Harzmagie. Jürgen H. Moch

Harzmagie - Jürgen H. Moch


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aus!«, schrie er auf sie ein, während er versuchte, sie auf die Seite zu drehen, doch das gestaltete sich schwieriger, als er gedacht hatte. Er packte heftiger zu und schüttelte Elisabeth grob, wodurch er hoffte, sie so wieder zur Besinnung zu bekommen. Endlich erreichte er eine Reaktion, doch es war nicht die, auf die er gehofft hatte.

      Ein blutunterlaufenes Auge öffnete sich, fixierte ihn kurz. Eine Hand stieß blitzartig vor und traf ihn hart vor die Brust, sodass es ihn hochhob und heftig von ihr wegschleuderte. Er krachte gegen die Wand und fiel um.

      Schockiert, nach Luft röchelnd und stöhnend vor Schmerz rappelte er sich wieder auf, traute sich aber zunächst nicht noch einmal näher. Er hatte gehört, dass Epileptiker während ihrer Krämpfe sehr viel Kraft freimachten, aber diese Stärke, die er soeben bei seiner Tochter erlebt hatte, war zu verstörend. Hilflos musste er mit ansehen, wie Elisabeth sich nochmals aufbäumte und zusammenbrach, dann bewegte sie sich nicht mehr. Angst erfüllte ihn. Er krabbelte auf allen vieren näher. Von der Tür kam immer noch die wirre Stimme seiner Frau.

      »Ich habe sie umgebracht!«, jammerte Emilia stetig vor sich hin.

      Michael beugte sich voller Angst über Elisabeth. Zunächst konnte er nichts feststellen, weil sein eigenes Herz so hämmerte. Kein Puls, kein Atem. Ihre Adern traten stark hervor, als das Gebräu darin sich schwarz verfärbte. Starb seine Tochter wirklich gerade? Mit tränenerfüllten Augen verfolgte er, wie sich die Schwärze, einem Wurzelgeflecht gleich, immer mehr verteilte.

      Minuten vergingen, in denen er mit zusammengepressten Lippen über ihr kniete. Weinend schloss er sie in die Arme und hielt sie fest. Emilia kam herübergekrabbelt und schlang schluchzend ihre Arme um sie beide. Eine Weile hockten sie so da. Das Grauen hatte sich ihrer bemächtigt.

      Ein halb ersticktes Röcheln. Dann noch einmal. Ein Beben durchlief Elisabeth. Michael sah, wie von einem Moment auf den anderen die Farbe aus Elisabeths Adern verschwand.

      Dann hob sich ihr Brustkorb wieder.

      Er jubelte: »Sie lebt, Emilia, sie lebt!«

      Elisabeth kam erst am nächsten Morgen wieder zu sich. Ihr tat alles weh. Ihr ganzer Körper brannte. In ihrem Mund hatte sie einen faden Geschmack nach Erbrochenem. Ekelig.

      Neben ihr auf der Bettkante saß ihre Mutter mit dem Rücken an die Wand gelehnt und war offensichtlich eingedöst. Sie schien viel geweint zu haben, denn ihre Augen waren tiefrot umrändert und ihr Make-up verlaufen. Was war passiert? Elisabeth konnte sich nur noch an den Streit in der Küche erinnern, der Rest war in einem undurchdringlichen Nebel verschwunden. Als sie sich aufsetzen wollte, merkte sie, dass sie die Hände nicht heben konnte. Jemand hatte sie am Bett festgebunden. Als sie sich regte, schrak ihre Mutter auf und begann gleich wieder zu weinen, diesmal vor Erleichterung.

      »Mein Engel, wie gut, dass es dir wieder besser geht. Warte, ich mache dich gleich los, du hattest einen schlimmen Anfall, weißt du.«

      Während Emilia eilig die Gürtel löste, die sie verwendet hatte, hörte Elisabeth die Worte, konnte sie aber nicht nachvollziehen.

      »Ich erinnere mich nur, dass wir uns gezankt haben, danach ist alles weg.«

      »Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Ein dummer und völlig unnötiger Streit.«

      »Mama, warum hast du mich ans Bett gefesselt?«, verlangte Elisabeth nun zu wissen.

      »Ich habe mir so große Sorgen gemacht, dass du dich verletzen könntest. Du hast um dich geschlagen und gekrampft. Aber das ist ja nun vorbei.«

      Einen Moment blickte Elisabeth ihre Mutter geistesabwesend an. Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern, was sonst noch passiert war. Schließlich schüttelte sie den Kopf. Es wollte ihr einfach nicht einfallen.

      Ihre Mutter wechselte das Thema: »Erzähl mir doch von dieser Sabrina.«

      Also berichtete Elisabeth von ihr und Emilias Miene hellte sich etwas auf. Dann ließ sie ihre Tochter im Bett zurück, um bei Sabrinas Mutter anzurufen. Eine Weile später, als Elisabeth schon fast wieder eingedöst war, kam sie zurück.

      Sie wirkte deutlich erleichtert, als sie berichtete: »Ich hatte ein erstaunliches Gespräch mit Frau Schubert. Ich muss mich bei dir entschuldigen. Sabrina soll in der Schule wirklich exzellente Noten haben. Und ihre Mutter hält große Stücke auf sie und bezeichnet diesen Gothiclook ihrer Tochter als eine temporäre pubertäre Phase. Ich schlage vor, du lädst sie einmal hierher ein, wenn es dir wieder besser geht.«

      Damit ging sie nach unten, um Elisabeth schlafen zu lassen, die ob dieses Einlenkens ein schwaches Lächeln zustande brachte. Sie hatte sich noch nie so matt gefühlt, doch sie wachte ständig wieder auf. Vielleicht lag es auch daran, dass sie davor so viel geschlafen hatte oder weil sich jedes Geräusch übersteuert und unnatürlich laut anhörte. Sie konnte sogar ihre Mutter die Karotten in der Küche schneiden hören, obwohl sie sich weit entfernt befand. Das stetige Schack-schack-schack dröhnte wie eine Dampframme in ihren Ohren. Die Gemüsebrühe, die ihr ihre Mutter später hochbrachte, ließ sie kalt werden, nachdem sie nur einmal daran genippt hatte. Sie schmeckte ihr zu fade.

      Endlich krabbelte sie aus ihrem Bett, setzte sich ans Fenster und öffnete es weit. Die kühle Abendluft tat gut und vertrieb den Schmerz. Die Sonne ging unter, doch es blieb immer noch hell genug, um Einzelheiten zu erkennen. Die Gerüche waren herrlich. Elisabeth lehnte eine Weile am Rahmen und sog den Harz in sich auf. Ein weitentfernter Schrei einer Eule ließ sie hochschrecken. Sie bemerkte, dass sie etwas fröstelte. Deswegen ging sie zurück in ihr Bett, lies aber das Fenster offen. Wieder eingeschlafen träumte sie vom Wald.

      Die anderen zwei Jägerinnen näherten sich von der gegenüberliegenden Seite. Anna Binsenkraut zog ihren Talisman heraus und schickte ein Stoßgebet zu ihrer Göttin Freya, wie sie es früher jedes Mal getan hatte, wenn sie in den Kampf zog. Es hatte ihr immer Glück gebracht und mehr als einmal das Leben gerettet. Ein Lächeln voll wilder Vorfreude huschte über ihr Gesicht, als sich ihr Puls beschleunigte. Sie würde gleich wieder jemanden zur Strecke bringen, ganz offiziell, nachdem sie es schon so lange nicht mehr hatte tun dürfen. Anna fieberte dem Kampf entgegen. Mit einem Kuss auf die winzige Darstellung einer schwer gerüsteten Frau mit Flügeln ließ sie es wieder unter ihre Kleidung gleiten. Dann schlich sie lautlos über den schmalen Trampelpfad auf das Waldhaus zu, die Augen komplett weiß, die Hände vor sich erhoben, bereit, sofort einen Angriffszauber loszulassen. Der dichte Nebel dämpfte die Sicht erheblich. Jäh hielt sie inne, als sie vor sich ein schwaches Flackern bemerkte. Nach einer eingehenden Untersuchung musste sie der Gegenspielerin unwillkürlich Respekt zollen. Eine Alarmbarriere, getarnt vor dem magischen Blick durch einen komplizierten Tarnzauber. Man konnte sie fast nicht erkennen, doch die langjährige Tätigkeit als Jägerin hatte Anna paranoid genug werden lassen und ihre Sinne waren offensichtlich noch nicht eingerostet. Wer auch immer das getan hatte, musste nicht nur eine fähige Hexe sein, sondern kannte sich auch mit den Gepflogenheiten der Jägerinnen aus. Zwei offensichtliche Barrieren hatte sie schon umgangen, die einerseits normale Menschen abhielten und ein Einfliegen verhinderten. Wer sich hier versteckte, war eine gefährliche Gegnerin.

      Die Anhörung beim Rat vor einigen Tagen war beunruhigender gewesen, als Anna sich zunächst eingestehen wollte. Es war nicht nur eine Jägerin getötet worden, sondern insgesamt vier. Die erste Tote hieß Olga, eine junge blinde Hexe mit enormem Spürsinn. Ihr blankes Skelett hatte man in der Eilenriede in Hannover gefunden. Ein Suchtrupp von drei Hexen unter der Leitung ihrer alten Partnerin Lylly Urs war daraufhin ausgesandt worden und hatte eine Fährte bis in den Teutoburger Wald verfolgt, wo sie spurlos verschwanden. Man hatte einige Zeit später drei tote Frauen aus der Weser gezogen. Die Polizei glaubte an ein Badeunglück, doch Anna und der Rat wussten es besser. Jemand hatte ein komplettes Suchteam ausgelöscht. Anna erstaunte es nicht, dass man sie um Rat fragte, denn sie hatte


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