgremien mitarbeiten, erlangen darüber innerhalb der Peergroup, ebenso wie im schulischen Feld die privilegierte Position, «mehr» mitbestimmen zu können als andere. Die Unmöglichkeit der Teilnahme hingegen kann mit Ausschlusserfahrungen, aber auch mit der Etablierung von Konkurrenzverhältnissen unter den Kindern einhergehen, die von diesen nicht explizit auf unterschiedliche sprachliche Fähigkeiten zurückgeführt werden. Die Perspektiven der «teilnehmenden» Kinder werden daher im Folgenden mit der Perspektive von Kindern kontrastiert, die nicht Teil der als privilegiert konnotierten Gremien sind. So ist etwa Violetta, die anders als Pascal nicht in einer bildungsbürgerlichen Familie aufwächst, kein Mitglied des Schülerrates.
Pascal erfährt in der Klasse auch dadurch Anerkennung, dass er in ein Gremium gewählt wird, dessen Mitgliedschaft von den Kindern als Privileg verstanden wird – und sei es nur aus dem Grund, dass die Schülerratssitzungen in der Schulzeit stattfinden und durch die Teilnahme eine Freistellung vom Unterricht erfolgt. Für Violetta hingegen entstehen im Kontext von Partizipationsmöglichkeiten situative Ausgrenzungserfahrungen. Dies lässt sich hinsichtlich der Teilhabe an Entscheidungsmöglichkeiten in einem weiteren Schulprojekt aufzeigen. So erzählt sie etwa vom Bau einer Geisterbahn, die sie in der Klasse anlässlich der Schulfaschingsfeier mit der Lehrperson gemeinsam gestaltet haben:
«I: Mhm. Und wie habt ihr das [den Bau der Geisterbahn] entschieden? Also du hast gesagt, ihr habt dann so in zwei Gruppen eingeteilt.
V: Immer in Gruppen gemacht, aber ich hatte keine Gruppe, meine Lehrerin hatte mich vergessen, also hat sie entschieden ich solle eine Gruppe wählen, wo ich sein darf.
I: Und wie war das für dich, dass sie dich vergessen hat?
V: Ein bisschen schlimm.
[…]
I: Und wie ging es dir damit?
V: Ein bisschen schlecht, weil manchmal schließen sie mich aus.
I: Wie meinst