Unternehmensbewertung case by case. Michael Hommel
ihrer Anwendung Umsicht geboten. Der beobachtete Gesamtkaufpreis kann auch Wertkomponenten enthalten, die der Erwerber durch die Kombination des erworbenen Unternehmens mit einem bereits vorhandenen Unternehmensbestand erzielt (konzernübergreifende Synergien). Diese Komponenten sind dann zu schätzen und zu eliminieren, weil sich die konzernspezifischen Vorteile nicht verallgemeinern lassen. Zielt die Unternehmensbewertung darüber hinaus auf die Bewertung einer Aktie ohne Unternehmenseinfluss ab, so ist der für das Referenzobjekt beobachtete Gesamtkaufpreis um einen Minderheitenabschlag zu vermindern, der in der Praxis durchschnittlich mit ca. 40 % angegeben wird.86
Die Recent Acquisition Method steht vor dem Problem, dass die ermittelten Marktpreise der Referenzobjekte sowohl aktuell als auch repräsentativ sein müssen. Das Gebot der Aktualität schließt grundsätzlich aus, solche Marktpreise heranzuziehen, bei denen die Transaktion bereits einige Zeit zurückliegt. Da Käufer und Verkäufer häufig über den Preis schweigen, den sie für einschlägige Unternehmenstransaktionen zahlten bzw. erhielten, ist der Datenbestand, auf den der Bewerter zurückgreifen kann, empfindlich eingeengt. Er kann dann nicht mehr darauf vertrauen, dass die (wenigen) verbleibenden Transaktionen aussagekräftige, unverfälschte Referenzwerte liefern.87
Geht es primär darum, Unternehmensanteile ohne maßgebenden Einfluss zu bewerten (z.B. einzelne Aktien von Minderheitsgesellschaftern im Rahmen eines Squeeze Out), so kommt häufig die Similar Public Company Method zum Einsatz. Hier kann der beobachtete Preis des Referenzobjekts ohne eine entsprechende Kürzung um Paketzuschläge und konzernübergreifende Synergieeffekte verwendet werden, weil auch er auf einer einzelnen Aktie beruht. Für die Ermittlung eines objektivierten Gesamtunternehmenswerts ist sie dagegen ungeeignet. Denn hier ist der Bewerter dazu gezwungen, den auf Basis der Einzelaktie ermittelten Preis um einen noch nicht berücksichtigten Paketzuschlag mehr oder weniger willkürlich zu erhöhen. In der Bewertungspraxis werden hier Zuschläge in der Größenordnung von 20 % bis 50 % genannt.88 Die Angemessenheit dieses Zuschlags lässt sich grundsätzlich nur durch eine umfassende und komplexe Unternehmensanalyse bestimmen, die aber mit den Multiplikatorverfahren gerade nicht angestrebt wird. Verwendet der Bewerter dagegen einen pauschalierten Zuschlag, so geht die mit dem Verfahren gewünschte objektivierte Wertfindung verloren.
Ein generelles Problem stellt sich, wenn das zu bewertende Unternehmen nicht börsennotiert ist, wie z.B. Personengesellschaften, Einzelunternehmen oder eine GmbH. Das Bewertungsobjekt weist dann eine deutlich geringere Fungibilität auf als die Referenzobjekte, die auf einem aktiven Markt gehandelt werden. Die fehlende Möglichkeit, das Unternehmen oder Teile davon jederzeit zu veräußern, ist mit einem Ungängigkeitsabschlag zu berücksichtigen, der das Wiederverkaufsrisiko zum Ausdruck bringt. Der vorzunehmende Abschlag ist griffweise zu schätzen. In der Praxis finden sich Abschläge zwischen 20 % und 40 %.89 Auch durch diese erforderliche subjektive Anpassung geht der mit den Multiplikatorverfahren angestrebte Objektivierungsvorteil größtenteils verloren.
2. Anwendung auf den Fall: Umsatz- und EBIT-Multiplikatoren sowie Unternehmenswert der Steuerberatungskanzlei „Tippe“
a) Branchendurchschnittlicher Umsatzmultiplikator und Unternehmenswert
Der Umsatzmultiplikator der Branche „Steuerberatung“ bestimmt sich mit der Formel:
Er errechnet sich für die einzelnen Steuerkanzleien, die Peergroup, wie folgt:
Tabelle 10: Berechnung unternehmensspezifischer Umsatzmultiplikatoren
Unternehmensspezifische Umsatzmultiplikatoren | ||||
---|---|---|---|---|
Unternehmen | Sitz | Preis (in €) (PV) | Umsatz (in €) (UmsatzV) | mUmsatz |
Kanzlei Hubert | Bern (Schweiz) | 280 000 | 476 000 | 0,588235 |
Kanzlei Nelke | Köln | 420 000 | 588 000 | 0,714286 |
Kanzlei Lang | Bösgesäß (Hessen) | 400 000 | 520 000 | 0,769231 |
Kanzlei Hector | Berlin | 600 000 | 612 000 | 0,980392 |
Kanzlei Weingans | Hamburg | 370 000 | 296 000 | 1,250000 |
Kanzlei Brossi | Rom (Italien) | 120 000 | 84 000 | 1,428571 |
Kanzlei Hoier | New York (USA) | 3 500 000 | 420 000 | 8,333333 |
Arithmetisches Mittel | 2,009150 |
Der Bewerter muss sich nun entscheiden, ob er für die weitere Berechnung das arithmetische Mittel oder den Median der Peergroup verwendet. Entscheidet er sich für das arithmetische Mittel, so ergibt sich daraus ein Umsatzmultiplikator von 2,009150, und für die Steuerberatungskanzlei „Tippe“ errechnet sich bei einem Gesamtumsatz von 403 000 Euro gemäß Gleichung (16) ein potenzieller Preis von 809 687,37 Euro:
(16) PU = UmsatzU · mUmsatz
PSteuerberatungskanzlei „Tippe“, Umsatzmultiplikator = 403 000 · 2,009150 = 809 687,37 €.
Der laut Sachverhalt zur Diskussion stehende Kaufpreis von 600 000 Euro wäre recht günstig.
Die vorgenommene Orientierung am arithmetischen Mittel ist problematisch, wenn dem Bewerter – wie im Beispiel – nur Daten weniger Unternehmen zugänglich sind, so dass „untypische“ Kennzahlenrelationen einzelner Unternehmen – wie im Beispiel die Performancemaße der Kanzlei „Hoier“ – den Branchendurchschnitt zum Teil erheblich verzerren können. Der Bewerter muss dann im Einzelfall entscheiden, ob eine Eliminierung der „Ausreißer“ zu besseren, aussagefähigeren Ergebnissen führt oder nicht und ggf. das arithmetische Mittel ohne die Ausreißer bestimmen.
Gegen die Eliminierung der Ausreißer spricht, dass der Bewerter zumeist ohnehin nur wenige vergleichbare Unternehmen heranziehen kann, für die er die benötigten Daten kennt. Eliminiert er aus ihnen die vermeintlichen Ausreißer, so verringert er die ihm zur Verfügung stehende Grundgesamtheit weiter. Darüber hinaus gehören auch Ausreißer zur realen Welt und prägen die Branche. Ihre Eliminierung unterdrückt damit wesentliche bewertungsrelevante Informationen und Einflussfaktoren.
Der Bewerter kann den Einfluss von Ausreißern erheblich reduzieren, ohne die mit einer Eliminierung verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen, indem er den Branchendurchschnitt mit dem Median gleichsetzt. Zu diesem Zweck ordnet er die individuell errechneten Multiplikatoren der Größe nach und wählt den Multiplikator aus, der in der Mitte der Beobachtungsreihe liegt. Bei Verwendung des Medians liefert die Kanzlei „Hector“ den relevanten Durchschnittswert der Peergroup. Bei seiner Verwendung beliefe sich der potenzielle Preis, den Neumeier für die Kanzlei „Tippe“ bezahlen dürfte, auf 395 098,04 Euro und damit auf deutlich weniger als den im Raum stehenden Kaufpreis von 600 000 Euro:
PSteuerberatungskanzlei „Tippe“, Umsatzmultiplikator = 403 000 · 0,980392 = 395 098,04 €.
Dennoch liefert auch ein derart bereinigter Wert nur grobe Anhaltspunkte für den potenziellen Wert des Unternehmens. Beeinträchtigungen ergeben sich hier dadurch, dass die Peergroup relativ klein ist, dass die beobachteten Transaktionen in einer Zeitspanne von mehr als 30 Jahren erfolgten und dass die Unternehmen in unterschiedlichsten Regionen ansässig sind, so dass keineswegs gewährleistet ist, dass das Peergroup-Risiko und die Peergroup-Chancen bzw. die Risiken und Chancen der als Median-Unternehmen bestimmten Kanzlei mit den Risiken und Chancen des Unternehmens übereinstimmen. Unterschiedliche Größen der Unternehmen und die Rechnungslegung nach unterschiedlichen Systemen (z.B. HGB, IFRS) tragen ein Weiteres zur Heterogenität der Grundgesamtheit bei. Auch ist unklar, wie die relevanten Umsätze zu bestimmen sind. Neumeier hat den Tippe-Umsatz einschließlich der sonstigen Erträge aus Vermietung verwendet. Konzeptionell sauberer wäre es aber möglicherweise, ausschließlich die Umsätze des Kerngeschäfts heranzuziehen. Dann müsste der Bewerter auch bei der nachfolgenden Berechnung der EBIT-Multiples oder der Gewinnmultiples die mit