Unternehmensbewertung case by case. Michael Hommel
zählen neben den alternativen Performancekennzahlen, wie Umsatz, EBITDA, EBIT oder Jahresüberschuss, auch bilanzielle Indikatoren, wie das Buchwerteigenkapital, oder sogar Mengenwerte, wie die Anzahl verkaufter Produkte und bei der Bewertung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe die Größe der bewirtschafteten Produktionsflächen. Es gilt die Regel, dass ein Unternehmen umso wertvoller ist, je höher sein Nettocashflow ist, und es kann vermutet werden, dass hinter einem höheren Nettocashflow zumindest mittel- oder langfristig auch ein höherer Jahresüberschuss, ein höheres EBIT und ein höherer Umsatz steht. Deshalb gilt die Bezugsgleichung:
Verwendet der Bewerter beispielsweise den Jahresumsatz als Referenzmaßstab und dividiert den für ein Vergleichsobjekt gezahlten Kaufpreis durch den von diesem erwirtschafteten Letztjahresumsatz, so erhält er eine Kennziffer, die aussagt, wie viel ein Marktteilnehmer bereit war, für einen Euro Jahresumsatz auszugeben, um dieses (Vergleichs-)Objekt zu erwerben. Multipliziert der Bewerter anschließend diesen Umsatzmultiplikator mit dem Umsatz des zu bewertenden Unternehmens, so gelangt er auf diese Weise zu dessen potenziellem Marktpreis.
Regelmäßig verwendet der Bewerter aber keinen Multiplikator, der nur aus einer einzigen Markttransaktion stammt. Die Gefahr wäre viel zu groß, dass der dabei beobachtete Marktpreis zufällig zustande kam oder auf transaktionsspezifischen Wertfaktoren und Besonderheiten, wie dem Verkaufsgeschick eines der Vertragspartner, beruht, die nicht verallgemeinerungsfähig sind. Der Bewerter wird sich vielmehr darum bemühen, die Kaufpreise und die dazugehörigen Wertkennzahlen für eine Vielzahl von Unternehmensverkäufen zu ermitteln (peergroup), um aus diesen Daten einen durchschnittlichen Multiplikator zu berechnen. Die Durchschnittsbildung soll gewährleisten, dass sich die finanziellen Fehleinschätzungen, die sich bei vereinbarten Marktpreisen ergeben (können), gegenseitig neutralisieren.76
Da der Bewerter regelmäßig nicht über eine sehr große Zahl von Referenzobjekten verfügt, ist es in der Bewertungspraxis üblich, den Durchschnittswert nicht mit dem arithmetischen Mittel zu berechnen, sondern den Median anzuwenden. Zu seiner Ermittlung werden die aus den beobachteten Daten gewonnenen unternehmensindividuellen Multiplikatoren der Peergroup der Größe nach geordnet. Bei einer ungeraden Anzahl von Beobachtungen ist der Median der Wert, der in der Mitte der Beobachtungen liegt. Bei einer geraden Anzahl von beobachteten Vergleichsunternehmen handelt es sich bei ihm um das arithmetische Mittel der beiden in der Mitte der Beobachtungsreihe liegenden Zahlen. Durch die Verwendung des Medians vermeidet der Bewerter, dass Extremwerte, die an den beiden Enden der Verteilung liegen, ein zu großes Gewicht bei der Durchschnittsbildung erhalten.
b) (Vermeintlich) Aussagekräftige Multiplikatoren
aa) Ertragsabhängige Multiplikatoren
In der Praxis ist es weit verbreitet, einen ertragsbezogenen Performancewert, wie den Umsatz oder den Jahresüberschuss, zur Bewertung heranzuziehen. Denn die Ertragsgrößen stehen in relativ enger Nähe zum eigentlich gesuchten, idealen Bewertungsmaßstab, dem Nettocashflow.
Betrachtet man z.B. den Jahresumsatz von Bäckereien, so lässt sich vermuten, dass ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1 Mio. Euro deutlich mehr wert ist als eine benachbarte Bäckerei, die lediglich den hälftigen Jahresumsatz von 500 000 Euro erwirtschaftet; denn unterstellt man eine weitgehend vergleichbare Produktions- und Finanzierungsstruktur und deshalb dem Grunde und der Höhe nach ähnliche Kosten, so resultiert aus einem höheren Umsatz am Ende des Geschäftsjahres auch regelmäßig ein höherer konsumfähiger Nettocashflow. Der Rückgriff auf die Daten der Gewinn- und Verlustrechnung hat den Vorzug, dass sie sich relativ leicht beschaffen lassen und dem Bewerter bei ihrem Einsatz komplexe Überleitungsrechnungen erspart bleiben. Dazu kommt der Vorteil, dass die dem Nettocashflow vorgelagerte Performancekennziffer umso weniger bilanzpolitisch verzerrt ist, je näher sie sich am Ursprung der Umsatzeinzahlungen befindet.
bb) Gewinnmultiplikator
Ermittelt der Unternehmensbewerter den potenziellen Preis des Unternehmens mit einem Gewinnmultiplikator, so errechnet der Bewerter den potenziellen Preis des Unternehmens (PU), indem er den beobachteten Preis für ein Vergleichsunternehmen (PV) mit dem Gewinn dieses Vergleichsunternehmens (GewinnV) in Verhältnis setzt und anschließend mit dem Gewinn des zu bewertenden Unternehmens (GewinnU) multipliziert. Es gilt:77
Da der Quotient
kann man auch vereinfachend schreiben:
(14) PU = GewinnU · mGewinn.
Die Verwendung eines Gewinnmultiplikators hat den entscheidenden Vorteil, dass der Gewinn (oder, sprachlich genauer: Jahresüberschuss) eines Unternehmens in zahlreichen Fällen eng korreliert mit dessen Nettocashflow, so dass Unternehmen mit einem hohen Jahresüberschuss auch einen hohen Einzahlungsüberschuss erwarten lassen. Beide Wertfaktoren berücksichtigen zudem die spezifische Aufwandsstruktur des Unternehmens und beziehen die Aufwendungen, die es für die Umsatzerzielung benötigt, ebenso explizit ein wie die aus der Leistungserstellung resultierenden Erträge. Dadurch werden die zentralen Werttreiber, die die individuelle Leistungskraft des zu bewertenden Unternehmens beeinflussen, umfassend berücksichtigt. Arbeitet das Unternehmen ineffektiv im Vergleich zum Marktdurchschnitt, so dass es für die Erstellung einer Leistungseinheit mehr Ausgaben benötigt, als dies in der Branche üblich ist, so schlägt sich dies auf die (letztlich interessierenden) ausschüttungsfähigen Einzahlungsüberschüsse ebenso nieder wie auf den Jahresüberschuss. Allerdings lässt sich der in der Vergangenheit erwirtschaftete Jahresüberschuss entschieden leichter und objektivierter ermitteln als die zukünftig zu erwartenden Nettocashflows.
Dem Zugewinn an Objektivierung, den der vergangenheitsorientierte Jahresüberschuss gegenüber dem zu prognostizierenden Nettocashflow besitzt, stehen allerdings gravierende Nachteile gegenüber. Der in den letzten Jahren erzielte Jahresüberschuss muss weder für das Unternehmen noch für die Branche prognosefähig sein. Zwar kann der Bewerter dieses Manko beseitigen, indem er den Vorjahresgewinn nach seinen Erkenntnissen prognosefähig ausgestaltet, doch geht dann der große Vorteil der einfachen und objektivierten Handhabung verloren, den die Multiplikatormethoden gegenüber dem Ertragswertverfahren aufweisen. Auch unterstellt der Gewinnmultiplikator u.a. pauschalierend, dass die erfassten Jahresabschreibungen den zukünftig erforderlichen Investitionsausgaben und die Rückstellungsaufwendungen der zukünftigen Veränderung der damit verbundenen Auszahlungen entsprechen und weder nennenswerte Erweiterungsinvestitionen in das Anlagevermögen oder Working Capital noch Desinvestitionen oder Fremdkapitalveränderungen anstehen, die alle das zukünftige Ausschüttungspotenzial tangieren. Diese Vernachlässigungen können aber zu einer erheblichen Fehleinschätzung der zukünftigen Unternehmenslage und der damit verbundenen, bewertungsrelevanten Cashflows führen.
Hinsichtlich des Gewinnmultiplikators ist darüber hinaus problematisch, dass ihn der Bilanzierende in starkem Maße bilanzpolitisch beeinflussen kann, was sich insbesondere an der Höhe der nicht auszahlungswirksamen Aufwandspositionen, wie den Abschreibungen und den Rückstellungsaufwendungen, zeigt, die in erheblichem Umfang durch die subjektiven Schätzungen des Managers beeinflusst werden. Auch hängt die Höhe des Jahresüberschusses ganz zentral von den Rechnungslegungsregeln (z.B. HGB, steuerliche Vorschriften, IFRS oder US-GAAP) ab, die vom Unternehmen angewandt wurden. So ist z.B. zu erwarten, dass sich ein nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung ermittelter Jahresüberschuss deutlich von dem Gewinn unterscheidet, der für das gleiche Unternehmen und Geschäftsjahr aus der Anwendung der International Financial Reporting Standards (IFRS) resultiert.
cc) Umsatzmultiplikator