Der Gottstehunsbei. Martin Arz
Tassilo Stubenruß«, stellte Oberrichter Fenggen vor, »das ist Ludwig Gröbner, der für Taufkirchen zuständige Richter vom Landgericht Wolfratshausen.«
»Angesichts der Umstände hier«, sagte Tassilo, »kann ich leider nicht sagen, dass es mich freut, werter Herr Ludwig.«
»Nur zu verständlich, werter Herr Tassilo«, antwortete Richter Gröbner und strich sich mit der linken Hand über den schwarz glänzenden Bart. »Man hat den Koberbauern so gefunden. Komplett aufgeschlitzt, alle seine inneren Organe sind entnommen, aber wieder in den Körper hineingelegt worden. Es fehlt nichts. Wir haben den Leichnam untersuchen lassen. Sowohl der Bader als auch der Henker haben uns versichert, dass alle Organe vorhanden sind.«
»Habt Ihr keinen Medicus, der etwas kompetenter Auskunft geben könnte?«, fragte Tassilo.
»Einen Medicus? Ihr Städter redet euch leicht«, sagte Richter Gröbner spitz. »Wozu braucht es hier außerdem einen Medicus, wenn jeder Dorfdepp sehen kann, woran der Koberbauer gestorben ist.«
»Nun, woran ist er denn gestorben, der Koberbauer?«, fragte Tassilo ebenso spitz. »An der Entnahme der Organe? Oder daran, dass man ihm alle seine Knochen und das Genick gebrochen hat? Oder dass man ihn wie eine Sau aufgeschlitzt hat? Oder …«
»Ich würde sagen, an einer Kombination aus allem«, antwortete der Landrichter trocken.
»Ist er in dieser Position gefunden worden?«, fragte Tassilo.
»Wie? In dieser Position?« Die anderen Männer sahen ihn fragend an und die Magd hörte zu schluchzen auf. »Meint Ihr hier auf dem Tisch liegend?«, sagte Bürgermeister Wilprecht und zog amüsiert die Augenbrauen hoch. Was für ein Hornochse, dachte sich Tassilo.
»Nein, natürlich nicht«, sagte der Landrichter. »Es spielt ja keine Rolle, wie man ihn gefunden hat, oder?«
»Tut es nicht? Findet Ihr nicht, dass die Lage des Toten und die Umgebung eine Rolle bei der Aufklärung eines Verbrechens spielen?«
»Nein, gewiss nicht.« Landrichter Gröbner lachte, und auch der Oberrichter schüttelte amüsiert den Kopf. Noch ein Hornochse, dachte sich Tassilo und wünschte sich, dass die anderen endlich aufhörten, durch ihr Gefuchtel ständig die fetten Fliegen aufzuscheuchen. Lasst sie sich setzen und beruhigen, dachte er. Das Gesurre nervte enorm.
»Nun gut.« Tassilo deutete auf die Magd, die mit großen Augen und rotzender Nase die Herren beobachtete. »Und dieses Weib hat den Koberbauern umgebracht, oder? Verzeiht, Herren, wenn ich lache, aber dieses schwache Mädchen kann unmöglich den Kerl hier aufgeschlitzt und so zugerichtet haben.«
»Das denke ich auch«, pflichtete der Fenggenmuck bei.
»Ich war es nicht, meine edlen Herren!«, fing die junge Frau wieder zu greinen an. »Habt Mitleid mit einer armen Magd.«
»Nein, sie war es nicht. Wir haben bereits die nötigen Beweise dazu nach modernsten Erkenntnissen in Wolfratshausen erbracht. Wir können diese Beweisführung aber für die Herren, vor allem unseren Herrn Tassilo, gerne wiederholen. Komm her, Anni. Keine Angst. Na los, du dummes Ding.« Landrichter Gröbner packte die Magd am Handgelenk und zog sie zur Leiche. Das Mädchen wimmerte und drehte den Kopf weg. »Seht Ihr, meine Herren! Nichts«, sagte der Landrichter triumphierend. Er nahm die Hand der Magd und legte sie dem Toten auf den Kopf. »Und auch hier: Nichts!« Er ließ die Hand los. Das Mädchen stürzte zurück in ihre Ecke, wo sie jammernd zusammensackte und ihre Hand schüttelte, als sei sie verbrannt.
Der Fenggenmuck schnaubte empört, ging zu der Magd und reichte ihr ein frisches Tuch. Seine Weichherzigkeit gegenüber dem einfachen Volk war nur zu bekannt.
»Meine Herren, Ihr habt es selbst gesehen.« Ludwig Gröbner hob dozierend den rechten Zeigefinger. »Ihr wart Zeugen des Beweises, dass diese Magd unmöglich die Mörderin des Koberbauern gewesen sein kann.«
»Wie das?«, fragte Tassilo verwundert. »Was haben wir denn gesehen?«
»Nichts. Und genau das ist es.« Gröbner deutete auf die Leiche. »Es ist hinlänglich bekannt, dass der menschliche Körper durch das Gleichgewicht der vier Säfte, als da sind Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle, gesteuert wird. Da könnt ihr jeden Medicus fragen.«
Oberrichter Fenggenbartel nickte wohlgefällig.
»Besonderes Augenmerk«, so fuhr Gröbner fort, »gilt natürlich dem Blut. Schon der große antike Medicus Galenus von Pergamon hat festgestellt, dass im Herzen ein Feuer brennt, das den Blutfluss befeuert.«
»Verzeiht, wenn ich Euch korrigiere«, unterbrach der Oberrichter, »das ist nicht ganz korrekt. Laut Galenus brennt in der linken Herzkammer ein Feuer, das das Blut reinigt.«
»Wie dem auch sei«, der Landrichter kniff verärgert die Augen zusammen. »Wesentlich ist dennoch das Blut. Bekanntlich beginnt das Blut eines Mordopfers vor Empörung wieder zu fließen, wenn man den Täter nahe an die Leiche heranbringt. Seid Ihr zumindest da bei mir, werter Kollege?«
Der Fenggenbartel nickte.
»Gut, der Koberbauer ist nun schon einige Tage tot und nicht mehr im besten Zustand, aber darum habe ich die Hand der Magd auf die Leiche gelegt. Ihr habt es gesehen, nichts passierte. Sie ist unschuldig.«
»Ein Ordal?«, fragte Tassilo erstaunt. »Ein Gottesurteil? Hat sich nicht der Heilige Stuhl dagegen ausgesprochen?«
»Richtig.« Fenggenbartel nickte zustimmend. »Aber das hier ist kein Ordal. Das, mein lieber Herr Tassilo, mag Euch befremdlich vorkommen, aber das sind die anerkannten und modernsten Methoden zur Klärung von Verbrechen. Wobei ich schon anmerken muss, dass diese Probe nur gelingen kann, wenn die Leiche noch frisch ist. Der Zersetzungszustand des Opfers lässt einen eindeutigen Beweis nun nicht mehr zu.«
»Deshalb sagte ich ja, dass wir den Beweis bereits in Wolfratshausen erbracht haben, als die Leiche noch frisch war«, entgegnete Gröbner zickig.
»Nun gut«, sagte Tassilo. »Ihr seid diejenigen, die Erfahrung im Umgang mit Mördern und der Beweisführung bei Kapitalverbrechen habt. Dann verstehe ich aber nicht, warum diese Magd hier ist.«
»Die Anni hat den Koberbauern gefunden, und sie hat den Täter gesehen.«
»Na, dann ist doch alles bestens«, sagte Tassilo betont fröhlich und drehte sich Richtung Tür. Bloß schnell weg hier von dem grausigen Verwesungsgestank und dem Anblick des zerfledderten Leichnams. »Das Landgericht Wolfratshausen ersucht also um Unterstützung durch die Stadt München bei der Festnahme des Täters. Ich denke, das hätten wir eben in der Ratssitzung besprechen können.«
»Nicht ganz«, meldete sich Bürgermeister Hundertpfundt zu Wort. »Hört Euch erst an, wer der Täter ist, den diese Magd hier gesehen hat. Na los, Anni, sags dem Herrn.«
Die Magd machte zwei Schritte zurück und zerknüllte dabei mit ihren Händen die Schürze.
»Na, komm Dirndl«, sagte der Fenggenmuck aufmunternd. »Du bist hier sicher.«
Sie presste die Schürze kurz vors Gesicht, dann warf sie die Hände dramatisch von sich und schrie: »Der Gottstehunsbei. Der Gottstehunsbei wars! Ich schwöre es bei allen Heiligen und der Jungfrau Maria.« Sie brach schluchzend zusammen. Bedeutungsschwere Blicke zuckten durch den Raum. Hände fuhren nervös über Stirne und Lippen. Der Fenggenmuck und Bürgermeister Hundertpfundt bekreuzigten sich gleichzeitig. Bürgermeister Wilprecht küsste das große goldene Kruzifix, das er an einer Kette um den Hals trug.
»Der Gottstehunsbei«, echote Tassilo und zog eine Augenbraue hoch. »Schon wieder. Wie sah er denn aus, der Gottstehunsbei?«
»Furchtbar sah er aus.« Die Magd Anni zitterte am ganzen Leib. »Riesig! Mit so Hörnern oder einem Geweih oben und einen langen schwarzen Umhang hatte er und einen Stock und einen langen Schwanz hinten … und Feuer hat er gespuckt. Ganz furchtbar eben. Und Hände wie Krallen …«
»Und was hast du gemacht, Anni? Hast du geschrien oder was? Wenn du so nah dran warst, warum hat der Leibhaftige dich dann gehen lassen?«
»So