Phänomenologie der Lebenswelt. Ausgewählte Texte II. Edmund Husserl
Art der Immanenz mit ihrem esse = percipi, sondern partiell erfüllte Intention, 〈die〉 also unerfüllte Hinausweisungen enthält. Originalität der leibhaften Darstellung von Transzendentem beschließt notwendig dies, dass der Gegenstand als Sinn die Originalität der apperzeptiven Erfüllung hat und dass diese unabtrennbar ein Gemisch von wirklich sich erfüllenden und noch nicht erfüllten Sinnesmomenten in sich birgt, sei es nur der allgemeinen Struktur nach vorgezeichneten und im Übrigen offen unbestimmten und möglichen, sei es schon durch Sondervorzeichnung ausgezeichneten. Darum ist die Rede von Inadäquation, zu deren Sinn der Gedanke eines zufälligen Manko gehört, das ein höherer Intellekt überwinden könnte, eine unpassende, ja völlig verkehrte.
Wir können hier einen Satz formulieren, der in unseren weiteren Analysen zu immer reinerer Klarheit kommen wird: Wo immer wir von Gegenständen sprechen, sie mögen welcher Kategorie immer sein, da stammt der Sinn dieser Gegenstandsrede ursprünglich her von Wahrnehmungen, als den ursprünglich Sinn und damit Gegenständlichkeit konstituierenden Erlebnissen. Konstitution eines Gegenstandes als Sinnes ist aber eine Bewusstseinsleistung, die für jede Grundart von Gegenständen eine prinzipiell eigenartige ist. Wahrnehmung ist nicht ein leeres Hinstarren auf ein im Bewusstsein Darinsteckendes und durch irgendein sinnloses Wunder je Hineinzusteckendes: als ob zuerst etwas da wäre und dann das Bewusstsein es irgendwie umspannte; vielmehr für jedes erdenkliche [28]Ichsubjekt ist jedes gegenständliche Dasein mit dem und dem Sinnesgehalt eine Bewusstseinsleistung, die für jeden neuartigen Gegenstand eine neue sein muss. Für jede Grundart von Gegenständen ist dafür eine prinzipiell verschiedene intentionale Struktur erfordert. Ein Gegenstand, der ist, aber nicht, und prinzipiell nicht Gegenstand eines Bewusstseins [20] sein könnte, ist ein Nonsens. Jeder mögliche Gegenstand eines möglichen Bewusstseins ist aber auch Gegenstand für ein mögliches originär gebendes Bewusstsein, und das nennen wir, mindestens für individuelle Gegenstände, »Wahrnehmung«. Von einem materiellen Gegenstand eine Wahrnehmung von der allgemeinen Struktur einer immanenten verlangen, umgekehrt von einem immanenten Gegenstand eine Wahrnehmung von der Struktur der äußeren Wahrnehmung verlangen, ist absurd. Sinngebung und Sinn fordern einander wesensmäßig, was die Wesenstypik ihrer korrelativen Strukturen anbelangt.
So gehört auch zum Wesen der ursprünglich transzendenten Sinngebung, die die äußere Wahrnehmung vollzieht, dass die Leistung dieser originalen Sinngebung im Fortgang von Wahrnehmungsstrecke zu Wahrnehmungsstrecke und so in beliebiger Fortführung des Wahrnehmungsprozesses eine nie abgeschlossene ist. Diese Leistung besteht nicht nur darin, immer Neues vom fest vorgegebenen Sinn anschaulich zu machen, als ob der Sinn von Anfang an schon fertig vorgezeichnet wäre, sondern im Wahrnehmen baut sich der Sinn selbst weiter aus und ist so eigentlich in beständigem Wandel und lässt immerfort neuen Wandel offen.
Es ist hier zu beachten, dass wir im Sinn einer einstimmig synthetisch fortschreitenden Wahrnehmung [29]immerfort unterscheiden können unaufhörlich wechselnden Sinn und einen durchgehenden identischen Sinn. Jede Phase der Wahrnehmung hat insofern ihren Sinn, als sie den Gegenstand im Wie der Bestimmung der originalen Darstellung und im Wie des Horizontes gegeben hat. Dieser Sinn ist fließend, er ist in jeder Phase ein neuer. Aber durch diesen fließenden Sinn, durch all die Modi »Gegenstand im Wie der Bestimmung« geht die Einheit des sich in stetiger Deckung durchhaltenden, sich immer reicher bestimmenden Substrates x, des Gegenstandes selbst, der all das ist, als was ihn der Prozess der Wahrnehmung und alle weiteren möglichen Wahrnehmungsprozesse zur Bestimmung bringen und bringen würden. So gehört zu jeder äußeren Wahrnehmung eine im Unendlichen liegende Idee, die Idee des voll bestimmten Gegenstandes, des Gegenstandes, der durch und durch bestimmter, durch und durch gekannter wäre und jede Bestimmung an ihm rein von aller Unbestimmtheit; und die volle Bestimmung selbst ohne jedes plus ultra an noch zu Bestimmendem, offen Verblei[21]bendem. Ich sprach von einer im Unendlichen liegenden, also unerreichbaren Idee, denn dass es eine Wahrnehmung geben könnte, (als einen abgeschlossenen Prozess kontinuierlich ineinander übergehender Erscheinungsverläufe), die eine absolute Kenntnis des Gegenstandes schüfe, in der die Spannung zwischen dem Gegenstand im Wie der sich wandelnden relativen und unvollkommenen Bestimmtheit und dem Gegenstand selbst dahinfiele, das ist durch die Wesensstruktur der Wahrnehmung selbst ausgeschlossen; denn evidenterweise ist die Möglichkeit eines plus ultra prinzipiell nie ausgeschlossen. Es ist also die Idee des absoluten Selbst des Gegenstandes und seiner absoluten und [30]vollständigen Bestimmtheit oder, wie wir auch sagen, seines absoluten individuellen Wesens. In Relation zu dieser herauszuschauenden unendlichen Idee, die aber als solche nicht realisierbar ist, ist jeder Wahrnehmungsgegenstand im Kenntnisprozess eine fließende Approximation. Den äußeren Gegenstand haben wir immerfort leibhaft (wir sehen, fassen, umgreifen ihn), und immerfort liegt er doch in unendlicher Geistesferne. Was wir von ihm fassen, prätendiert sein Wesen zu sein; es ist es auch, aber immer nur unvollkommene Approximation, die etwas von ihm fasst und immerfort auch mit in eine Leere fasst, die nach Erfüllung schreit. Das immerfort Bekannte ist immerfort Unbekanntes, und alle Erkenntnis scheint von vornherein hoffnungslos. Doch ich sagte »scheint«, und wir wollen uns hier 〈nicht〉 gleich an einen voreiligen Skeptizismus binden.
(Ganz anders verhält es sich natürlich mit den immanenten Gegenständen, die Wahrnehmung konstituiert sie und macht sie mit ihrem absoluten Wesen zu eigen. Sie konstituieren sich nicht durch beständige Sinneswandlung im Sinn einer Approximation – nur sofern sie in eine Zukunft hinein werden, haben sie Behaftung mit Protentionen und protentionalen Unbestimmtheiten. Was aber als Gegenwart im Jetzt konstituiert worden ist, das ist ein absolutes Selbst, das keine unbekannten Seiten hat.)
Wir versagten uns einem voreiligen Skeptizismus. In dieser Hinsicht müsste jedenfalls zunächst Folgendes unterschieden werden. Wenn ein Gegenstand zur Wahrnehmung kommt und im Wahrnehmungsprozess zu fortschreitender Kenntnis, so mussten wir unterscheiden den jeweiligen Leerhorizont, der durch den verlaufenen Prozess vorgezeichnet ist und mit dieser Vorzeich[22]nung der [31]momentanen Wahrnehmungsphase anhängt, und einen Horizont leerer Möglichkeiten ohne Vorzeichnung. Die Vorzeichnung besagt, dass eine leere Intention da ist, die ihren allgemeinen Sinnesrahmen mit sich führt. Zum Wesen solcher vorzeichnenden Intention gehört, dass bei Einschlagen passend zugehöriger Wahrnehmungsrichtung erfüllende Näherbestimmung oder, wie wir noch besprechen werden, als Gegenstück Enttäuschung, Sinnesaufhebung und Durchstreichung eintreten müsste. Es gibt aber auch partiale Horizonte ohne solche feste Vorzeichnung; das sagt, neben den bestimmt vorgezeichneten Möglichkeiten bestehen Gegenmöglichkeiten, für die aber nichts spricht und die immerfort offenbleiben. Z. B., dass in meinem Sehfeld, etwa bei der Wahrnehmung des gestirnten Himmels, irgendeine Lichterscheinung aufleuchtet, eine Sternschnuppe u. dgl., das ist, rein aus der Sinngebung der Wahrnehmung selbst heraus gesprochen, eine völlig leere Möglichkeit, die im Sinn nicht vorgezeichnet, aber durch ihn eben offengelassen ist. Halten wir uns also an die positive Sinngebung der Wahrnehmung mit ihren positiven Vorzeichnungen, so ist die Frage verständlich und naheliegend, ob denn im Überleiten der unanschaulichen, leeren Vorzeichnung in erfüllende Näherbestimmung gar kein stehendes und endgültig bleibendes Selbst des Gegenstandes erreichbar ist, ob m. a. W. nicht nur immer neue gegenständliche Merkmale in den Horizont der Wahrnehmung eintreten können, sondern im Prozess der Näherbestimmung auch diese schon erfassten Merkmale in infinitum eine weitere Bestimmbarkeit mit sich führen, also selbst wieder und immerfort den Charakter von unbekannten x behalten, die nie eine endgültige Bestimmung gewinnen [32]können. Ist denn die Wahrnehmung ein »Wechsel«, der prinzipiell nie einlösbar ist durch neue, ebensolche Wechsel, deren Einlösung also wieder auf Wechsel führt und so in infinitum? Erfüllung der Intention vollzieht sich durch leibhaftes Darstellen, freilich mit leeren Innenhorizonten. Aber ist an dem schon leibhaft Gewordenen gar nichts, was Endgültigkeit mit sich führt, so dass wir in der Tat in einem wie es scheint leeren Wechselgeschäft steckenbleiben?
Wir fühlen, dass es so nicht sein kann, und in der Tat stoßen wir, uns in das Wesen der Wahrnehmungsreihen tiefer hineinschauend, auf eine Eigentümlichkeit, die dazu berufen ist, zunächst für die Praxis und ihre anschauliche sinnliche Welt die [23] Schwierigkeit zu lösen. Im Wesen der eigentlichen Erscheinungen als Erfüllungen vorgezeichneter Intentionen liegt es, dass sie auch bei unvollkommener, also mit Vorweisungen behafteter Erfüllung auf ideale Grenzen als Erfüllungsziele vordeuten, die durch stetige Erfüllungsreihen zu erreichen wären. Das aber nicht gleich für den ganzen Gegenstand, sondern für die jeweils schon zu wirklicher