Sprache und Partizipation im Schulfeld (E-Book). Stefan Hauser

Sprache und Partizipation im Schulfeld (E-Book) - Stefan Hauser


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schriftliche Sprachgebrauch, desto selbstverständlicher können sich die Sprechenden in den verschiedenen Kontexten aufhalten und desto wirksamer können sie ihr Sprechen und Handeln erfahren. Sich über (pädagogische) Partizipationsgelegenheiten als Akteurin beziehungsweise Akteur zu erfahren, die oder der «mehr mitbestimmen» kann als andere, wie das Pascal im Interview ausdrückt, erscheint als eine Eröffnung von Möglichkeiten, auch in anderen Kontexten die Erwartung zu entwickeln, an «Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen» (Reichenbach 2006, 54) aktiv teilzunehmen. Dies scheint allerdings in institutionalisierten schulischen Partizipationsgremien als Orten politischer Bildung nur in beschränktem Maße für alle Kinder möglich (vgl. auch Rieker et al. 2016, 170–176). Als Kandidierende stellen sich hier vor allem solche Kinder zur Wahl, die als (sprach-)kompetente «Politiker/ -innen» auftreten – wie Kurt im obigen Zitat, der von sich sagt, er habe den Mitschülerinnen und Mitschülern im Zuge seiner Kandidatur eben erzählt, was diese hören wollten, und wurde daraufhin von diesen gewählt (vgl. auch Rieker et al. 2016, 131). Damit bieten Settings wie der Schülerrat den Kindern auch die Möglichkeit von Selbstwirksamkeitserfahrungen, wenn sie sich als «selbstbestimmte Akteurinnen und Akteure» erleben (vgl. ebd., 127), Verantwortung für andere übernehmen und stellvertretend für diese handeln. Andere wiederum – und es sind meist solche, die weniger dem bildungsbürgerlichen Habitus entsprechen – erhalten durch fehlende Voraussetzungen aufgrund der ihnen zugeschriebenen fehlenden (sprachlichen) Kompetenzen keinen Zugang zu diesen Bildungsorten. In einigen Fällen wird das in Interviews nicht als ein Erleben eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten deutlich, weil die entsprechenden Kinder institutionalisierten Mitbestimmungsmöglichkeiten weniger oder keine Bedeutung beimessen – möglicherweise auch deshalb, weil ihnen die Hürde des Zugangs zu hoch erscheint. In anderen Fällen aber erscheint die fehlende Möglichkeit der Teilnahme als Ausschluss und wird als Ausgrenzung wahrgenommen, wie die oben zitierten Schilderungen von Violetta deutlich machen. Die Wahrnehmung des Schülerrates als ein privilegierter Bildungsort, der mit Ausschlusserfahrungen für manche Kinder einhergehen kann, zeigt sich im empirischen Material sehr deutlich (vgl. auch: Rieker et al. 2016) und hat für die Kinder durchaus Verlusterfahrungen an «Entscheidungsmacht» (ebd., 129 f.) zur Folge. Wie die Kinder damit umgehen, ist jedoch sehr unterschiedlich: Während die einen die Teilnahme am Schülerrat als erstrebenswert betrachten, um sich als selbstwirksam und damit sozial anerkannt zu erleben (ebd.), begehren andere insofern gegen Handlungserwartungen auf, als sie selbst Praktiken des Ausschlusses praktizieren und gleichzeitig die (privilegierten) Zugangsmöglichkeiten zu den Gremien anerkennen.

      Wenn man nun die Möglichkeiten ausloten möchte, der Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Kontext von Sprache, Partizipation und Schule entgegenzuwirken, läge es im Interesse aller Kinder, das Angebot an Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule vor dem Hintergrund der oben präsentierten Analysen so zu gestalten, dass alle Kinder davon profitieren, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Partizipationsgremien könnten dann weniger «Förderort» der ohnehin schon privilegierten Kinder, sondern vielmehr Übungsfeld für diejenigen sein, die die im Sinne «gelingender» Partizipation geforderten (sprachlichen) Fähigkeiten erst erlernen und habitualisieren müssen. Das erfordert aber auch, die pädagogischen Fachkräfte davon zu entlasten, eine in jedem Fall «gelingende» Mitbestimmungspraxis zu realisieren, die sich performativ in einer erfolgreichen Selbstpräsentation der Schülerinnen und Schüler als Schülerräte, aber auch in diskursiven Aushandlungsprozessen auf der Basis eines Austausches von Argumenten zeigt (vgl. Rieker et al. 2016, 176). Eine Möglichkeit der Entlastung könnte möglicherweise sein, den im Schülerrat schon höherschwelligen «Förderort», der per se mit einer Auswahl einhergehen muss, in den Klassenrahmen vorzuverlegen, in dem alle Kinder anwesend sind. So könnten regelmäßige Klassenratssitzungen genutzt werden, um eben jene Fähigkeiten, die aus Sicht der Lehrpersonen für die Teilnahme am Schülerrat nötig sind, in einem niederschwelligeren Rahmen und vor allem mit allen Kindern einzuüben. Dabei sollte man beachten, Möglichkeiten des Lernens bereitzuhalten, die im Sinne von Bildungsprozessen (Koller 2010) auch mit Brüchen, Irritationen und Scheitern einhergehen können – sowohl mit Blick auf die Kinder als auch die Lehrpersonen. Eine Rede muss nicht von Beginn an «beschwingt» und in vollendeter Form «aufgeführt» werden, sondern für die Teilnahme am Schülerrat notwendige sprachlich-kommunikative Fähigkeiten, wie beispielsweise das Halten einer Rede und die damit einhergehenden Fähigkeiten der Selbstpräsentation, sowie die Formulierung und der Austausch von Argumenten oder das Leisten von Überzeugungsarbeit, ließen sich im Setting des Klassenrates mit allen Kindern einüben. Dieser könnte so für alle Schülerinnen und Schüler eine niederschwellige Möglichkeit darstellen, Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse gemeinsam zu erfahren und zu erproben. Denn für die Teilhabe an politischen Gremien wie dem Schülerrat werden von den befragten Lehrpersonen nicht nur die entsprechenden Fähigkeiten der Kinder als notwendige Voraussetzung benannt, vielmehr werden diese dann auch als eine Bildungsaufgabe verstanden.

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