Der Storykiller. Philipp Probst
machte Henry nur.
«Kennst du sie denn?»
«Non, gerade erst kennengelernt! Die ist tausendmal hübscher als Cordula.»
«Cordula Hahne? Unsere Assistentin?»
«Klar. Cordula ist verdammt sexy, okay, da kommt man schon mal auf gewisse Gedanken. Schliesslich habe ich sie einmal im Studio fotografiert.»
«Bitte, was?», sagte Alex. Er konnte es kaum glauben.
«Natürlich, Alex.» Henry lachte und fügte dann hinzu: «Im Bikini vor einem Truck. Sieht scharf aus, die Kleine.»
«Gibt es ja nicht.»
Da piepste Alex’ Handy. Sandra hatte ihm eine SMS geschickt: «hi du, habe unseren artikel geschrieben. kein hit. aber renner findet ihn gut. schade hatte ich nicht mehr platz. aber morgen schlagen wir richtig zu, wenn du den hund findest. dann schreiben wir zusammen, ok? k sandra».
Alex kapierte nicht ganz, was Sandra meinte. Zu wenig Platz, zu wenig Text? Bei einem Aufmacher?
Er simste ihr zurück, bei ihm sei alles bestens, ausser dass Henry ein wenig schwierig tue. Auf Sandras Probleme mit der Textlänge ging er nicht ein, da Tina soeben mit seinem Bier kam.
«Was macht ihr zwei eigentlich hier oben?», fragte sie Alex, nachdem sie eingeschenkt hatte.
«Diesen toten Politiker abfeiern», sagte Henry schnell. Er liess Alex gar nicht zu Wort kommen.
«Was heisst denn das, ‹abfeiern›?», fragte Tina.
«Henry meint, dass wir versuchen, Alfred Jaspers letzte Stunden zu rekonstruieren und dass wir ausserdem seinen Hund suchen», erklärte Alex.
«Rolf?»
«Ja. Du kennst Jaspers Hund?»
«Klar. Jasper war oft hier oben. Dann spielte Rolf immer mit meiner Anouschka.»
«Das ist dein …»
«Mein Hund, also Hündin. Die streift wohl gerade durch ihr Revier.»
«Ach so», sagte Alex. «Die läuft auch einfach so weg, wie Rolf?»
«Nein. Die kommt immer brav zurück. Ich denke, Rolf hat einen Schock. Aber er kommt sicher zurück. Und wenn ihn jemand findet, weiss man schnell, zu wem er gehört. Rolf trägt ein Halsband mit einer kleinen Tasche, in der eine Plakette mit der Adresse seines Herrchens drinsteckt.»
«Praktisch.»
«Ein Hund mit Tasche», mischte sich Henry nun wieder ins Gespräch ein. «Das hab ich noch nie gesehen. Muss ich fotografieren.»
«War so eine Idee von Jasper», erzählte Tina weiter. «In der Tasche verstaute Jasper auch seinen Haus- und seinen Autoschlüssel und Kleingeld und was weiss ich noch alles für Kleinkram.»
«Hammer», sagte Henry. «Wär mal eine lustige Tierreportage! Hunde als Lastesel ihrer Meister.»
Tina wurde von anderen Gästen gerufen.
«Ist sie nicht eine Göttin?», sagte Henry, kurz nachdem Tina gegangen war.
Weil Alex nicht antwortete, fragte ihn Henry, ob er sich auch gerade verliebt habe.
«Was? Nein. Aber …» Alex stockte.
«Ja, was denn?»
«Ein verschwundener Hund mit Tasche.»
«Und?»
«Was ist in der Tasche?»
«Na, hast ja gehört, so Kleinkram eben.»
«Kleinkram? Okay. Dann noch diese Schüsse.»
«Alex, was ist los, drehen deine Hormone im roten Bereich?»
«Wetten, dass Rolf tot und sein Halsband weg ist?!»
BUONAS, GEMEINDE RISCH AM ZUGERSEE
Um 19.14 Uhr piepste Emma Lemmovskis Handy und zeigte ihr an, dass sie von der Redaktion eine Mail erhalten hatte. Emma war gerade frisch geduscht und kämmte ihre langen, blonden Haare. In ihrem Ankleideraum streifte sie sich ein enges, ärmelloses T-Shirt über und schlüpfte in einen kurzen Jeansrock. Barfuss ging sie in ihr Büro.
In der Mail informierte sie der stellvertretende Chefredakteur Christian Reich über den neuen Aufmacher, die Exklusivgeschichte von Jonas Haberer über die Abschaffung der Armee und über weitere wichtige Artikel der morgigen Ausgabe. Er hatte Sandra Bosones Beitrag über Jasper als Attachement angehängt. Emma las den Text genau durch.
Sie las ihn ein zweites und ein drittes Mal.
«Das ist verdammt gut», sagte sie schliesslich laut vor sich hin. «Diese Sandra kann tatsächlich etwas. Renner hat schon einen Riecher für Jungtalente.»
Sie mailte Reich, dass sie mit dem Artikel einverstanden sei. Sie schrieb explizit «einverstanden». Beliebte Journalisten-Wörter wie «super», «top» oder «mega» mied Emma Lemmovski. Sie war der Ansicht, ein Lob sollte nur dann ausgesprochen werden, wenn wirklich etwas Ausserordentliches geleistet worden war. Die inflationäre Lobhudelei war ihr zuwider. Sie fügte ausserdem hinzu, dass sie sich sehr über Haberers Primeur freue.
Eine zweite Mail schrieb sie an Renner: «Geht doch, Zecke. Grüsse.»
Dann zappte sie auf die «Aktuell-Online»-Page. Dort hatten die Journalisten die Jasper-Story mittlerweile nach unten verschoben und den Nachzug auf Sandra Bosones Artikel in der heutigen «Aktuell»-Ausgabe über die Spendenaffäre im Hilfswerk «Sonnenaufgang» aufgemacht.
Titel: «Empörung über Spendenskandal – Massnahmen gefordert»
Im Text kamen dann etliche Politiker von rechts bis links zu Wort, die sich zu den veruntreuten Spendengeldern äusserten und schärfere Kontrollen durch staatliche Instanzen forderten. Emma Lemmovski war äusserst zufrieden. Was sie immer verlangte, wurde tatsächlich umgesetzt: Themen, die in der Zeitung angerissen wurden, sollten wenn immer möglich in der Online-Ausgabe aufgegriffen und weitergezogen werden.
Ein Zwischentitel ärgerte sie allerdings: «Sonnenuntergang bei ‹Sonnenaufgang›?»
Na ja, dachte sie, ein solcher Titel über ein Hilfswerk mit dem Namen «Sonnenaufgang», das möglicherweise bald schliessen muss, liegt natürlich auf der Hand. Trotzdem hielt Emma Lemmovski solche Wortspiele weder für originell noch für journalistisch korrekt, sie fand sie einfach nur blöd.
Sie fuhr den Computer herunter und ging zu ihren Söhnen in den Garten. Die beiden hatten bereits zu Abend gegessen, TV geschaut und spielten nun noch eine Runde Tischtennis.
Jana, die sowohl Kindermädchen als auch Hausangestellte war, bereitete in der Küche das Essen für die Eltern Lemmovski zu. Da David Lemmovski meistens erst um 20 Uhr nach Hause kam, war es bei der Familie üblich, dass die Kinder nicht mit den Eltern, sondern mit Jana das Abendbrot einnahmen.
«Hallo zusammen, ich bin da», rief David Lemmovski, als er von der Tiefgarage ins Haus hinaufkam.
Die Kinder unterbrachen sofort den Match und begrüssten ihren Vater. Der 10jährige Rudolf erzählte aufgeregt von der toten Ratte im Pool, sein zwei Jahre älterer Bruder ergänzte, dass die Mama das Tier heldenhaft aus dem Wasser geholt habe.
David Lemmovski schaute seine Frau Emma fragend an, gab ihr einen flüchtigen Kuss und rannte danach mit den Kindern in den Garten.
Emma ging in die Küche zu Jana, half ihr beim Anrichten – es gab kleine Steaks und Salat –, rief ihre drei Männer ins Haus und stieg in der Garderobe beim Entree in weisse Riemchensandalen mit hohen Bleistiftabsätzen.
Marcel und Rudolf sagten «Gute Nacht» und wurden danach von Jana in ihre Zimmer begleitet. David Lemmovski öffnete eine Flasche Wein.
«Was erwartet mich, wenn ich morgen ‹Aktuell› lese?», fragte er.
Emma erzählte von den Ereignissen