Freche Fee und lustiger böser König. Märchen. Hanns Heinz Ewers

Freche Fee und lustiger böser König. Märchen - Hanns Heinz Ewers


Скачать книгу
bedeckt. Die Nase hing fast über den Mund, und zwischen den Lippen lugte ein langer Zahn heraus. Die Hände hatte sie auf einen großen Krückstock gestützt und wirklich! die Finger waren ganz krumm und die Nägel sahen wie Krallen aus.

      »Hast du sie gesehen?« frug Jupp leise.

      »Ja,« flüsterte Otto atemlos, »sie ist sehr häßlich!«

      »Natürlich ist sie sehr häßlich,« erklärte Jupp stolz, »sie ist überhaupt die häßlichste, die es gibt! – Sie ist eben eine ganz richtige Großmutter.«

      Dann schloß er vorsichtig die Türe und brachte seinen Freund, der froh war, daß er wieder weg konnte, noch ein paar Straßen zurück.

      »Die Großmutter kann alle Geschichten erzählen, die es auf der ganzen Welt gibt und wenigstens noch hundert mehr,« erklärte er.

      Für ein paar Tage hatte Otto genug von Jupps Großmutter; als dieser ihm aber immer wieder sagte, welch herrliche Geschichten die Großmutter wisse, da bekam er doch Lust, auch einmal eine zu hören.

      »Du könntest mich einmal mitnehmen, wenn sie eine erzählt!« meinte er.

      Worauf Jupp ihm erklärte, das ginge nicht.

      »Warum denn nicht?«

      »Du kannst doch nicht verlangen, daß du für zehn Glaskugeln die Großmutter ganz mitbekommst! Nur zum Sehen! – Wenn du sie ganz mithaben willst, mußt du noch mehr geben, ich will dir nachher sagen, was.«

      Nach der Schule warteten die beiden Jungen, bis alle anderen Schüler fort waren. – Dann sagte Jupp zu Otto:

      »Hast du zwei Schiefertafeln?«

      »Sogar drei; zwei habe ich zu Hause.«

      »Gut, dann können wir diese hier zum Kontrakt benutzen!«

      »Wozu?«

      »Zum Kontrakt! Wenn man was Wichtiges abmacht, muß man es immer schriftlich machen, sagt mein Vater, sonst gilt es nicht! Und das nennt man dann Kontrakt. – Nun schreibe, was ich dir sage!«

      Otto schrieb alles auf die Schiefertafel. Als er fertig war, setzten beide ihre Namen darunter; Otto schrieb »Otto Bender«, und Jupp kritzelte etwas, das »Jupp« heißen sollte. Dann fiel Jupp ein, daß Otto vielleicht später noch etwas bekommen könne, das er auch gern haben möchte, aber er wußte nicht, wie er das in den Kontrakt bringen sollte. Er besann sich ein wenig, dann sagte er zu Otto:

      »Schreib’ noch darunter: Und noch was anderes.«

      Der Kontrakt sah so aus:*

      Jupp nahm die Tafel und gab Otto die Hand.

      »So,« sagte er, »jetzt hast du die Großmutter ganz mit.«

      * Kohntrakt vohn Otto Bender und Jup

      Quetschbüdel. Jup kriecht noch 20 Glaskugeln und jeden

      Tag 1 Buterbrod mit Schinken bies er tot ist und

      Otto Bender darf die Grosmutter mit haben

      und Jup kriecht alle Schularbeiten gemacht

      vohn Otto und immer fohrgesagt und kriecht

      daß Feifchen vohn Otto und kriecht das Phonie

      auch mit zum drauf reitten und Otto

      kriecht die Grosmutter vohn Jup mit

      Otto Bender, Jupp

      und noch was anderes.

      Lise auf der Milchstraße

      Ein paar Tage darauf erzählte die Großmutter den beiden Jungen eine Geschichte:

      Die kleine Lise war von ihrer Mutter mit hinausgenommen worden auf die große Wiese, wo das Feuerwerk stattfand; aber da das Feuerwerk erst zu einer Zeit anfing, zu der Lise für gewöhnlich schon längst im Bette lag, und da sie an diesem Sonntagnachmittag noch besonders eifrig mit anderen kleinen Mädchen herumgetollt hatte, so war sie todmüde, daß sie gleich die Äuglein zumachte, als die Mutter sie auf den Arm nahm.

      Das Feuerwerk war sehr schön; Raketen blitzten eine nach der anderen auf und schossen himmelhoch in die Luft; prächtige Feuergarben prasselten dann aus der Höhe herab und große Flammenräder drehten sich im Kreise. Am schönsten aber waren die roten, blauen und gelben Kugeln, die hoch hinaufflogen, oben stehenzubleiben schienen und einen prächtigen Regenbogenstreifen zur Erde warfen, bis sie endlich mit einem Knalle zerplatzten.

      »So sieh doch zu, dummes Ding!« sagte die Mutter zu Lise und stieß sie an.

      Gerade flog eine schöne blaue Kugel in die Luft hinauf, als Lise die Augen aufmachte. Sie sah den bunten Streifen, der dicht vor ihr zur Erde niederging. Schlaftrunken griff sie mit beiden Händen danach, und ehe die Mutter sich dessen versah, war das kleine flinke Ding daran in die Höhe geklettert.

      »Ich komme gleich wieder,« rief sie ihrer entsetzten Mutter zu, »ich will nur die schöne Kugel da herunterholen!«

      Aber als sie schon so hoch war, daß sie glaubte, die Kugel mit den Händen greifen zu können, zerplatzte ihr diese vor der Nase.

      Sicher wäre Lise nun heruntergefallen, wenn sie nicht eine lange weiße Schnur gesehen hätte, die in der Luft baumelte. Schnell griff sie danach und hielt sich tapfer daran fest. Sie fühlte, wie sie langsam immer höher hinaufgezogen wurde; bald konnte sie gar nichts mehr da unten auf der Erde erkennen. Ihr wurde ganz schwindlig; sie schloß beide Augen und hielt sich nun so fest wie möglich an der Schnur. – Das ging so eine gute Weile; endlich fühlte sie, wie sie auf festen Boden heraufgezogen wurde.

      Jetzt erst schlug sie die Augen auf; da sah sie am Rande zwei Engelein sitzen, die mit den Beinen baumelten. Hinter ihnen standen noch drei andere Engelchen, die noch die weiße Schnur in der Hand hatten, an der sie Lise heraufgezogen hatten.

      »Was für einen komischen Vogel wir da gefangen haben!« sagte der eine der Engel, ein kleiner pausbackiger Kerl.

      Die Lise machte einen Knix und wollte ihnen die Hand geben; da bemerkte sie, daß ihre beiden Hände an die Schnur angeklebt waren; auch ihr Kleidchen klebte fest daran.

      Sie wollte sich losreißen, aber es ging nicht, worüber die kleinen Engel sehr zu lachen anfingen. Endlich hatten die beiden, die vorne mit den Beinen gebaumelt hatten, Mitleid mit ihr; sie standen auf, spuckten in die Hände und lösten vorsichtig die Schnur von der Lise ab.

      »Mir gehört der Vogel,« sagte der pausbäckige Engel, »ich habe ihn gefangen.«

      »Ich bin gar kein Vogel!« sagte die Lise. Dann entdeckte sie, daß ihr ganzes Kleid gelb war von dem Leime der Schnur; sie rief entrüstet: »So! Und mein neues Sonntagskleid habt ihr auch schmutzig gemacht; das werde ich meiner Mutter sagen; ihr seid sehr unartig!«

      Da fingen die kleinen Engel erst recht zu lachen an.

      »Hört doch einmal den dummen Vogel an! Er will noch schelten!« rief einer.

      »Ich werde ihn gleich in einen großen Käfig sperren!« sagte der Pausback.

      »Wir wollen ihm die Flügel stutzen, damit er nicht fortfliegen kann,« rief ein dritter, nahm eine große Schere und lief hinter ihren Rücken.

      Dann machte er ein sehr dummes Gesicht und sah die anderen groß an.

      »Es ist wirklich kein Vogel,« sagte er, »es hat keine Flügel.«

      Die anderen umringten nun auch die Lise, suchten nach Flügeln, konnten aber natürlich keine finden.

      »Was bist du?« frugen sie.

      »Ich bin ein kleines Mädchen und heiße Lise,« antwortete sie.

      Das wollten aber die Engel nicht glauben.

      »Kleine Mädchen laufen auf der Erde herum,« sagte der Pausback. »Wie kommt


Скачать книгу