Chaosköniginnen. Valentina Brüning
du etwa sagen, ich bin alt?«, fragt er und bemüht sich, richtig empört zu gucken.
»Papa, du bist alt«, gibt Fritzi trocken zurück.
Bevor er noch etwas erwidern kann, betritt Sandrine die Küche. »Et voilà, die Brötschen.« Wie jeden Morgen hat sie einen großen Korb mit frischen Brezeln, Croissants und Brötchen dabei.
»Meine Tochter sagt, ich wäre alt, Sandrine.«
Sandrine stemmt die Hände in die ausladenden Hüften. »Das ist noch höflisch, mein Sohn nennt misch einen alten Schachtel.« Sie schüttelt belustigt den Kopf, Fritzi und Sven lachen mit ihr. »Seien Sie froh, dass Sie haben seulement Mädchen, Monsieur Winter.«
Fritzis Vater winkt ab. »Meine Mädchen machen den ganzen Tag nur Chaos. Fritzi lernt ab heute Latein, was sagen Sie dazu?«
»Oh, là, là, Fritzi, mais pourquoi pas le Français?« Sandrine reicht ihr mit einem enttäuschten Blick eine große Kaffeekanne.
»Hätte ich ja gerne, aber unsere Stufe besteht zu 99,9 Prozent aus Honks, da muss man gucken, mit wem man sich zusammentut.«
»Honks?« Sandrine lüpft fragend die Brauen.
»Ja, Honks, Vollpfosten, Deppen, Kleinhirne, Torfnasen, Schrumpfköpfe.« Fritzi flüstert: »I-d-i-o-ten, verstehst du? Wenn du mit denen in einer Klasse landest, ist Schluss, aus, Ende – Leben vorbei! Deswegen wählen Lou und ich Latein.«
»Aber warum nehmt ihr nicht einfach beide Französisch oder Spanisch?«
»Na, weil das alle machen.«
»Klingt für mich eher schlau als honkig.«
»Alles eine Frage des Blickwinkels, Papa. Es gibt zwei Französisch- und zwei Spanischklassen, gerade weil das alle wählen, aber eben nur eine Lateinklasse, ist so!«
»Das ist so, verstehe.«
»Und wenn es nur eine Lateinklasse gibt, ist klar, dass Lou und ich beide in dieser einen Klasse landen, wenn wir Latein nehmen.«
Fritzi schält Bananen für den Obstsalat.
»Bedauerlisch, aber da hat ihre Tochter einen Punkt.«
»Klingt für mich, als würden in Latein die Oberhonks landen.«
»Ach, Papa«, für peinliche Wortschöpfungen ihres Vaters hat Fritzi nur ein müdes Kopfschütteln übrig, »solange Lou und ich zusammen in eine Klasse gehen, ist der Rest doch total egal. Können wir jetzt endlich den Obstsalat fertig machen?«
Sven seufzt resigniert, schnippelt die Bananen in Scheiben und wirft sie in die große blaue Schüssel. So machen sie das jeden Morgen: Fritzi wäscht und schält, Sven schneidet. Bananen, Orangen, Äpfel und Beeren.
Es klopft an der Küchentür. »Juten Morgen, die Herrschaften.«
»Guten Morgen, Herr Jakobi, kommen Sie rein, setzen Sie sich«, antwortet Sven.
Herr Jakobi lässt sich am Kopfende des langen Frühstückstischs nieder und reibt sich die Hände. »Jibt et schon Kaffe?«, fragt er in seinem Berliner Dialekt.
»Aber sischer, für Stammgäste wie Sie, Herr Jakobi, toujours«, flötet Sandrine und kommt mit der Kanne herbeigeeilt.
Fritzi wirft beiläufig einen Blick auf ihr Handy. Lou hat sich noch nicht gemeldet. Komisch eigentlich. Doch sie hat keine Zeit, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn Marlene und ihre Mutter Ulla kommen in die Küche, dicht gefolgt von weiteren Gästen. Geschirr klappert, Stühle werden gerückt, die Leute reden wild durcheinander – alles wie immer in der Grünen Gans.
Als Fritzi wenig später mit ihrem Longboard auf den Schulhof rollt, ist sie voller Vorfreude. In ihrem Bauch kribbelt es wie die Kohlensäure in einer frisch eingeschenkten Cola. Überall fallen sich ihre Mitschüler zur Begrüßung in die Arme und erzählen begeistert von den Sommerferien. Fritzi entdeckt Lous hellblonden Lockenschopf in der Menge. Sie steigt vom Board und bahnt sich einen Weg zu ihr hinüber.
»Lou-ise, huhu, hier bin ich!« Fritzi drückt Lou, so fest sie kann. »Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe!«
»Bist du auch so traurig, dass die Ferien vorbei sind? Ich hab echt gar keinen Bock auf Schule«, stöhnt Lou, lächelt Fritzi kurz an und lässt dann den Blick über den Schulhof wandern.
»Nee! Ich bin heilfroh, dass du endlich wieder da bist.« Fritzi hakt sich mit ihrem freien Arm bei ihrer besten Freundin unter. »Wie war denn dein Flug? Wie geht es deiner Ma? War es schön?«
Sie lassen sich von einer Schülertraube Richtung Aula treiben. Statt einer Antwort sieht Lou sich schon wieder in der Menge um.
»Meinst du, unser Plan geht auf? Ich hatte heute Morgen kurz Bammel, dass was schiefläuft«, plappert Fritzi munter weiter. »Mein Vater hat mich irgendwie ganz nervös gemacht. Was ist, wenn dieses Jahr ausnahmsweise doch viel mehr Schüler Latein gewählt haben? Dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass wir zusammen in eine Klasse kommen, unterirdisch klein.«
»Niemand wählt freiwillig Latein«, gibt Lou zurück.
»Außer uns«, ergänzt Fritzi strahlend.
»Mhm.«
»Unser Gast, Herr Jakobi, hat mich beim Frühstück gefragt, ob wir viele Streber in der Stufe haben. Wenn ja, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass mehr als eine Lateinklasse entstünde. Aber wenn man sich unseren Jahrgang so ansieht, gibt es insgesamt gerade so zehn, fünfzehn Streber, oder? Jedenfalls nie genug für eine zweite Klasse.«
RUMMS! Ein groß gewachsener Junge mit wilden Wuschelhaaren läuft mit voller Absicht gegen Fritzis Schulter und macht sich nicht einmal die Mühe, sich zu entschuldigen.
»Ey, Torben, kannst du nicht aufpassen?!«, ruft Fritzi ihm hinterher, aber nur seine Gefolgschaft bemerkt es überhaupt. Yessin ist sehr klein und Bo sehr, sehr dünn.
»Hauptsache Tick, Trick und Track haben nicht auch Latein gewählt! Ich bin heilfroh, wenn wir die endlich los sind. Du auch?« Noch ehe Lou antworten kann, sinniert Fritzi bereits weiter: »Nicht zum Aushalten, für wie cool die sich halten. Mit ihren dummen Sneakern, die sehen doch aus, als wären es Socken. Hier guck mal, so laufen die.« Fritzi imitiert den Gang der Jungs und wippt auf ihren Fußballen, als hätte sie Sprungfedern unter den Fersen.
Lou schmunzelt.
»Na endlich, ich dachte schon, du kriegst deine Mundwinkel gar nicht mehr hoch.«
»Ich? Wieso?«, fragt Lou und lächelt unschuldig.
»Na, das frag ich dich. Freust du dich denn gar nicht, wieder zu Hause zu sein?«
»Doch, doch, schon.«
»Wenn ich im Sommerurlaub gewesen wäre, hätte ich bestimmt auch keinen Bock auf Schule. Aber sieh es mal so, jetzt können wir beide endlich wieder abhängen.«
»Yay«, antwortet Lou und übergeht Fritzis aufmunternden Blick. »Guck mal, in der Mitte ist was frei«, sagt sie und schlängelt sich schon durch die Reihe. Fritzi folgt ihr und lässt ihren Blick dabei durch die Aula gleiten. Ein paar Reihen weiter vorne steht Emma, das mädchenhafteste Mädchen der gesamten Stufe, und zieht aufmerksamkeitsheischend ihre Jacke aus. Drunter trägt sie ein weißes, bauchfreies Top, in ihrem Nabel glitzert ein Piercing und ihren Hals ziert eine geflochtene Tattoo-Kette. Emma winkt überschwänglich in ihre Richtung.
»Was ist ’n mit der los? Meint die etwa uns?!«, fragt Fritzi irritiert. Zu ihrer Überraschung winkt Lou Emma begeistert zurück. »Was geht denn bei euch?« Fritzis Verblüffung grenzt an Entsetzen.
»Emma war in den Ferien mit ihrer Familie auch auf Teneriffa. Sie kann so gut surfen, das glaubst du nicht!« Lou schickt Emma einen Luftkuss, die wiederum formt ihre Hände zu einem Herz.
Fritzi blickt perplex zwischen den beiden hin und her. »Hört man dabei nicht den Wind durch ihre Ohren pfeifen,