minimal lernen. Regina Hunter
u. a. der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet. Dies wird auf der Gefühlsebene als angenehm und beflügelnd erlebt und wirkt in der Folge auch motivationsbildend. «Es bewirkt, dass wir uns über unsere Erfolge freuen und zum Weitermachen (Weiterlernen) höher motiviert sind. […] Lob, Anerkennung, Erfolg, Belohnung wirken als Verstärkungen für das geleistete Verhalten, also auch für das Lernen. Verstärkungen sind dadurch oft der Motor unseres Handelns.»36 Umgekehrt kann bei depressiven Zuständen eine Unterversorgung mit Dopamin festgestellt werden. Werden beim Lernen Bedingungen geschaffen, in denen Dopamin ausgeschüttet wird, führt dies dazu, dass vermehrt und eigeninitiativ gelernt wird. Dieses mit dem Lernen verbundene gute Gefühl muss vom Gehirn nicht einmal tatsächlich erlebt werden, sondern wird auch nur schon in der Vorstellung aktiv, beides bildet Erinnerungsspuren,37 es entsteht ein positiver Kreislauf.38
«Je eher ein Mensch das Gefühl hat, mit eigenen Kräften ein bestimmtes Ziel auch erreichen zu können, desto grösser ist die Motivation, sich nachhaltig für dieses Ziel einzusetzen.»39 Die Entstehung von Selbstvertrauen führt zu einem weiteren, selbstständigen Verfolgen der eigenen Ziele, und es wird beschrieben, dass «Menschen mit hohem Selbstwertgefühl über mehr selbstbestimmte, intrinsische Ziele verfügen»40 Ist Selbstwirksamkeit erreicht als die Überzeugung, eine spezifische Tätigkeit oder Herausforderung erfolgreich meistern zu können, kann sie als Quelle für Motivation und weiteres Handeln wirken41 So entsteht eine Grundhaltung, die in der Psychologie als Selbstwirksamkeit oder Kontrollüberzeugung bezeichnet wird und mit weiteren positiven Faktoren wie Selbstverantwortlichkeit, Stressresistenz und psychischer Gesundheit überhaupt einhergeht42 Storch und Riedener benutzen hierfür und für ihr Selbstmanagement-Training die somatischen Marker: «Somatische Marker, wahrnehmbar als Körperempfindungen und / oder als Emotionen, können in psychotherapeutischer und pädagogischer Hinsicht als Diagnostikum genutzt werden für Kohärenz, Selbstkongruenz oder generellen Selbstwert, für Einheit, Passung oder gelingende Identitätsarbeit.»43 Die somatischen Marker funktionieren dabei als Go- oder Stopp-Signal für geplante Handlungen.44 Schiffer meint, dass ein starkes Kohärenzgefühl, d. h. das Gefühl, dass die Welt verständlich, die Aufgaben lösbar und Anstrengungen sinnvoll sind, zu positiven Lernprozessen führt, indem es entscheidend Einfluss auf die Genaktivität und Gehirnentwicklung nimmt45
Psychische Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Wertschätzung sind weitere entscheidende Faktoren. Für das intrinsische Lernen müssen die grundlegenden Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Einbindung erfüllt sein46 «Entscheidende Voraussetzungen für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden.»47 Noch konkreter könnte man sagen: «Für Lernen, auch für das Lernen in der Schule, muss das Motivationssystem aktiviert werden. Dies geschieht durch gute zwischenmenschliche Beziehungen, durch soziale Anerkennung und durch Erfolgserlebnisse beim Lernen.»48 Diese Befunde und Aussagen stellen, wenn das Hauptziel Lernen sein soll, die schulische Selektion infrage.
Unsere Identität bestimmt den allergrössten Teil des psychischen Geschehens wie die automatisierte Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlungssteuerung. Dementsprechend sind ein Selbstkonzept und eine Identität als erfolgreich Lernende / r handlungsbestimmend und -wirksam.49 Dilts erklärt dies folgendermassen: «Weil Überzeugungen in tieferen Gehirnstrukturen entstehen, verändern sie grundlegende physiologische Funktionen im Körper, die viele unserer unbewussten Reaktionen beeinflussen.»50
Letztlich wirkt die Motivation sogar als entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg von Ausbildungen überhaupt.51 «Selbstkonzept und Selbstwertgefühl steuern in einem hohen Masse die Handlungen von Personen.»52 Dazu kommt, dass «die Selbstkonzepte eines Menschen für die Wahl und für den Erfolg seiner Handlungen tendenziell wichtiger sind als seine intellektuellen und physischen Fähigkeiten und zum Teil auch wichtiger als die situativen Gegebenheiten».53 So scheint es nur folgerichtig, in einem Förderungsprogramm zur Problemlösung in den Ingenieurwissenschaften an erste Stelle folgenden Punkt zu stellen: «Motivation: Ich kann es schaffen, ich möchte es schaffen.»54
Wenn man nicht motiviert ist, kann man auch Lernstrategien nicht umsetzen.55 Erfolgreiche, intrinsische Lernerinnen und Lerner setzen Techniken ein, die das Lernen erleichtern und die Motivation weiter erhalten.56 «Generell scheint zu gelten, dass begabte Menschen sich von Natur aus effizienterer Strategien bei der Verarbeitung und Speicherung von Informationen bedienen, wobei diese in den meisten Fällen nicht bewusst angewendet werden, sondern vermutlich auf frühe erfolgreiche Lernerfahrungen zurückgeführt werden können.»57 Diese Prozesse für selbstgesteuertes und reguliertes Lernen basieren auf internen Bedingungen der Lernenden wie ihren Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, die in den unbewusst arbeitenden Hirnarealen beheimatet sind.58 Die Motorik, die über das Sich-Hinsetzen vor Lernmaterial bestimmt, wird zuerst über Gefühle und nicht über das rationale Denken gesteuert.
Messmer stellt in ihren Vorschlägen zur Frühförderung fest: «Es [das Kind, R. H.] soll das Gefühl entwickeln, etwas leicht zu Bewältigendes zu tun, denn schon die geringste Überforderung wird den gegenteiligen Effekt hervorrufen, nämlich die Angst vor Schwierigkeiten und das Gefühl, es nicht schaffen zu können.»59
Largo meint zu den Zielen einer kindgerechten Schule: «An erster Stelle steht für mich das Selbstwertgefühl […]. Ein gutes Selbstwertgefühl hat ein Schüler dann, wenn die Schule für ihn eine positive Erfahrung war, das heisst, die schulischen Anforderungen waren für ihn mehrheitlich zu bewältigen und überwiegend mit Erfolg verbunden.»60
Eine breite Forschung bestätigt, dass das Gefühl, dass man etwas beherrscht, und das Gefühl von Erfolg von grosser und entscheidender Bedeutung ist.
… und wenn negative Gefühle dominieren
Lernen wird, sobald es vom Gehirn als unangenehm im Sinne eines somatischen Markers (vgl. oben) taxiert wird, automatisch und sehr schnell mit Reaktionen von Abwendung und Flucht beantwortet. Sämtliche negativen Lernerfahrungen wirken in der Zukunft als Vermeidungshinweise für weiteres Lernen. Daraus entsteht eine Reaktion dem Lernen gegenüber, die dann etwa so aussieht: «Ich lerne, aber lieber später … und am besten gar nicht, wenn es geht.» Wenn jemand dann weiter sagt, er habe keine Lust zu lernen, meint er wahrscheinlich vor allem auch, er habe Angst zu lernen.
Wenn Verwirrung und Verunsicherung vorherrschen, wenn man sich nicht zurechtfindet, wenn einem der Lernstoff wie ein Dschungel vorkommt, wird das limbische System, das im Gehirn Gefühle bearbeitet, aktiv und reagiert mit Angst und Abwehr. Dasselbe Prinzip ist beobachtbar, wenn Kinder Tätigkeiten vorziehen, bei denen sie sich kompetent fühlen, und solche vermeiden, bei denen dies nicht der Fall ist.61 Da sich der Lernstoff generell eben nicht wie ein Computerspiel, sondern zu oft eher wie ein unübersichtlicher und unbewältigbar grosser Dschungel darstellt, entsteht folgerichtig diese Angst und Abwendung vom Lernen. Diese Angst, etwas sei zu kompliziert oder zu schwer, löst nicht nur eine Fluchtreaktion aus, sondern blockiert das Gehirn. Wenn dann noch weiter die Haltung besteht, Lernen sei schwierig, und wenn Selektion droht, nehmen Angst und Stress weiter zu. Daher ist ein Pfad, d. h. ein klares Vorgehen, wichtig. Es ist des Weiteren auch wichtig, zu wissen, dass man irgendwie erfolgreich sein wird, wenn man diesem Pfad folgt.
Wenn die beschriebene Angst und Abwendung vom Lernen sich durchsetzt, entsteht ein Teufelskreis.62 Immer dann, wenn die Anforderung grösser ist als das Können, kommt es zu Frustration und Vermeidung des Lerngebiets, was erneut beiträgt zu einer weiteren Diskrepanz zwischen Anforderung und Können. So kommt es zu immer weniger Lernen und immer weniger Können. Immer dann, wenn das Können hingegen grösser ist als die Anforderung, führt dies zu Befriedigung und zu einem wiederholten Aufsuchen des Lerngebiets, was wiederum zu einem erhöhten Können und weitergehend zu erneutem Lernen führt. Auch Steiner bestätigt, dass Frustration und eine negative Dynamik entstehen, wenn die Anforderungen unser Können übersteigen.63