Geschichte der Kapverdischen Inseln (E-Book). Daniel Moser-Léchot
in der lokalen Kirchgemeinde mündlich vermittelte Wort von grosser Bedeutung. Die Kirche begleitete den Menschen mit den Sakramenten bei Taufe, Heirat und Tod durch das Leben. Die Gemeinschaft der Gläubigen partizipierte am Kirchenleben, wie auch am Bau und Unterhalt der Kirchen auf Santiago. Durch fromme Spenden war der Schmuck der Kirchen möglich, der allerdings heute weitgehend verschwunden ist.
Die Pfarrer hatten nach den Beschlüssen des Konzils von Trient die christliche Doktrin zu lehren. Sie gehörten zu den wenigen Leuten auf Cabo Verde, die lesen und schreiben konnten. Viele Pfarrer stammten aus der lokalen, sklavenhaltenden Elite, entsprechend verhielten sie sich auch gegenüber den Sklavinnen und Sklaven und vertraten die Interessen der Sklavenhalter. Die Jesuiten stellten fest, dass ein grosser Teil der Sklavinnen und Sklaven noch zu unterrichten sei, hätten sie doch nur diffuse Kenntnisse der katholischen Religion, vermittelt durch die Pfarrer und die Herren.
Die Sklavenhalter nahmen die Sklavinnen und Sklaven aus Gründen des Sozialprestiges in die Kirche mit. Die Kirche trug insofern zur sozialen Kohäsion bei, als sich hier Weisse, Mestizinnen und Mestizen, Herren, Freigelassene sowie Sklavinnen und Sklaven zur Liturgie und zu den christlichen Festen trafen. Nach den Vorgaben des Tridentinums erfolgte eine Verschriftlichung der wichtigen kirchlichen Ereignisse, wie Taufen, Heiraten und Beerdigungen.
Die Mission auf Cabo Verde unterschied sich stark von anderen missionarischen Aktivitäten in Afrika. Die Bevölkerung auf Cabo Verde war sehr mobil und die Aufenthalte vieler waren nur von kurzer Dauer. Eine gewisse Stabilisierung trat erst nach 1620 ein. Die Bevölkerung entstand aus freiwilliger europäischer und erzwungener afrikanischer Immigration. Diese beiden Migrationsgruppen hatten komplett unterschiedliche materielle, kulturelle und religiöse Hintergründe, wobei die Europäer und Europäerinnen unter den neuen Bedingungen nicht völlig entwurzelt wurden. Sie hielten relativ leicht an der «Nabelschnur» zu ihren Ursprüngen fest, durch die sozialen Bindungen und durch die materiellen und geistigen Güter, wie auch durch die Präsenz der Kirche.
Den Sklaven und Sklavinnen aus den verschiedenen Regionen Westafrikas blieben bloss ihr Körper und ihre Erinnerungen. Alle Verbindungen zur Heimat wurden abgebrochen – obwohl diese in den afrikanischen Gesellschaften wichtig sind. Für sie war alles anders: die Menschen, das Land, die Ernährung, die Arbeit, die Lebensbedingungen und die Religion.
Auf Cabo Verde gab es zwei Stufen der Missionierung: vorerst die Städte, danach das Land. In der Stadt war die Religion wesentlich besser verankert als auf dem Lande. Die Gegenwart der Geistlichen wurde allgemein von Sklaven und Freigelassenen begrüsst. Die katholische Religion war zwar die Religion der Mächtigen, der Herren, der Sklavenhalter, aber man versprach sich von ihr Balsam gegen die Brutalität, Vergewaltigung und Ausbeutung durch die Herren.69 Über das moralische Verhalten des Klerus gibt es seit dem 17. Jahrhundert zahlreiche Hinweise, so in Begnadigungsschreiben für illegitime Kinder. Schon das Konzil von Trient hatte festgestellt, dass die Einhaltung des Keuschheitsgebotes in den Tropen schwierig sei.70 Bis ins 20. Jahrhundert gibt es viele Geschichten über Pfarrer, die Väter zahlreicher Kinder waren.
Die verschiedenen Bruderschaften spielten im religiösen Leben von Ribeira Grande eine wichtige Rolle, beispielsweise die «Confraria de Misericórdia». Sie war der Confraria in Lissabon nachgebildet und erhielt 1594 die gleichen Privilegien. Es ging darum, gute Werke zu tun, das heisst den Hungrigen Essen zu geben, den Obdachlosen ein Dach anzubieten, die Nackten zu kleiden, die Kranken zu besuchen, die Toten zu begraben und die Waisen zu erziehen und bei sich wohnen zu lassen. Die Bruderschaft der Misericórdia engagierte sich vor allem auch im Spital gleichen Namens in Ribeira Grande. Zu diesem Spital gehörten eine Apotheke und Pflegepersonal sowie ein Arzt. Während der Hungersnot von 1610 kaufte die Bruderschaft in Guinea Hirse ein, ein Getreide, das in normalen Zeiten nur Sklavinnen und Sklaven als Nahrungsmittel diente. Die Misericórdia war auch Empfängerin von reichen Spenden und Vergabungen. Die Wirtschaftskrise führte jedoch auch sie in finanzielle Schwierigkeiten.
1612 bestanden in Ribeira Grande sieben Bruderschaften, so zur Dreieinigkeit, zum Namen Jesu, zum Heiligen Jâcome und zur Nossa Senhora do Rosário. Ferner bestanden die Bruderschaften zum Heiligen Jacinto, zum Heiligen Kreuz und zum Fegefeuer. Die Mitglieder der Bruderschaften waren verpflichtet, an den Prozessionen und den Begräbnissen teilzunehmen. Wiederholt gab es aktenkundige Streitigkeiten um die Sitzordnung in der Kirche: Die Mitglieder höherer Stände beanspruchten, besonders nahe am Altar zu sitzen.
Die religiösen Feste wurden ausgiebig mit Umzügen, Kanonenschüssen und Essen gefeiert, an Fronleichnam wurde getanzt, der Heilige Georg ritt samt Drachen durch die Gassen.71
Der Klerus auf Cabo Verde setzte sich zwischen 1460 und 1560 fast ausschliesslich aus Portugiesen zusammen. Nach 1570 mehrten sich die Bemühungen, einheimische Männer für das Priesteramt zu gewinnen. Cabo Verde war nun als Auswanderungsland nicht mehr interessant. Die Jesuiten trauten den Afrikanern das Priesteramt ohne weiteres zu, nach 1600 erfolgte eine allmähliche Afrikanisierung der Priesterschaft. Die Jesuiten kritisierten allerdings den Bildungsstand der einheimischen Priester.
Der Klerus beteiligte sich am Sklavenhandel und hielt als Landeigentümer selber Sklavinnen und Sklaven. Die Jesuiten diskutierten über die Rechtmässigkeit der Versklavung von Menschen und kamen zum Schluss, dass die Sklaverei in den meisten Fällen unrechtmässig sei.72 Diese Feststellung wurde allerdings nicht praktisch umgesetzt: Der Orden selbst hielt Sklavinnen und Sklaven. Die römisch-katholische Kirche weist eine lange Tradition auf Kap Verde auf und übt noch heute einen grossen Einfluss auf Gesellschaft und Staat aus.
1Zum Lehen vgl. Bernecker Walther R., Herbers Klaus: Geschichte Portugals. Stuttgart 2013, 111; Albuquerque Luís de, Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Vol. I. Lissabon, Praia 2001, 15f.
2Albuquerque Luís de, Santos Maria Emília Madeira, op. cit. 2001, 30f.; Barcellos de Senna Christiano José de: Subsídios para a história de Cabo Verde e Guiné, Vol. I. Praia 2003, 25ff.
3Vgl. dazu auch Boxer C. R.: The Portuguese Seaborn Empire 1415–1825. London 1969, 87. Boxer beschreibt die doação als Mischung zwischen feudalistischen und kapitalistischen Elementen.
4Albuquerque Luís, Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Corpo documental I. Lissabon, Praia 1988, 17f.
5Carreira António: Cabo Verde: Formação e extinção de uma sociedade escravocrata (1460–1878). Praia 1983, 28; Silva António Leão Correia e: Histórias de um Sahel insular. Praia 1996, 15.
6Carreira, op. cit. 1983, 29ff.; Albuquerque et al., op. cit. 1988, , 19ff; Silva, op.cit 1996, 17; Cabral de Ataíde Iva Maria: A Primeira Elite colonial Atlântica. Dos «homens honrados brancos» de Santiago à «Nobreza da terra». Finais do Séc. XV–Início do Séc. XVII. Praia 2015.
7Albuquerque et al., op. cit. 1988, 25ff.
8Barcellos, op. cit. 2003, 38ff.
9Evans C., Sørensen M., Allen M., Appleby J., Casimiro T., French C., Scaife R.: Finding Alcatrazes and early Luso-African settlement on Santiago Island, Cape Verde. Antiquity, 91(358), E8, 2017, 104. doi:10.15184/aqy.,
10Young Crawford: The African Colonial State in Comparative Perspective. New Haven, London 1994, 53.
11Domingues Ângela: Administração e instituições: transplante, adaptação, funcionamento, in: Albuquerque et al., op. cit. 2001, 48.
12Albuquerque et al., op. cit. 1988, 183ff.; Domingues, op. cit. 2001, 52; über die einzelnen Lehensherren vgl. 53: Fogo; 55: Maio mit Afonso, Coelho und da Cunha; 56: Santo Antão mit Fonseca und Sousa; 57: Brava, Sal, Santa Luzia, Branco und Raso mit da Fonseca und Pereira.
13Baleno