Das Taschenbuch. Günther Fetzer

Das Taschenbuch - Günther Fetzer


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in der Regel auch die Bedeutung der Reihe signalisiert. Reihentitel reichen von relativ unspezifischen Benennungen wie Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek bis Formulierungen wie Neue JugendbibliothekJugendbibliothek, Neue, die die Zielgruppe eindeutig adressieren.

      In den Reihen erscheinen sowohl selbständige und inhaltlich in sich abgeschlossene Publikationen als auch Lieferungen von Werkausgaben (zum Beispiel Walter Scotts Werke bei den Gebrüdern FranckhFranckh in Stuttgart ab 1827 in 150 Bändchen) oder Lieferungen von umfangreichen Werken wie die eines Kolportageromans. Inhaltlich (in ihrem Programm) sind Reihen keineswegs auf Fiction beschränkt, sondern umfassen auch nicht-fiktionale Stoffe. Die Spanne reicht von Enzyklopädien und Nachschlagewerken über Ratgeber und Erbauungsbücher bis zu wissenschaftlicher Literatur, sozusagen von ReclamReclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek über Das große Conversations-Lexicon für die gebildeten Stände von Carl Joseph Meyer bis zur Sammlung GöschenSammlung GöschenGöschen. Werner Faulstich hat die Entwicklung zur Reihe als Publikationsform pointiert charakterisiert: „Der Buchmarkt, soweit er sich zu einem Massenmarkt veränderte, wurde im Prinzip in einen Heftmarkt verwandelt und ging damit in einem allgemeinen Medienmarkt auf.“ (Faulstich 2004: 195) Diese pauschale Feststellung ist sicher zu differenzieren, aber bei der enormen Zahl an Reihen durchaus diskussionswürdig.

      Die Reihe erscheint in der Regel in einem einheitlichen Format, das im Publikationsverlauf durchaus wechseln kann. Das Format reicht von der sehr kleinformatigen Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker August SchumannSchumanns (8 cm x 9 cm) bis zum Großformat bei Enzyklopädien (ca. 25 cm x 30 cm).

      Der Reihencharakter wird auch durch die Buchgestaltung hervorgehoben. So erschienen die Bände von ReclamReclams Universal-BibliothekUniversal-Bibliothek 50 Jahre lang im einheitlichen Reihendesign: rötlich-blasser Grundton des Einbands, floristische Elemente im linken Teil der Vorderseite und der Reihenname prominent am Kopf der Seite.

      Der Ladenpreis der einzelnen Bücher bzw. Lieferungen war dank der technischen Fortschritte in der Buchproduktion und der relativ hohen Auflagen relativ niedrig. Zeitgenössisch schlug sich das in der Opposition von Kulturbuch vs. Massenbuch nieder (Steinen 1912, siehe auch Jeremias 1938). Massenhaftigkeit ist ein wichtiges Bestimmungsmerkmal des seriellen Buchs.

      

„Format“ meint im engeren Sinn Papier- oder Buchformat, im erweiterten Sinn ist die Reihe mit ihren Bestimmungselementen ein „Format“. Eine Reihe hat ein Format, sie ist aber zugleich auch ein Format. Michael Niehaus hat den Format-Begriff in seiner perspektivenreichen Abhandlung Was ist ein Format? (Niehaus 2018) entfaltet: „Etwas wird genau dann als ein Format bezeichnet, wenn es als durch von außen gesetzte Formatvorgaben definiert betrachtet werden kann.“ Das Format als formale Institution ist „gewissermaßen zeitlos“, liegt also bereit und kann reaktiviert werden, und stellt „für verschiedene ‚Contents‘ eine Option“ dar (Niehaus 2018: 91). „Denn von sich aus hat das Format keine narrative, sondern nur eine serielle Dimension.“ (82) Pointiert ausgedrückt: „Das Format ist die Botschaft.“ (135) In dieser Betrachtungsweise ist die einzelne Reihe ein „Genre“ (86).

      Periodizität grenzt die Reihen des 19. Jahrhunderts gegenüber Formen aus dem Jahrhundert zuvor wie Almanach und „Taschenbuch“ ab. Zwar treffen etliche der oben genannten Merkmale auch für diese beiden Formen zu (Bunzel 1999), doch kann beim einmaligen Erscheinen pro Jahr von einer Periodizität, wie wir sie als Basismerkmal einer Zeitschrift – im 18. Jahrhundert etwa die Moralischen Wochenschriften (siehe Martens 1968 und FischerFischer/Haefs/Mix 1999) – kennen, nicht die Rede sein. Reihen des 19. Jahrhunderts umfassen von wenigen Werken in einer kurzen Lebenszeit der Reihe, etwa die Rheinische Reise-Bibliothek für Dampfschiff und EisenbahnReise-Bibliothek für Dampfschiff und Eisenbahn, Rheinische (2 Bände zwischen 1859 und 1861), bis zu Tausenden von Titeln über Jahrzehnte hinweg wie die Tauchnitz-EditionAlbatross Modern Continental Library, The, in der zwischen dem Start im Jahr 1841 und der Jahrhundertwende 3.400 Nummern verlegt wurden. Das Erscheinen erfolgt im Allgemeinen unregelmäßig, doch gibt es auch Fälle regelmäßigen Erscheinens wie Engelhorns allgemeine Roman-BibliothekEngelhorns allgemeine Roman-Bibliothek (vierzehntäglich) und Kürschners BücherschatzKürschners Bücherschatz (wöchentlich).

      Nicht alle populären Lesestoffe des 19. Jahrhunderts (zu den Formen und Gattungen siehe Schenda 1970: 271–324 und Galle 2006b) sind in Reihen erschienen. Sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch vom seriellen Charakter und der Frequenz des Erscheinens her sind jedoch vier Gattungen typisch, die „Bibliotheken“ (oft auch unter den Bezeichnungen „Collectionen“ oder „Sammlungen“), die Volksbücher, der Kolportageroman und gegen Ende des Jahrhunderts die Serienhefte und der Heftroman.

      Die Collectionen, Bibliotheken oder Sammlungen sind in ihrer Vielfalt kaum zu überblicken. In der derzeit umfangreichsten Materialsammlung nennt Heinz J. Galle rund 200 Reihen (2006b). Diese Klassikerbibliotheken, Familienbibliotheken, Volksbibliotheken, Jugendschriftenreihen etc. wurden von Verlagen auf den Markt gebracht, die teilweise heute kaum mehr bekannt sind. Sie erschienen gebunden, als Broschüre oder als Heft. Nicht immer trifft das Kriterium der massenhaften Verbreitung zu; oft fehlen auch dazu die Informationen.

      Das Forschungsinteresse an diesen Bibliotheken ist recht übersichtlich, was nicht zuletzt mit der Materiallage zusammenhängt. Viele dieser Reihen waren für Bibliotheken nicht ‚sammlungswürdig‘. Daher ist es „einer kleinen Gruppe von Sammlern […] überhaupt zu verdanken, dass wir heute wenigstens noch in Umrissen die gesamte Bandbreite der Unterhaltungsliteratur aus der Vergangenheit erahnen können“ (Galle 2006b: 10). Schon seit den Zeiten der frühen Buchhandelshistoriker Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich werden immer wieder nur einige wenige Beispiele genannt; eine detaillierte wissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt weitgehend.

      

In jüngerer Zeit ist Christine Haug mit ihren Arbeiten zu den Reisebibliotheken, einer Sonderform der populären Lesestoffe, eine Ausnahme. „Mit der massenhaften Produktion von Reiselektüre, die Ende der sechziger Jahre einen ersten Höhepunkt erlebte, entwickelte sich eine Gebrauchsliteratur besonderer Art. Bei den ‚Eisenbahn- und Reisebibliotheken‘ handelte es sich um Serien in einheitlicher Ausstattung […]“ (Haug 2003: 595). „Die Reisebibliotheken beinhalten ein vielfältiges und qualitativ stark divergierendes Angebot an Unterhaltungsliteratur und populärwissenschaftlichen Schriften, zum Beispiel Kriminal- und Abenteuergeschichten, Reiseerzählungen, pikante Sensations- und Skandalberichte, aber auch völkerkundliche, geographische und historische Abhandlungen.“ (Haug 2000: A220) Inwiefern hierunter sich Taschenbuchreihen befinden, wie sie im folgenden Kapitel vorgestellt werden, kann angesichts der Begrenzung dieser Untersuchung nicht geklärt werden.

      Die erste prototypische Bibliothek erschien bereits im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Christian Gottlieb SchmiederSchmieder in Karlsruhe veröffentlichte zwischen 1774 und 1793 die Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und DichterSammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter in 180 Nummern. Die Nachdrucke waren durch ein kaiserliches Privileg geschützt, was den Verleger aber nicht vor Anfeindungen, beispielsweise durch GöschenGöschen, bewahrte. Basis der Sammlung waren die damaligen Klassiker wie Gellert, Klopstock und Wieland, erweitert später um historische, politische und philosophische Prosa sowie um unterhaltende Literatur der Zeit.

      Die meisten der Bibliotheken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentierten deutsche oder antike Klassiker. Am Anfang standen die Etui-Bibliothek der Deutschen ClassikerEtui-Bibliothek der Deutschen Classiker bei August SchumannSchumann (ab 1810), die Sammlung der vorzüglichsten deutschen ClassikerSammlung der vorzüglichsten deutschen Classiker aus dem Bureau der deutschen ClassikerBureau der deutschen Classiker im C. F. MüllerMüller Verlag (ab 1814) sowie die Kollektionen im Bibliographischen Institut von Carl Joseph Meyer (Miniatur-Bibliothek der Deutschen ClassikerMiniatur-Bibliothek der Deutschen Classiker, ab 1824; Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker,


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