Das Taschenbuch. Günther Fetzer

Das Taschenbuch - Günther Fetzer


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Die deutschen erschien zwischen 1838 und 1850 im Verlag Heinrich Ludwig BrönnerBrönner in Frankfurt und umfasste 57 Titel. Neben den ‚klassischen‘ Stoffen wie Die schöne Magelone, Reineke Fuchs, Genoveva und Dr. Johannes Faust erschienen auch Sammlungen von Sprichwörtern, Rätseln, Volksliedern und Weissagungen, aber auch Büttner-Handwerksgewohnheiten und Der Huf- und Waffenschmiede-Gesellen Handwerksgewohnheit. Die broschierten Bände hatten einen Umfang zwischen 50 und über 600 Seiten, sie waren mit Holzschnitten illustriert und hatten ein Format von circa 11 cm x 18 cm.

      Am bekanntesten ist wohl die Sammlung Volksbücher von Gotthard Oswald Marbach, die ebenfalls 1838 im Verlag Otto WigandWigand in Leipzig zu erscheinen begann. In der Zusammenstellung gleicht sie weitgehend der Simrockschen Reihe, doch sind das keine Ausgaben, die auch Philologen ansprechen wollten, sondern vor allem auf das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums zielten (Rautenberg 1985: 223f.). Von den insgesamt 53 Bänden erschienen bis 1842 vierunddreißig unter der Herausgeberschaft Marbachs, danach bis 1848 weitere 19 Bände, zum Teil durch Oskar Ludwig Bernhard Wolff herausgegeben, einige auch ohne Nennung eines Herausgebers. Zum Erfolg der Reihe hat sicher beigetragen, dass 31 Titel mit Holzschnitten von Ludwig Richter illustriert waren. Die Bände erschienen in Heftform, also ohne festen Einband, und wurden auf billigstem Papier gedruckt. Die Umfänge schwankten zwischen 40 und 250 Seiten; das Format betrug 12,5 cm x 18 cm.

      Für den ökonomischen Erfolg beider Reihen sprechen die Tatsachen, dass Simrocks Die deutschen VolksbücherVolksbücher, Die deutschen zwischen 1845 und 1867 in 13 Sammelbänden erneut herausgebracht wurden und dass Marbachs Volksbücher bis zur Jahrhundertwende immer wieder nachgedruckt wurden (Galle 2006b: 19).

      

Der Begriff „Volksbücher“ erscheint auch – oft in Kombination mit geografischen Bezeichnungen – in vielen anderen Reihennamen wie Münchener VolksbücherVolksbücher, Münchener, Rheinische VolksbücherVolksbücher, Rheinische, Rosenheimer VolksbücherVolksbücher, Rosenheimer, Wiener VolksbücherVolksbücher, Wiener, Wiesbadener VolksbücherVolksbücher, Wiesbadener etc. Wie das Beispiel Meyers VolksbücherMeyers Volksbücher zeigt, handelt es sich jedoch nicht immer um Volksbücher in dem hier behandelten Sinn. Meyers Volksbücher versammeln vielmehr neben wenigen nichtfiktionalen Titeln vor allem in- und ausländische Klassiker sowie Autoren der Zeit. Mit „Volksbibliotheken“ wiederum wurden vor allem gegen Ende des Jahrhunderts Reihen für Jugendliche bezeichnet (Galle 2006b: 110–133).

      Die dritte Gattung, die im oben beschriebenen Sinn für unser Thema wichtig ist, sind die Kolportageromane, oft auch als Lieferungsromane, zeitgenössisch häufig als „Hintertreppenroman“ bezeichnet. Ein Kolportageroman war ein Roman von einigem Umfang, der in Lieferungen portioniert war und über den Kolportagebuchhandel an sein Publikum gelangte. Die Zahl der Lieferungen schwankte zwischen 15 und maximal 200 Heften von zunächst 16 bis 48 Seiten, seit den 1880er Jahren von in der Regel 24 Seiten (Kosch/Nagel 1993: 6) Die einzelnen Hefte wurden in der Anfangszeit im Oktav-Format, später im Klein-Oktav-Format gedruckt, also mit einer Rückenhöhe zwischen 25 cm und 18,5 cm. Die gefalteten Druckbögen waren häufig nicht aufgeschnitten. Zum Lieferungsumfang gehörte auch eine Illustration; diese war teilweise auch mehrfarbig. Die Titelseite war verständlicherweise immer identisch gestaltet, um den Seriencharakter zu unterstreichen. Der Preis pro Lieferung betrug meist zehn Pfennig. Der Verlag stellte häufig Einbanddecken zur Verfügung, sodass der Abonnent die Hefte aufbinden lassen konnte.

      Die ersten Hefte wurden kostenlos an die Kolportagebuchhändler abgegeben, denn deren Kolporteure mussten Abonnenten für das jeweilige Lieferungswerk gewinnen, und diese Freistücke stellten einen Teil der Provision der Reisenden dar. Entsprechend hoch waren zunächst die Auflagen. Ein zeitgenössischer Bericht nennt bei einem dieser Werke 2,5 Millionen gedruckte Exemplare für die erste Lieferung, 215.000 für die zweite und 175.000 für die fünfte Lieferung. Ab Heft 6 musste der Abonnent die Lieferungen bezahlen. Nun sank die Zahl der gedruckten Exemplare von 75.000 Exemplare auf 13.000 Exemplare bei der 150. und letzten Lieferung (Kellen 1899: 87f.).

      

Im Unterschied zum Kolportagebuchhandel ist der deutsche Kolportageroman kaum erforscht. Ausnahmen sind Schenda 1970, 241–248 und 310–314 und vor allem Galle 2006b: 134–177. Die Bibliografie von Kosch/Nagel 1993 verzeichnet über 1.500 Kolportageromane für den Zeitraum von 1842 bis 1960. Siehe dort auch die Einleitung.

      Nach Vorbildern in den USA und England begannen in Deutschland die ersten Kolportageromane um die Jahrhundertmitte zu erscheinen. Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen 1860 und der Jahrhundertwende. In diesem Zeitraum erschienen rund 1.100 Lieferungsromane (Kosch/Nagel 1993: 1). Zeitgenössisch werden als Beispiele immer wieder genannt Kornblume und Veilchen oder Unser Wilhelm und Unser Fritz. Patriotische Erzählung (1888–1890) von N. J. Anders – ein Pseudonym von Nathan Jacob – im Verlag Werner GroßeGroße, Berlin, und Der Scharfrichter von Berlin. Sensations-Roman nach Acten, Aufzeichnungen und Mitteilungen des Scharfrichters Julius Krautz (1889–1890) von Victor von Falk, – ein Pseudonym von Heinrich Sochaczewsky – im Verlag August WeichertWeichert, Berlin. Kornblume und Veilchen soll in 200 Lieferungen mit insgesamt über 4.800 Seiten erschienen sein; der Scharfrichter hatte einen Umfang von über 3.000 Seiten in 130 Heften zu je zehn Pfennig und fand eine Viertelmillion Käufer (Kellen 1899: 85).

      All diese Romane sind heute in Vergessenheit geraten. Am ehesten sind noch die fünf Lieferungsromane im literarischen Bewusstsein geblieben, die Karl May zwischen 1882 und 1887 für den Dresdner Verlag H. G. MünchmeyerMünchmeyer geschrieben hat. Den ersten Roman, Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde mit dem schönen Untertitel Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft, veröffentlichte May unter dem Pseudonym Capitain Ramon Diaz de la Escosura, die weiteren ohne Verfasserangabe. Der Roman erschien in 109 Fortsetzungen von Dezember 1882 bis August 1884 und umfasste 2.612 Seiten.

      Von der Form her eng verwandt mit den Lieferungsromanen sind die Serienhefte und der Heftroman. Beiden gemeinsam ist – in der Abgrenzung zum Lieferungsroman –, dass die Hefte zwar auf Fortsetzung angelegt sind, jedoch jeweils eine in sich abgeschlossene Handlung hatten. Im Unterschied zum Serienheft hatte der Heftroman darüber hinaus eine durchgehende Zentral- und Titelfigur. Beide Formen waren vom Umfang her streng normiert, wobei Ausnahmen eher bei den Serienheften möglich waren. Der Vertrieb erfolgte zunächst weitgehend über den Kolportagebuchhandel, doch parallel zu dessen Rückgang wurden Straßenverkäufer, Bahnhofskioske, der Schreibwarenhandel sowie Zigaretten- und Tabakläden immer wichtiger.

      

Zur Einführung siehe Galle 2006a und 2006b sowie Buck 2010; ein Verzeichnis der zwischen 1900 und 1945 erschienenen Heftromane bei Wanjek 1993.

      Serienhefte wie Heftroman hatten ihren Vorläufer in der amerikanischen dime novel (Cox 2012). Als erster Titel der Reihe Beadle’s Dime NovelsBeadle’s Dime Novels erschien 1860 Malaeska. The Indian Wife of the White Hunter von Ann S. Stephens. Diese frühesten dime novels hatten bei einem Preis von zehn Cent (einem „dime“) einen Umfang von 96 Seiten in drei Bogen zu je 32 Seiten; sie waren fadengeheftet. Am Anfang betrug das Format 4 ½ inches x 6 ½ inches (11,4 cm x 16,5 cm); später erschien die Mehrzahl der Hefte im Format 7 inches x 10 inches (17,8 cm x 25,4 cm, also etwas größer als DIN A5). Die Broschuren waren mit einem orangefarbenen Papier derselben Stärke wie der Innenteil umhüllt. Die Vorderseite zierte ein simpler Holzstich, der die Hauptfigur in einer sprechenden Szene zeigte. Erzählt wurden zunächst wahre Geschichten aus der Pionierzeit Amerikas und fiktionale Heldenlegenden. Der in den ersten Jahren konkurrenzlose Verlag BeadleBeadle verkaufte bis 1865 mehr als vier Millionen Exemplare, von Malaeska im Lauf der Jahre wohl eine halbe Million (Schick 1958: 50–54 und Bonn 1982: 29f.). Ab 1874 wurden die wenig attraktiven Umschläge durch grelle, farbige Cover ersetzt. Den Höhepunkt der Verbreitung fanden die dime novels im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden sie von der Bühne der populären


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