Die Blutfinca. Jorge de la Piscina

Die Blutfinca - Jorge de la Piscina


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Der Estrich war noch nicht trocken und er wollte keine Dellen in den Boden treten. An einigen Stellen blitzte an den Wänden schon wie geplant die Natursteinmauer durch, die Handwerker waren jedoch wieder mal nicht pünktlich morgens um 7.30 Uhr erschienen. Renners Gesicht verzog sich zu einem ironischen Lächeln, die tiefen Falten seiner hohen Stirn vertieften sich und die breite Narbe auf seiner linken Wange zuckte. Er verdrehte seine stahlblauen Augen. Vermutlich war er immer noch zu deutsch für die Sonneninsel Mallorca, wenn er tatsächlich erwartete, dass die Handwerker pünktlich auftauchten. Aber langsam wurde er nervös, es war noch jede Menge zu tun – und mittlerweile war der März schon fast in den April übergegangen. Im Mai kämen die ersten Ausflugsgäste des deutschen Reiseunternehmers Landmüller, mit dem Renner einen Vertrag abgeschlossen hatte. Er erinnerte sich noch zu gut an den Anlass für den Vertrag. Der pensionierte Kriminalbeamte kannte die Familie schon sehr lange. Noch im letzten Jahr hatten sie ihn wieder zum Geburtstag ihrer mittlerweile fünfzehnjährigen Tochter eingeladen. Er freute sich jedes Mal, wenn er das Kind sah, dass er vor zehn Jahren aus den Händen ihres Entführers gerettet hatte – auch wenn er meist nach dreißig Minuten wieder verschwand. Fröhliche Kindergeburtstage gingen ihm auf die Nerven. Die vielen fremden Gäste ebenfalls. Er verabschiedete sich dann von der Familie und eröffnete, dass er aufgrund seines Ruhestandes zukünftig nicht mehr kommen könnte. Schließlich wurde er solange ausgefragt, bis er preisgeben musste, dass er auf Mallorca ein Restaurant mit Fremdenzimmern eröffnen wollte. Daraufhin hatte ihn Landmüller an die Seite genommen und ihm mitgeteilt, dass er Cala Pi in seinen Reisekatalog aufnehmen würde. Zuerst hatte Renner protestiert, aber eher halbherzig, wie er sich selbst eingestehen musste. Es fühlte sich an wie eine Bestechung, aber erstens war er jetzt im Ruhestand und zweitens schuldete ihm Landmüller doch wirklich etwas? Oder?

      Das Handy klingelte, als er auf die große Terrasse trat. Wenigstens dort waren die Handwerker schon fertig. Knöchelhohe Mäuerchen säumten den Weg, der auf den etwa fünfzig Meter breiten Außenbereich führte. Ringsherum war die Terrasse von einer kleinen Natursteinmauer eingefasst und auf den Säulen des Mäuerchens prangten Laternen. Die rustikalen Holztische waren schon in Reih und Glied angeordnet, die Gartenanlage mit Palmen, Kakteen und Oleander bepflanzt. Ein paar der unvermeidlichen Aleppokiefern waren ebenfalls vorhanden. Während Renner das Gespräch annahm, ließ er befriedigt seinen Blick über den fertigen eingezäunten Kinderspielplatz hinter der Terrasse streifen. Schaukel, Rutsche und Sandkasten waren einsatzbereit. Im Prinzip waren ihm Kinder eher unheimlich, aber er wusste aus Erfahrung, dass Eltern mehr Geld ausgaben, wenn die Kinder ihnen Zeit dazu ließen. Insofern war der Spielplatz ein Umsatzbringer. Der pensionierte Kriminalbeamte blickte an der historischen Turmruine vorbei aufs offene Meer. Fast hätte er sich bei diesem Anblick wieder entspannt, aber als er die nervöse Stimme seines Koches Joaquin am anderen Ende hörte, klingelten seine Alarmglocken. Der Junge druckste etwas herum, dann rückte er damit heraus, dass er einen doppelt so gut bezahlten Job in Palma in einem Vier-Sterne-Hotel angenommen hatte. Renner schimpfte laut auf Spanisch in den Hörer, aber im Grunde konnte er den Jungen verstehen. Vermutlich hätte er es nicht anders gemacht. Es war nur ärgerlich, dass er das jetzt erst erfuhr. Joaquin hatten den Vertrag schon vor sechs Monaten unterschrieben, bevor die Saison losging. Er legte auf, lehnte sich an die Mauer und spürte die Frustration in sich aufsteigen, wie ein Gift, dass sich durch seine Adern ausbreitete und einen bleiernen Klotz in seinem Magen hinterließ. Immerhin, seine Bedienung Sonia traf jetzt ein. Er warf der verdutzten Mittzwanzigerin den Schlüssel für das Lokal zu und setzte sich in Bewegung. „Wo willst du denn hin?“, fragte die schwarzhaarige, schlanke Frau und runzelte ihre hohe Stirn missbilligend. „Weg!“, knurrte Renner. „Ich bin in einer Stunde etwa zurück, polier Gläser – oder was weiß ich.“

      „Gläser? Wir haben noch nicht einmal Schränke.“ „Dann stell sie wieder in den Karton nach dem Polieren.“

      Renner trabte den gemauerten Weg entlang und schwang sich aufs Rad, bevor Sonia noch mehr Fragen einfielen. Er brauchte jetzt dringend einen Café con Leche und einen Sprung in das marineblaue Wasser am Strand, sonst würde er durchdrehen.

      Am Strand angekommen, lehnte er sein Rad an den Bretterverschlag, der sich Strandcafé schimpfte, und versuchte einen laktosefreien Milchkaffee zu bestellen. Entweder verstand die Bedienung „delactosada“ nicht, oder sie hielt ihn für einen überdrehten Hipster. Er versuchte es noch auf Katalanisch, das er ebenfalls fließend sprach, dann gab er auf und trank eine Cola. Das Koffein aus der süßen Plörre würde auch helfen. Ein älterer, stämmiger Mann mit gut gebräunter Haut drehte sich am Tresen um und nickte ihm freundlich zu. „Geht es Ihnen gut?“

      Renner knurrte unfreundlich: „Nein!“

      „Atmen Sie tief durch, unsere wunderbare Meeresluft vertreibt alle Sorgen. Sie sind ja schließlich im Urlaub.“

      Offensichtlich hielt der alte Mallorquiner ihn für einen Urlauber.

      Er seufzte genervt. „Nein, ich lebe hier seit kurzem. Mir gehört das Restaurant am alten Turm, oben auf den Klippen.“

      Der alte Mann runzelte seine faltige Stirn und kratze sich an seinem Haarkranz. Er schaute etwas verlegen drein. „Wirklich? Darf ich Sie etwas fragen, trotz Ihrer Anspannung?“

      Renner versuchte möglichst abweisend zu schauen, aber der Mann sprach einfach weiter.

      „Was wollen Sie denn für eine Küche anbieten?“

      Der pensionierte Kriminalbeamte riss sich zusammen, der Mann konnte ja ein späterer Stammkunde sein. Mehr als ein knappes, „Einheimische Küche und eine Handvoll deutscher Gerichte, die ich selbst zubereite“, brachte er nicht zustande.

      „Interessant, ich habe noch nie deutsch gegessen. Was isst man denn da so?“

      „Schnitzel.“

      Der alte Mann schien sich an Renners Einsilbigkeit nicht zu stören, denn er plapperte munter weiter. „Ah ja, richtig. Das berühmte Schnitzel. Eines der beliebtesten deutschen Gerichte. Aber kam das nicht eigentlich aus Wien?“

      „Ja.“

      „Sie wirken wirklich äußerst angespannt. Darf ich Ihnen zur Entspannung einen Thé à la menthe anbieten?“

      Fast wollte Renner, „Nein!“, brüllen. Dann fragte er doch aus schierer Neugierde nach: „Was ist denn an einem Pfefferminztee besonders?“

      „Frangelico, der Besitzer des Strandcafés hat zwei Jahre in einem marokkanischen Hotel gearbeitet und dort eine orientalische Zubereitungsform gelernt. Ein sehr starker Schwarztee aus dem Samowar, mit dem eine Unmenge marokkanischer Minze abgebrüht wird.“

      Der erwähnte Frangelico brachte ihnen ein ziseliertes Metallkännchen auf einem silbernen Tablett, dazu ein paar kleine, bunte Gläser. Um den geschwungenen Griff war ein kleines Tuch gewickelt. Der Wirt stellte eine kleine Tonschale mit Pistazien und Oliven dazu.

      Der alte Mann schenkte ihm langsam ein. Dann stellte er das Glas vor Renner ab. „Bevor wir anstoßen: Santos di Santiago. Ist mir eine Freude.“

      Der Deutsche zögerte noch kurz, dann hob er das Glas: „Renner. Marc Renner.“ Er probierte den Tee und verzog das Gesicht. Der Tee war stark und extrem süß, ein kräftiger Minzgeruch stieg ihm in die Nase. Nicht sein Fall. Aber zu seiner Verblüffung fühlte er sich tatsächlich etwas entspannter. Irgendwie hatte er auch das Gefühl, dass er weniger schwitzen musste.

      „Nicht übel!“ Renner wollte nicht unhöflich sein, nachdem der alte Mann den Tee ausgegeben hatte. Am liebsten wäre er trotz des positiven Effektes zu seiner Cola zurückgekehrt.

      „Wie kommt es eigentlich, dass Sie bei uns ein Restaurant eröffnen?“

      Ihm bleib nichts anderes übrig, als zu antworten: „Ich bin pensioniert und will hier meinen Ruhestand verbringen. Als junger Mann wollte ich immer Gastronom werden, jetzt erfülle ich mir den Traum.“

      „Ah ja. Kann ich verstehen. Eigentlich arbeite ich seit Jahren nicht mehr, weil ich im Ruhestand bin. Aber seit meine Frau vor einem Jahr starb und ich nach Cal Pi gezogen bin, sterbe ich beinahe vor Langeweile.“

      Renner schaute in sein Teeglas und schwieg.

      „Ich


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