Pechwinkel. Martin Arz
habe ein Dach überm Kopf. Ich lebe nicht auf der Straße, falls Sie das wissen wollten.«
»Schön für Sie. Sehen Sie, war doch gar nicht so schwer. Und warum sind Sie dann hier?«
»Kumpels besuchen auf ein Bierchen.« Der junge Kerl zuckte mit den Schultern und pulte am Etikett seiner Bierflasche herum.
»Was willst du, Meister?«, fragte der Zahnlose.
Max Pfeffer holte das Foto der toten Erna Kubelik hervor. »Kennt jemand von Ihnen die Frau?« Er zeigte es im Kreis herum. Alle nickten.
»Die Paloma«, sagte der Zahnlose.
»Paloma«, echoten die anderen.
»Lange nimmer gesehen, die Paloma«, sagte der Mann mit dem Glasauge.
»Stimmt«, bestätigte der Zahnlose. »Was ist mit ihr?«
»Paloma?«, fragte Pfeffer. »Das ist Erna Kubelik …«
»Weiß schon«, unterbrach der mit der Stirndelle und dem kaputten Auge. »Die Erna. Für uns ist sie die Paloma. Gell?« Er rempelte seinen Nebenmann an, der faltige Blondschopf mit dichtem struppigem Haar begann zu grinsen. Pfeffer hatte den Eindruck, dass der Mann ein wenig zurückgeblieben war. »Die war eine Nette.« Alle nickten. »Eine ganz feine Person. Was zu Essen gabs bei ihr manchmal. Die konnte kochen! Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat …« Zustimmendes Brummen.
»War?«, fragte Pfeffer.
»Hör mal, Meister«, sagte der Zahnlose und sein Blick wurde finster. »Veräppeln können wir uns selber. Jeder, der zwei Augen im Kopf hat, oder selbst unser einäugiger Zyklop hier, sieht auf dem Foto, dass die Frau tot ist. Ich vermute mal, dass es die Leiche war, die man gestern im Bach unter uns gefunden hat.« Er deutete auf die Erde. Die anderen sahen ihn überrascht an. »Stand doch heute in der Zeitung. Lest ihr keine Zeitung?«
»Richtig. Aber es scheint keinen von Ihnen wirklich betroffen zu machen.«
»Wieso auch«, sagte der Zahnlose. »Wenn sie tot ist, hat sies jetzt besser. Wir kannten sie halt. Mehr auch nicht. Sie war eine Nette, hat da drüben gewohnt.« Er deutete hinter sich auf das Haus am Eck. Pfeffer folgte der Handbewegung und sah Annabella Scholz am Fenster von Erna Kubeliks Wohnung stehen, die Arme verschränkt und grinsend. Er zwinkerte ihr zu. »Sie hat sich manchmal um uns gekümmert. Nicht immer. Sie konnte verdammt launisch sein. Dann hat man sie tagelang nicht gesehen. Wochenlang. Manchmal hat sie aber was zu trinken gebracht, manchmal was zu essen …«
»Und manchmal durfte man mit zu ihr«, ergänzte der Einäugige mit der Stirndelle und rempelte prustend seinen Nebenmann an.
»Halt doch deine Klappe, Idiot«, sagte der Zahnlose.
»Mit zu ihr?«, fragte Pfeffer. »Durften Sie bei ihr übernachten, oder wie?«
»Na ja, baden durfte man bei ihr, wenn sie in der Laune war «, sagte der Einäugige. »Ich durfte das. Und unser Jerzy hier auch.« Er rempelte wieder seinen Nebenmann an, der verschämt grinste und Rotz die Nase hochzog. »Der Sepp ist nur neidisch, weil sie ihn nicht mitgenommen hat, weil er ihr zu hässlich war. So ohne Zähne.«
»Ihr habt doch keine Ahnung, ihr asoziales Pack«, rief der zahnlose Sepp. »Und ob ich bei ihr baden durfte!«
»Habe ich das eben richtig verstanden«, sagte Max Pfeffer. »Sie alle waren also schon mindestens ein Mal bei Erna Kubelik in der Wohnung …« Er machte eine Kunstpause.
»Ich nicht«, sagte der junge Mann. »Ich kann mich beherrschen, bei einer alten Assel zu baden.«
»Klar, unser Mirko, der lässt sich ja beim Duschen zuschauen, wenn …«, sagte der zahnlose Sepp und Blondschopf Jerzy grinste.
»Halts Maul, Sepp«, antwortete der junge Mann, der Mirko hieß, und trank einen Schluck aus seiner Augustiner-Flasche.
»Frage an Sie alle, außer natürlich an Sie, junger Mann«, sagte Max Pfeffer. »Ist Ihnen in der Wohnung von Frau Kubelik irgendetwas aufgefallen? Hatte sie Wertgegenstände? Schmuck? Irgendetwas Wertvolles?«
Alle lachten. Pfeffer fiel auf, dass der blonde Jerzy immer erst dann lachte oder grinste, wenn die anderen es taten. Der Einäugige wurde zuerst wieder ernst. »Was denken Sie, Herr Kriminalmeister. Sie hatte ihre Rente und ein Dach über dem Kopf. Das ist schon verdammt wertvoll.«
»Und wie oft waren Sie bei ihr?«
»Selten, viel zu selten.«
»Wann zuletzt?«
»Keine Ahnung. Im Oktober oder so. Du, Jerzy?« Er rempelte seinen Nebenmann erneut an. Der Blondschopf zuckte mit den Schultern und lachte.
»Sie verstehen gar nicht, was ich sage, oder?«, fragte Pfeffer den Blondschopf direkt.
Der sah ihn erschrocken an. »Nix deutsch«, sagte er dann.
»Dachte ich mir schon«, murmelte Pfeffer. Jerzy setzte wieder ein breites Grinsen auf.
Der zahnlose Sepp lachte. »Schlau kombiniert, Meister. Na, dann hatte ich ja wohl als Letzter das Vergnügen. Ich war Anfang Dezember bei ihr. Fichtenschaumbad. Herrlich. Und sie hatte eine Flasche echten Glühwein vom Nürnberger Christkindlmarkt.« Er sah versonnen in die Ferne.
»Eine Frage noch, meine Herren«, sagte Max Pfeffer. »Warum nennen Sie sie denn Paloma?«
»Na, wegen dem Auto«, sagte der Einäugige.
»Blödsinn! Ihr Lieblingslied. La Paloma, ade, auf, Matrosen, ohé!«, fing der Zahnlose an zu singen und der Einäugige stimmte sofort erstaunlich textsicher in den Hans-Albers-Klassiker mit ein. »Ein Wind weht von Süd und zieht mich hinaus auf See, mein Kind, sei nicht traurig, tut auch der Abschied weh. Mein Herz geht an Bord und fort muss die Reise gehn, dein Schmerz wird vergehn und schön wird das Wiedersehn …«
Jerzy sang »la la la« mit. Mirko schüttelte amüsiert den Kopf und tippte sich an die Stirn.
06
»Ich weiß nix«, sagte der alte Mann und schüttelte energisch den Kopf. Er nippte an seinem Bier und sah Max Pfeffer mit wässrig blauen Augen misstrauisch an. Ein Mix aus lange abgestandenem Zigarettenqualm und altem Bratfett machte die Räume stickig. Bei dem mit einer grauen Plane eingerüsteten Haus in der Pestalozzistraße hatte Max Pfeffer vorhin bei Xylander lange Sturm geklingelt und hatte schon gehen wollen, weil niemand öffnete. Da war eine Frau aus dem Haus gekommen und hatte auf Pfeffers Frage nach Bertram Xylander gesagt: »Den finden Sie vorne in der Stehkneipe in der Westermühlstraße, wenn er nicht da ist.«
Die Stehkneipe hatte Pfeffer schnell gefunden. Countrymusik dudelte aus den Lautsprechern. Pfeffer stellten sich die Nackenhaare auf. Die dicke Wirtin hatte wortlos mit einer Kopfbewegung auf den alten Mann gewiesen, der alleine auf einem Barhocker an einem der Stehtische saß. Neben ihm stand eine große Plastiktüte eines Elektromarkts. Außer ihm befand sich noch ein weiterer alter Mann im Raum, der aus dem Fenster starrte und dabei unablässig mit dem Unterkiefer mahlte.
»Wollen Sie sich setzen?« Xylander deutete auf einen abgewetzten Barhocker.
Pfeffer setzte sich. »Herr Xylander, Sie haben Frau Kubelik als vermisst gemeldet.«
»Na ja, ich hab sie halt gekannt, die Erna.« Er zuckte mit seinen gebeugten Schultern. Bertram Xylander rieb sich mit schwieligen Händen über das faltige Gesicht. Seine Haltung und seine Hände verrieten, dass er sein Leben lang körperlich schwer gearbeitet haben musste. »Sie war früher ein lebenslustiger Mensch. Wir haben oft mal was unternommen. Der Alkohol. Ja, dann kam der Alkohol, und sie wurde immer launischer in all den Jahren.« Er warf die Hände in die Luft.
»Wie lange kannten Sie sich denn?«
»Ewig. Ewig und drei Tage. Schon als Kinder kannten wir uns. Wir sind im selben Haus aufgewachsen. Vorne in dem Haus, in dem sie immer noch gewohnt hat. Sie ist dort aufgewachsen und gestorben. Ich bin als junger Mann ausgezogen. In meine Wohnung. Gleich ums Eck. Und jetzt soll ich raus. Wird luxussaniert. Wie