Der Gottstehunsbei. Martin Arz

Der Gottstehunsbei - Martin Arz


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wert, wie so viele andere Töchter aus gutem Hause, die seinem Charme erlegen waren. Doch Petronella blieb stets kalt wie Eis. Die demonstrative Sittsamkeit und Keuschheit mochte andere reizen, ihn nicht. Man konnte es mit der Keuschheit auch übertreiben. Außerdem – da war er ganz Poet und Romantiker – wollte Tassilo aus wahrer Liebe heiraten.

      »Danke, das ist ein überaus großzügiges Angebot, aber ich werde bei Eurem Neffen erwartet. Beim Mathes.«

      »Ich verstehe.« Oberrichter Fenggenbartel schenkte seinem Bruder einen vernichtenden Blick.

      Im Gehen wandte sich Tassilo noch einmal um. Verdammtes, lästiges Verantwortungsgefühl. »Was passiert mit der Magd?«

      »Die bringe ich unter«, antwortete der Fenggenmuck. »Das arme Ding ist ganz verstört und braucht Ruhe. Und wenn Ihr dann morgen oder übermorgen losreitet, könnt Ihr sie mitnehmen …«

      »Wenn? Ich würde eher sagen: Falls!«

      3 Beim Fenggenmathes

      »Die sind doch alle nicht bei Sinnen«, fluchte Tassilo vor sich hin, als er in ausladenden Schritten über den Marktplatz stob. Stoffel, der Pferd und Maultier führte, hatte Schwierigkeiten, mit seinem Herrn Schritt zu halten. Die Bauern waren dabei, ihre Stände abzubauen, denn die Sonne senkte sich hinter dem Schönen Turm der Nacht entgegen. Bei Sonnenuntergang hatten alle Bauern, Fischer, Arbeiter, Bettler, Aussätzigen – kurz, alle die nicht das Münchner Bürgerrecht genossen, außerhalb der Mauern zu sein. Zwei Männer legten auf den Fischerbrunnen einen schweren, zweiteiligen Holzdeckel und schlossen ihn ab. Die lebenden Fische blieben für gewöhnlich über Nacht im Brunnen.

      »Ich bin ein Mann der schönen Künste! Nicht wahr, Stoffel?«

      »Ja, Herr!«

      »Und niemand, der in aufgeschlitzten Leibern herumwühlt und Gedärme herausnimmt.«

      »Oh nein, Herr!«

      »Und dem Beelzebub fröhlich entgegentritt und ihn in Ketten legt.«

      »Ganz sicher nicht, Herr. Aber es wäre hilfreich, wenn ich wüsste, wovon Ihr überhaupt sprecht, Herr.«

      »Das werde ich dir schon noch sagen, Stoffel, verlass dich drauf.« Tassilo rempelte unbedacht eine Bäuerin zur Seite, die das Gleichgewicht verlor und »Verzeiht, Herr« keuchend ihre Körbe mit den nicht verkauften Eiern platt drückte. »Oh, Herr, meine Eier!«, rief sie verzweifelt. »Meine Eier!«

      »Ja, und?« Tassilo stapfte weiter. »Ich sollte jetzt gleich zur hochwürdigen Frau Äbtissin ins Angerkloster gehen …«

      »Tut das nicht, Herr!«, rief Stoffel. »Man würde Euch zu dieser späten Stunde ohnehin nicht mehr vorlassen.«

      »Die sind alle nur in Panik, weil nächste Woche die große Dult losgeht. Da soll das Land sicher sein.« Abrupt blieb Tassilo bei einem Kräuterweiberl stehen. »Ach, du meine Güte! Was waren wir fahrlässig!« Er hustete kräftig und stieß energisch die Luft aus der Nase, unterließ es dann sofort, als Rotz mit herausflog. »He, du da, Weib. Gib mir Rosmarin, Myrrhe, und hast du Weihrauch? Nein? Dann Wachholder. Mehr!« Er warf der Frau eine Münze hin und zerrieb die Kräuter in seiner rechten Faust und hielt sie sich vor die Nase. Er inhalierte, so tief er konnte, saugte den Kräuterduft in die Lungen. »Was für leichtfertige Personen!«, stieß er hervor. »Warum habe ich nicht vorher daran gedacht!«

      »Was ist denn, Herr?«

      »Miasmen! Ich war in diesem widerwärtigen Keller einer Menge Miasmen ausgesetzt. Jeder, wirklich jeder weiß doch, dass die Ausdünstungen von Leichen übelste Krankheiten mit sich bringen. Und je verwester der Zustand, desto giftiger die Miasmen.«

      »Sicher, Herr, die schlimmen Miasmen!«

      »Eben. Selbst du weißt das! Aber glaubst du, dass nur einer von denen da unten im Keller daran gedacht hat, uns mit Kräutersäckchen oder Essigschwämmchen gegen diese Miasmen zu schützen?« Er klang nasal, weil er sein Gesicht so tief in den Kräutern verbarg. »Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät, mein lieber Stoffel. Wenn ich mir in dieser üblen Luft die Pest geholt haben sollte, dann verfluche ich die dort anwesenden Herren bis in die fünfte Generation, dass allen männlichen Nachkommen ihre kleinen Lanzen verfaulen und abfallen mögen!«

      Schnaufend stapfte Tassilo weiter über den Marktplatz, dann machte er auf dem Absatz kehrt, ging zurück zu der verzweifelten Eierfrau und warf ihr einige Münzen hin.

      »Glaubst du, ich merke nicht, dass du die ganze Zeit versuchst, meinen Hinterkopf mit vorwurfsvollen Blicken zu durchlöchern, Stoffel«, knurrte er beim Weitergehen. »Und jetzt wisch dir dein dämliches Grinsen aus dem Gesicht.«

      »Grinsen, Herr?«

      »Halt die Klappe.«

      »Und die Gurkenhemma nennt das immer meinen Welpenblick«, kicherte Stoffel. »Mein Gschau, mit dem ich alle umhau!« Er folgte seinem Herrn geradeaus in die Kaufinger Gasse und dann rechts ins Dunkle Gassl, an dessen Ende Matthäus Fenggen sein Haus besaß.

      Das Haus war für den Sohn eines der reichsten Salzhändler der Stadt nicht gerade repräsentativ, doch der Vater gestand seinem Sohn nicht mehr zu. Mathes schien sich nicht daran zu stören. Selbst der Ausblick war ihm egal. Man sah direkt auf den Friedhof, der die Marienkapelle umgab. Der Tod war allgegenwärtiger Teil des Lebens. Auf den Gräbern weideten Ziegen.

      Mathes wurmte es höchstens, dass sein Vater direkt nebenan in einem deutlich prächtigeren Haus wohnte. Er fühlte sich durch den Alten beobachtet und gegängelt.

      »Ja, so ist das. Das Blut gerät durch die Empörung wieder in Wallung«, sagte Mathes, als sie bei gewürztem Wein im Garten hinter dem Haus zusammensaßen, man musste jede regenfreie, halbwegs warme Abendstunde genießen. Ein kleines Windlicht ließ die Schatten tanzen. Es roch nach Heckenrosen und nach Pferden wegen der nahen Remisen. Glücklicherweise wehte nur sehr gelegentlich ein Lüftchen den Gestank vom nahen Abort herbei. Der typische Geruch in den Stadtgärten. »Das ist üblich.«

      »So etwas weißt du?«, fragte Tassilo.

      »Sicher doch.«

      »Hast du das schon einmal erlebt?«

      »Wie bitte?« Mathes richtete sich empört auf. »Hör mal, ich habe viele Dummheiten in meinem Leben gemacht, aber noch nie wurde ich zu einer Leiche geführt, um eine Blut…«

      »Entschuldige! So meinte ich das nicht«, beschwichtigte Tassilo.

      »Das will ich auch gemeint haben. Da siehst du es, Tassilo, wenn du immer nur über Gedichten und Liedern brütest, entgeht dir die wahre Welt da draußen.«

      »Von der bekomme ich schon genug mit. Mehr als genug«, brummte Tassilo.

      »Allerdings ist das, was du heute gesehen hast, gar kein Beweis«, sinnierte Mathes. »Diese Magd, Anni, die kann sehr wohl die Täterin sein. Was, wenn sie zum Beispiel den Teufel beschworen hat? Da braucht sie gar nicht selbst Hand anlegen.«

      »Meinst du, sie ist eine Unholdin?«

      »Wer weiß das schon?« Mathes zuckte mit den Schultern. »Womöglich wendet sie einen Zauber an, damit das Blut des Opfers eben nicht in Wallung gerät. Oh, wechseln wir das Thema, da kommt meine Gattin und Teufelsspuk ist ihr nicht zuträglich …«

      Rosa Fenggen rauschte nur kurz vorbei, um Tassilo zu begrüßen, weil es sich so gehörte, und sich dann sofort wieder zu entschuldigen, weil sie unpässlich sei. Sie strich sich dabei über den kaum sichtbaren Schwangerschaftsbauch. Tassilo konnte sich nicht erinnern, dass Rosa jemals pässlich gewesen war, schwanger oder nicht. Rosa war ein blutjunges Ding aus Reichenhall, recht hübsch, aber nach Tassilos Ansicht überaus reizlos. Dazu ein wenig schlampig, denn unter ihrer Haube lugten immer ein paar ungezähmte Strähnen dunkelbraunes Haar hervor. Rosa war gerade achtzehn Jahre alt geworden, die Familie hatte sich schon gesorgt, dass man keinen Bräutigam mehr für sie finden würde. Das hatte Mathes berichtet. Rosa benahm sich stets wie eine große Dame bei Hofe. Sie sprach betont Münchnerisch, um ihren ländlichen Dialekt zu verbergen.


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