Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen

Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen


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sprachlich präziser zu formulieren sei (Müller 1988). Weiterhin haben zwar PronominaPronomen wie man und jedermann keine maskuline Referenz im grammatischen Sinne, nichtsdestotrotz lösen sie Assoziationen aus, die eher nicht weibliche Bezüge haben. Die Argumentationen, die auf eine konsequente NeutralitätNeutralform des Genus abzielen, ignorieren völlig die Tatsachen und gehen auf die eigentliche Kritik nicht ein, dass aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch ein veränderter Bedarf besteht, Sprache zu verwenden.

      Die feministischen Bedenken richteten sich damit auch gegen die Willkürlichkeit der Interpretation, die rein nach Erfordernis ein Maskulinum als neutral oder männlich (und Frauen damit ausschließend) auslegte. Sie forderten Gleichbehandlung. Die Strukturalist/innen verkennen ein wesentliches Problem des deutschen Genussystems, dass nämlich in einigen Bereichen über ein GenusGenus durchaus auf Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus referiert wird, vgl. der Mann/die Frau, die MutterMutter / der Vater, die Oma/der Opa, die Henne/der Hahn, die LehrerinLehrer/in, -kraft, -schaft/der Lehrer etc. Sexus und Genus sind daher nicht grundsätzlich und ausnahmslos unabhängig voneinander. Dies war aber zunächst noch nicht empirisch bewiesen.

      Der feministischen Sprachkritik ging es aber auch um die öffentliche Wahrnehmung: Luise Pusch mit ihren stark übertriebenen, aber nicht unbedingt immer ernst gemeinten Forderungen war sie auf jeden Fall sicher. Wie sich Jahre darauf zeigen sollte, erwies sich die feministische Sprachkritik als effektiv, da sie öffentliche Diskussionen bewirkte, Vorschriften und Gesetzgebungen beeinflusste und die nötigen Sprachwandelerscheinungen auslöste, die heute für mehr Gerechtigkeit in der deutschen Sprache sorgen (weiter auch Kap. 5).

      2.5 Zusammenfassung

      Im Zuge der Französischen Revolution formierten sich Ende des 18. Jahrhunderts aus sozialpolitischer Unzufriedenheit heraus Proteste, die neben Demokratie und Gerechtigkeit auch eigens Frauenrechte forderten. Im Zusammenhang mit den FrauenbewegungenFrauenbewegung setzte sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Erkenntnis durch, dass es keine sprachliche Gleichberechtigung gab. So kam es zur Forderung, Gleichheit auch sprachlich zu realisieren. Die frühe Sprachkritik fand Unterschiede bei der sprachlichen Behandlung von Frauen und bei den sprachlichen Verhaltensweisen. Frauen verwenden gern Ausdrücke, die eine Behauptung abschwächen. Sie vermeiden dadurch aus Höflichkeit und Kompromissbereitschaft klare Aussagen. Dies wiederum wird als Unsicherheit und Schwäche gedeutet. Beim Sprechen über Frauen geht der eindeutige Bezug auf die Frau durch das generische Maskulinum verloren. Beides wirkt sich zum Nachteil von Frauen aus. Die feministische Sprachkritik forderte darum, sich dieser Probleme bewusst zu werden und beispielsweise maskuline Bezeichnungen für Frauen zu meiden, weil das missverständlich und unklar ist und dadurch Frauen willkürlich ausgeschlossen werden können und unsichtbar sind. Sie kritisierten aber auch andere AsymmetrienAsymmetrie, die sich jeweils für die Männer vorteilhaft auswirkten.

      Die Gegenposition bestritt die Möglichkeit einer assoziativen Verbindung zwischen GenusGenus und Gender, erklärte das Thema für unwichtig, da es einerseits im Rahmen der Gleichstellung andere Themen gebe, andererseits die Referenz in der Regel klar sei. Die Alternativformen seien unnötig, kompliziert bzw. umständlich. Die Rolle der ParoleParole wurde ebenfalls als belanglos gesehen. Sehr auffällig aber waren die vielen polemischen und beleidigenden Reaktionen, die eine ernsthafte Diskussion behinderten.

      Vorerst fehlten noch empirische Studien, die eine assoziative Verbindung von GenusGenus und Gender beweisen konnten. So blieb es zunächst bei Annahmen, die sich in theoretischen Grundsatzdiskussionen gegenüberstanden.

      2.6 Literatur

      Giele (1988) veröffentlichte einen geschichtlichen Überblick aus soziologischer Sicht. Eine kurze Geschichte der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik liefert Samel (2000, Kap. 1). Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspektive vgl. Frey Steffen (2017), Bergmann et al. (2012). Von Thorne/Henley (1975b) kommt ein sehr detaillierter Überblick über den Stand der Forschung Mitte der 70er Jahre. Über die ganze Vielfalt der Gender Studien stellten beispielsweise Braun/Stephan (2006) eine Artikelsammlung zusammen. Kurze Darstellungen der Situation zum Ende des letzten Jahrhunderts aus Sicht verschiedener deutschsprachiger Länder stammen von Doleschal (1998), Peyer/Wyss (1998), Schoenthal (1998), Trempelmann (1998). Überblicksdarstellungen kommen von Schoenthal (1985), Hornscheidt (2006). Zur Situation in Österreich vgl. Aspöck (1983).

      3. Theorien

      3.1 Anfänge

      Die frühen Stellungnahmen zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht Anfang des letzten Jahrhunderts beruhten auf eigenen impressionistischen und sehr subjektiven Beobachtungen, wie etwa die von Otto Jespersen, oder verschiedenen anthropologischen Arbeiten, die alle ausschließlich von Männern publiziert waren. Frühe Analysen basierten auf unsystematisch zusammengestellten Datensammlungen, waren nicht repräsentativ und setzten alles Männliche als Norm an (vgl. Hellinger 1990). Etwas später berücksichtigten die ersten soziolinguistischenSoziolinguistik, -isch Studien Geschlecht als Variable und räumten den Frauen eine Rolle bei Sprachwandelerscheinungen ein.

      3.2 Defizit und Differenz – Feministische LinguistikFeministische Linguistik

      Die FrauenbewegungFrauenbewegung Ende der 60er Jahre führte zu Diskussionen zu sprachlichen Themen, so dass wir seit den Arbeiten von Mary Ritchie Key (1972, 1975), Robin Lakoff (1973, 1977), Barry Thorne und Nancy Henley (1975) von feministischer Linguistik sprechen.

      Key und Lakoff verwendeten introspektive Daten, weswegen sie später wiederholt kritisiert wurden. Sie behandelten das Thema jedoch systematischer als zuvor und auf bestimmte Fragen hin ausgerichtet. Beide unterschieden zwischen der Sprache über und der von Frauen. Dabei galt zunächst vielfach noch vom männlichen System ausgehend das weibliche als das sekundäre und schlechtere. Allerdings stellten sie einen Bezug zwischen sprachlichen AsymmetrienAsymmetrie und sozialer Benachteiligung her. Mit diesem neuen Ansatz legten die Arbeiten den wesentlichen Grundstein für den Kern der Feministischen Linguistik, die im weiteren Verlauf zunächst die empirischen Belege zu typischen Verhaltensweisen von Frauen nachzuliefern hatte, etwa höflichere Ausdrücke, Euphemismen, Abschwächungen, Entschuldigungen, Frageintonation, Übertreibungen, hedgesHeckenausdrücke, <i>hedges</i> bzw. Weichmacher (glaube ich, irgendwie, oder so), tag-questions (isn’t it/nicht wahr?) bzw. den unsicheren Stil, aber insgesamt „korrekteres“ Sprachverhalten. Außerdem spezialisieren sich Frauen auf unterschiedliche Wortfelder, deswegen bezeichnen sie zum Beispiel Farben differenzierter. Auf Seiten der Männer sind mehr UnterbrechungenUnterbrechung, mehr Witze und gröbere Sprache und klare Ansagen typisch, auf Ebene des Sprachsystems männliche Formen auch für Frauen.

      Im deutschen Sprachraum griffen Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch als Erste die diskriminierende Wirkung der Sprache an und machten auch Verbesserungsvorschläge. Auf Luise Pusch geht der Begriff Feministische LinguistikFeministische Linguistik zurück (Samel 2000: 10). Sie wandte sich gegen das generische Maskulinum und andere AsymmetrienAsymmetrie wie Fräulein oder Herr Meier und Frau und kritisierte die dominierenden Gesprächsstrategien der Männer.

      Als Marlis Hellinger 1990 ihren Überblick über die Kontrastive Feministische LinguistikFeministische Linguistik aus deutscher Sicht veröffentlichte, war die Forschung keine zwanzig Jahre alt. Sie sah als ein wesentliches Kennzeichen feministischer Linguistik die kritische Haltung in Verbindung mit dem politischen Ziel, Gleichberechtigung herzustellen und Benachteiligung abzuschaffen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Feministische Linguistik wesentlich von den anderen sprachwissenschaftlichen Disziplinen und ähnelt mit ihren Forderungen denen der FrauenbewegungFrauenbewegung. Kontrastiv betrachtet ergeben sich aus Hellingers Analysen drei Tendenzen, und zwar, dass das Männliche als Norm gesehen wird, dass es positiv belegt wird und dass es daher dominiert (Hellinger 1990: 58). „Die neue Perspektive der geschlechtsbezogenen Sprachforschung bestand in der These, dass Geschlecht in Sprache und Sprachgebrauch Reflex patriarchaler Machtverhältnisse und dieses in Forschung und Theoriebildung aufzuklären ist“ (Klann-Delius 2005: 9).

      Wenn das Männliche die Regel ist, weichen


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