Das Taschenbuch. Günther Fetzer

Das Taschenbuch - Günther Fetzer


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und mehr in den Hintergrund (Storim 2003: 529f.). Gleichzeitig differenzierten sich Kolportagebuchhandel und Reisebuchhandel/Versandbuchhandel aus: „Der Kolportagebuchhandel entwickelte sich zum Buch- und Zeitschriftenhandel […]. Der ehemalige ‚neue‘ Kolportagebuchhandel wandelte sich zum Reise- bzw. später Reise- und Versandbuchhandel mit einem deutlichen Gewicht auf der zweiten Komponente.“ (Storim 2003: 526)

      Insgesamt ist die Bedeutung des Kolporteurs (frz. col: Nacken; porter: tragen), der mit dem Bücherkarren durch Städtchen und Dörfer oder mit der Bücherlade von Haus zu Haus zog, und des Kolportagebuchhandels für die Verbreitung von populären Lesestoffen in breiten Bevölkerungsschichten kaum zu unterschätzen. Gegen Ende des Jahrhunderts vermerkt ein Zeitgenosse, dass „zwei Drittel der gesamten buchhändlerischen Produktion auf dem Wege der Kolportage vertrieben wird“ (Kellen 1899: 82).

      Die technische Entwicklung der Buchproduktion

      Grundlegende Innovationen in den Bereichen Papier, Satz, Druck und Bindung, in denen die Herstellungstechnik sich seit den Zeiten Gutenbergs substantiell kaum weiterentwickelt hatte, schufen die Voraussetzungen für die massenhafte Verbreitung populärer Lesestoffe im 19. Jahrhundert – nicht zuletzt, weil durch diese „Revolutionierung der Buchherstellung“ (zusammenfassend Stümpel 1987, Fallbacher 1992: 90–108 und Wittmann 1999: 220–223) die Lesestoffe deutlich billiger und damit auch für einkommensschwache Schichten erschwinglicher wurden. Betrug der Preis für den fünften Jahrgang des beliebten Taschenbuchs Penelope aus der C. J. Hinrichschen Buchhandlung im Jahr 1844 noch umgerechnet 50 Silber- oder Neugroschen (Krieg 1953: 32), so kostete eine 600seitige Lessing-Ausgabe im Klassikerjahr 1867 zehn Silber- oder Neugroschen, die Einzelbände von ReclamReclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek nur zwei Silber- oder Neugroschen (Bode 2003: 23).

      Im Bereich der Papierherstellung wurde die 1799 patentierte Langsiebpapiermaschine des Franzosen Nicolas Louis Robert so verbessert, dass die 1818 in Berlin installierte erste deutsche Maschine mit Dampfbetrieb die bisherige Tagesproduktion bei besserer Qualität verzehnfachen konnte. Der traditionelle Rohstoff (Hadern und Lumpen) wurde bei steigendem Papierbedarf immer knapper. Dieser Engpass konnte mit der Erfindung des Holzschliffs durch Gottlob Keller im Jahr 1844 Schritt für Schritt beseitigt werden. Allerdings vergilbten und zerfielen die stark holzhaltigen Papiere schnell, was durch die 1863 in Amerika patentierte und 1874 in Deutschland eingeführte Sulfitkochung weitgehend behoben werden konnte. Dabei wurde der Holzschliff chemisch behandelt. Diese Verarbeitung des nun Zellstoff genannten Rohstoffs führte zu Papieren mit hohem Weißegrad und deutlich geringerer Vergilbungsanfälligkeit.

      Im Bereich der Satzherstellung brachte die Erfindung der Handgießmaschine im Jahr 1838 durch den Amerikaner David Bruce einen ersten wirklich Fortschritt, konnte doch damit die Arbeitsleistung eines Setzers annähernd verzehnfacht werden. Eine weitere Steigerung erlaubte die automatische Gießmaschine der französischen Firma Foucher Frères aus dem Jahr 1883. Sie lieferte in einem Arbeitsgang gebrauchsfertige Typen. Den wirklichen Durchbruch für einen Mengensatz – vor allem für Zeitungen – schaffte jedoch erst die Setzmaschine, vor allem Otmar Mergenthalers automatisch ausschließende Linotype von 1884, die nicht einzelne Typen, sondern Zeilen produzierte. Sie übertraf die Leistung eines guten Handsetzers um das Dreifache. Kurz vor der Jahrhundertwende entwickelte der Amerikaner Robert Lanston die Monotype, eine automatische Einzeltypen-Setz- und Gießmaschine.

      Zum Bereich der Satzherstellung gehört auch das Stereotypie-Verfahren. Dabei wurde das einmal in Blei erstellte Satzbild nach einer Abformung in Gips und später in einer Papiermasse mit Schriftmetall ausgegossen. Der Text war damit „stereotypiert“, und das teure Letternmaterial konnte für andere Satzaufgaben genutzt werden. Dieses Verfahren war etwa seit 1820 für immer wieder gedruckte oder in Massen hergestellte identische Texte allgemein üblich (siehe Wilkes 2010).

      Im Bereich des Drucks wurde über Jahrhunderte zwar die Handpresse technisch optimiert, doch eine qualitative Veränderung brachte erst die Zylinder-Schnellpresse, für die Friedrich König 1811 in London ein Patent erhielt. Sie wurde zunächst für den Zeitungsdruck eingesetzt, danach auch immer häufiger für den Buchdruck. Arbeitete die dampfbetriebene Schnellpresse noch mit Papierbogen, so baute der Amerikaner William Bullock 1865 die erste funktionierende Rotationsmaschine. Das Papier wurde hier als Papierbahn von der Rolle zugeführt und in einem Durchlauf von beiden Seiten bedruckt. Als Druckform dienten Rundstereotypie-Platten. Die Maschine lief vollautomatisch und schaffte 10.000 Bogen pro Stunde. Für den Buchdruck blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend die Königsche Schnellpresse im Einsatz. Doch soll bereits 1866 auf der von Bullock konstruierten Maschine ein Buch mit einem Umfang von fast 700 Seiten gedruckt worden sein (Wilkes 2010: 186). 1875 wurde Meyers Konversationslexikon in Leipzig auf einer Rollenrotationsmaschine der Firma MAN hergestellt.

      Im Bereich der Bindung war Buchbinden vom 17. Jahrhundert bis etwa 1840 im wörtlichen Sinn ein Hand-Werk ohne technische Hilfsmittel und Maschinen. Einzige Ausnahme war die Stockpresse. Jetzt kamen unter anderen die Schneidemaschine (Frankreich, seit 1837), die Falzmaschine (England, seit 1849), die Drahtheftmaschine (Deutschland, seit 1875) und die Fadenheftmaschine (Deutschland, seit 1884) hinzu, was die buchbinderischen Voraussetzungen für eine massenhafte Produktion schuf.

      Die in diesem Kapitel geschilderten Entwicklungen – die Ausweitung des Lesepublikums, die Ausdifferenzierung und Ausweitung der Printmedien, die Ausdifferenzierung und Ausweitung der Vertriebswege sowie die technische Entwicklung der Buchproduktion – führten zu einer inhaltlichen Bandbreite und Vielfalt des literarischen Markts, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird.

      3 Das serielle Buch im 19. Jahrhundert

      Man hat von der „serial revolution“ im 19. Jahrhundert gesprochen und dabei nicht nur Periodika mit den verschiedensten Inhalten – ein Beispiel sind die jahrbuchähnlichen Zusammenstellungen wie Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völker- und Naturkunde (1853–1856) –, sondern auch Reihenveröffentlichungen in selbständigen Teilen bezeichnet (Law/Patten 2009: 144).

      Wenn wir „Buch“ als Produkt eines technischen Herstellungsprozesses definieren, wobei dem Träger Papier die zu übermittelnden Sprach- und Bildzeichen appliziert werden, als Buchform die Codexform voraussetzen (Rautenberg 2015: 65) und zugleich die Unesco-Definition mit dem Mindestumfang von 49 Seiten außer Betracht lassen, so spannt sich im 19. Jahrhundert die Produktbreite inhaltlich vom Roman bis zum Ratgeber und zum wissenschaftlichen Buch, formal vom Hardcover bis zur Broschur und zum Heft sowie adressatenspezifisch von Büchern für Erwachsene bis zur Kinder- und Jugendliteratur. Jede einzelne dieser Buchgattungen (zum Begriff siehe Rautenberg 2015: 75) lassen sich Bereitstellungsqualität, Organisiertheit, Funktionalität und Institutionalisiertheit zuschreiben (Saxer 1999). Im Kontext einer Geschichte des Taschenbuchs interessieren dabei die Gattungen, die die folgenden Merkmale erfüllen.

      Der Auftritt als Reihe ist das zentrale Kriterium. Den Reihencharakter machen ein übergeordneter Reihentitel – oft mit einer Reihennummer für den einzelnen Band –, das Format, eine weitgehend einheitliche Buchgestaltung, ein niedriger – sehr oft einheitlicher – Ladenpreis bei relativ hoher Auflage und die Periodizität aus. Eine niederschwellige Definition bietet Isabelle Olivero in ihrer Untersuchung zur „paperback revolution in France“ an: „A nineteenth and twentieth century ‚collection‘ is a collectable series of uniform volumes, which brought the same high quality of production of ‚high-end‘ or ‚well produced‘ books to the inexpensive and popular book.“ (Olivero 2011: 72)

      

Eine Reihenforschung existiert im deutschen Sprachraum so gut wie nicht. Einzig Bry 1917 und Unger 2015 befassen sich mit dem Thema im engeren Sinn. Zusammenfassend Bast 1988 und Rautenberg 2015: 333f. Sehr differenziert und materialreich vor allem für den englischen Sprachraum Spiers 2011, besonders die Einleitungen zu den beiden Bänden. Für den französischen Sprachraum Olivero 1999, zusammenfassend Olivero 2011. Sie sieht die Reihenentwicklung im 19. Jahrhundert als „un phénomène européen“ (Olivero 1999: 13).

      Der Reihentitel versucht, die Grundidee


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