Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort. E. T. A. Hoffmann

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort - E. T. A. Hoffmann


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band und ein krampfhaftes Zittern durch alle Glieder verursachte. Ebendaher mocht’ es auch kommen, dass seine alte Aufwärterin von solch seltener Hässlichkeit war, dass sie in dem Revier, wo Herr Peregrinus Tyß wohnte, vielen für eine naturhistorische Merkwürdigkeit galt. Sehr gut stand das schwarze struppige, halb ergraute Haar zu den roten triefenden [12]Augen, sehr gut die dicke Kupfernase zu den bleichblauen Lippen, um das Bild einer Blocksbergs-Aspirantin zu vollenden, so dass sie ein paar Jahrhunderte früher schwerlich dem Scheiterhaufen entgangen sein würde, statt dass sie jetzt von Herrn Peregrinus Tyß und wohl auch noch von andern für eine sehr gutmütige Person gehalten wurde. Dies war sie auch in der Tat und ihr daher wohl nachzusehen, dass sie zu ihres Leibes Nahrung und Notdurft in die Stundenreihe des Tages so manches Schnäpschen einflocht, und vielleicht auch zu oft eine ungeheure schwarzlackierte Dose aus dem Brusttuch hervorzog und die ansehnliche Nase reichlich mit echtem Offenbacher fütterte. Der geneigte Leser hat bereits bemerkt, dass diese merkwürdige Person ebendieselbe Aline ist, die die Weihnachtsbescherung veranstaltet. Der Himmel weiß, wie sie zu dem berühmten Namen der Königin von Golkonda gekommen. –

      Verlangten aber nun Väter, dass der reiche, angenehme Herr Peregrinus Tyß seiner Weiberscheu entsage und sich ohne weiteres vereheliche, so sprachen dagegen wieder alte Hagestolze, dass Herr Peregrinus ganz recht tue, nicht zu heiraten, da seine Gemütsart nicht dazu tauge.

      Schlimm war es aber, dass viele bei dem Worte »Gemütsart« ein sehr geheimnisvolles Gesicht machten und auf näheres Befragen nicht undeutlich zu verstehen gaben, dass Hr. Peregrinus Tyß leider zuweilen was weniges überschnappe, ein Fehler, der ihm schon von früher Jugend her anklebe. – Die vielen Leute, die den armen Peregrinus für übergeschnappt hielten, gehörten vorzüglich zu denjenigen, welche fest überzeugt sind, dass auf der großen Landstraße des Lebens, die man der Vernunft, der Klugheit gemäß einhalten müsse, die Nase der beste Führer und [13]Wegweiser sei, und die lieber Scheuklappen anlegen als sich verlocken lassen von manchem duftenden Gebüsch, von manchem blumigten Wiesenplätzlein, das nebenher liegt.

      Wahr ist es freilich, dass Herr Peregrinus manches Seltsame in und an sich trug, in das sich die Leute nicht finden konnten.

      Es ist schon gesagt worden, dass der Vater des Herrn Peregrinus Tyß ein sehr reicher angesehener Kaufmann war, und wenn noch hinzugefügt wird, dass derselbe ein sehr schönes Haus auf dem freundlichen Rossmarkt besaß und dass in diesem Hause, und zwar in demselben Zimmer, wo dem kleinen Peregrinus stets der Heilige Christ einbeschert wurde, auch diesmal der erwachsene Peregrinus die Weihnachts-Gaben in Empfang nahm, so ist gar nicht daran zu zweifeln, dass der Ort, wo sich die wundersamen Abenteuer zutrugen, die in dieser Geschichte erzählt werden sollen, kein anderer ist als die berühmte schöne Stadt Frankfurt am Main. –

      Von den Eltern des Herrn Peregrinus ist eben nichts Besonderes zu sagen, als dass es rechtliche stille Leute waren, denen niemand etwas anders als Gutes nachsagen konnte. Die unbegrenzte Hochachtung, welche Herr Tyß auf der Börse genoss, verdankte er dem Umstande, dass er stets richtig und sicher spekulierte, dass er eine große Summe nach der andern gewann, dabei aber nie vorlaut wurde, sondern bescheiden blieb, wie er gewesen, und niemals mit seinem Reichtum prahlte, sondern ihn nur dadurch bewies, dass er weder um Geringes noch um Vieles knickerte und die Nachsicht selbst war gegen insolvente Schuldner, die ins Unglück geraten, sei es auch verdienterweise. –

      Sehr lange Zeit war die Ehe des Herrn Tyß unfruchtbar [14]geblieben, bis endlich nach beinahe zwanzig Jahren die Frau Tyß ihren Eheherrn mit einem tüchtigen hübschen Knaben erfreute, welches eben unser Herr Peregrinus Tyß war.

      Man kann denken, wie grenzenlos die Freude der Eltern war, und noch jetzt sprechen alle Leute in Frankfurt von dem herrlichen Tauffeste, das der alte Tyß gegeben und an welchem der edelste urälteste Rheinwein kredenzt worden, als gelt’ es ein Krönungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachgerühmt wird, ist, dass er zu jenem Tauffeste ein paar Leute geladen, die in feindseliger Gesinnung ihm gar öfters wehe getan hatten, dann aber andere, denen er weh getan zu haben glaubte, so dass der Schmaus ein wirkliches Friedens- und Versöhnungsfest wurde.

      Ach! – der gute Herr Tyß wusste, ahnte nicht, dass dasselbe Knäblein, dessen Geburt ihn so erfreute, ihm so bald Kummer und Not verursachen würde.

      Schon in der frühsten Zeit zeigte der Knabe Peregrinus eine ganz besondere Gemütsart. Denn nachdem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht ununterbrochen geschrieen, ohne dass irgendein körperliches Übel zu entdecken, wurde er plötzlich still und erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht des mindesten Eindrucks schien er fähig, nicht zum Lächeln, nicht zum Weinen verzog sich das kleine Antlitz, das einer leblosen Puppe anzugehören schien. Die Mutter behauptete, dass sie sich versehen an dem alten Buchhalter, der schon seit zwanzig Jahren stumm und starr mit demselben leblosen Gesicht im Comptoir vor dem Hauptbuch säße, und vergoss viele heiße Tränen über das kleine Automat.

      Endlich geriet eine Frau Pate auf den glücklichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen sehr bunten und, im [15]Grunde genommen, hässlichen Harlekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten sich auf wunderbare Art, der Mund verzog sich zum sanften Lächeln, es griff nach der Puppe und drückte sie zärtlich an sich, als man sie ihm gab. Dann schaute der Knabe wieder das bunte Männlein an mit solchen klugen beredten Blicken, dass es schien, als sei plötzlich Empfindung und Verstand in ihm erwacht, und zwar zu höherer Lebendigkeit, als es wohl bei Kindern des Alters gewöhnlich. »Der ist zu klug«, sprach die Frau Pate, »den werdet ihr nicht erhalten! – Betrachtet doch nur einmal seine Augen, der denkt schon viel mehr, als er soll!«

      Dieser Ausspruch tröstete gar sehr den alten Herrn Tyß, der sich schon einigermaßen darin gefunden, dass er nach vielen Jahren vergeblicher Hoffnung einen Einfaltspinsel erzielt, doch bald kam er in neue Sorge.

      Längst war nämlich die Zeit vorüber, in der die Kinder gewöhnlich zu sprechen beginnen, und noch hatte Peregrinus keinen Laut von sich gegeben. Man würde ihn für taubstumm gehalten haben, hätte er nicht manchmal den, der zu ihm sprach, mit solchem aufmerksamen Blick angeschaut, ja durch freudige, durch traurige Mienen seinen Anteil zu erkennen gegeben, dass gar nicht daran zu zweifeln, wie er nicht allein hörte, sondern auch alles verstand. – In nicht geringes Erstaunen geriet indessen die Mutter, als sie bestätigt fand, was ihr die Wärterin gesagt. – Zur Nachtzeit, wenn der Knabe im Bette lag und sich unbehorcht glaubte, sprach er für sich einzelne Wörter, ja ganze Redensarten, und zwar so wenig kauderwelsch, dass man schon eine lange Übung voraussetzen konnte. Der Himmel hat den Frauen einen ganz besondern sichern Takt verliehen, die menschliche Natur, wie sie sich im Aufkeimen bald auf [16]diese, bald auf jene Weise entwickelt, richtig aufzufassen, weshalb sie auch, wenigstens für die ersten Jahre des Kindes, in der Regel bei weitem die besten Erzieherinnen sind. Diesem Takt gemäß war auch Frau Tyß weit entfernt, dem Knaben ihre Beobachtung merken zu lassen und ihn zum Sprechen zwingen zu wollen, vielmehr wusste sie es auf andere geschickte Weise dahin zu bringen, dass er von selbst das schöne Talent des Sprechens nicht mehr verborgen hielt, sondern leuchten ließ vor der Welt und zu aller Verwunderung zwar langsam, aber deutlich sich vernehmen ließ. Doch zeigte er gegen das Sprechen stets einigen Widerwillen und hatte es am liebsten, wenn man ihn still für sich allein ließ. –

      Auch dieser Sorge wegen des Mangels der Sprache war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um später in noch viel größere zu geraten. Als nämlich das Kind Peregrinus, zum Knaben herangewachsen, tüchtig lernen sollte, schien es, als ob ihm nur mit der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Lesen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erst wollte es durchaus nicht gelingen und dann konnt’ er es mit einem Mal ganz vortrefflich und über alle Erwartung. Später verließ indessen ein Hofmeister nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen missbehagte, sondern weil sie sich in seine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war still, sittig, fleißig, und doch war an ein eigentliches systematisches Lernen, wie es die Hofmeister haben wollten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn hatte, nur dem sich mit ganzer Seele hingab, was gerade sein inneres Gemüt in Anspruch nahm, und alles Übrige spurlos bei sich vorübergehen ließ. Das, was sein Gemüt ansprach, war nun aber alles Wunderbare, alles, was [17]seine Fantasie erregte, in dem er dann lebte und webte. – So hatte er z. B. einst einen Aufriss der Stadt Peking mit allen Straßen, Häusern usw., der die ganze Wand seines Zimmers


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