Der Storykiller. Philipp Probst

Der Storykiller - Philipp Probst


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schon fertig, waren ganz einfach», sagte Marcel triumphierend.

      «Ist schon merkwürdig, Marcel. Heute morgen bei meinem Training im Wasser lag noch keine Ratte im Pool.»

      «Die ist wohl reingefallen, als du weg warst», argumentierte Marcel.

      «Einfach so reingefallen?»

      «Hast du vorhin selbst gesagt.»

      «Ja, vor deinen Freunden.»

      «Na, und jetzt?»

      «An ihrem Bauch war ein Stein festgebunden.»

      «Wäh!», machte Marcel nur.

      «Wenn du die Ratte nicht da reingeschmissen hast, um die anderen zu erschrecken, dann müssen wir der Sache nachgehen.»

      «Ich habe sie aber nicht reingeschmissen.»

      «Bist du dir da ganz sicher?»

      «Ja, ganz.»

      Emma nahm ihren Sohn in die Arme. Sie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl.

      REDAKTION «AKTUELL», WANKDORF, BERN

      Punkt 17 Uhr versammelten sich die Abteilungsleiter der «Aktuell»-Redaktion im Konferenzzimmer. Mit dabei war auch Sandra Bosone. Sie war von News-Chef Peter Renner aufgeboten worden, weil sie nach der Sitzung die verschiedenen Recherchen von Alex Gaster und Flo Arber sowie ihre eigenen Erkundigungen nach den Vorgaben der Chefredaktion zu einem süffigen Artikel zusammenbauen sollte.

      Geleitet wurde das Meeting von Christian Reich, dem stellvertretenden Chefredakteur.

      «Don Muller hat eine Verlagsverpflichtung», sagte Reich und kam dann gleich zur Sache. «Die morgige Ausgabe haben wir schon im Verlauf der letzten Stunden recht gut planen können. Gibt es noch News?»

      «Es gab einige Reaktionen auf Sandras Spendengeschichte in der heutigen Ausgabe», meldete Peter Renner. «Aber nichts Berauschendes. Das übliche Blabla einiger Politiker und Experten. Ich schlage vor, wir machen daraus eine etwas längere Kurznachricht.»

      «Einverstanden. News aus den anderen Abteilungen?»

      Die angesprochenen Redakteure schüttelten den Kopf.

      «Kommen wir also zu Jasper.»

      Bildchef Sébastien Constantin drückte einige Knöpfe. Das Licht ging langsam aus, von der Decke schwebte der riesige Bildschirm, worauf in kurzen Abständen die Fotos von Henry Tussot erschienen. Danach das Bild von Jaspers Hund Rolf.

      «Jö», machte Unterhaltungschefin Jeannette Kohli, hielt aber sofort die Hand vor den Mund.

      Schliesslich zeigte Sébastien Constantin noch die Agenturfotos aus dem Helikopter. Danach drückte er wieder die Knöpfe, das Licht ging an, und der Bildschirm wurde an die Decke gezogen.

      «Wir haben also keine aktuellen Fotos der Familie?», fragte Christian Reich.

      «Nein», antwortete Renner knapp.

      «Warum nicht?»

      «Weil die Familie nicht wollte.»

      «Ach ja?» Dies klang ziemlich vorwurfsvoll, was Sandra fürchterlich nervte.

      «Wir haben Zitate des Sohnes und die Story mit Jaspers Hund», sagte Renner ruhig.

      «War denn jemand bei Jaspers?», insistierte Reich.

      «Nein. Wir konnten nur telefonieren.»

      «So», sagte Reich. Dann holte er Luft und fügte süffisant hinzu: «Wir haben es also gar nicht versucht, bei Jaspers ein Interview und ein paar Fotos zu machen?»

      Sandra kochte vor Wut. Doch Renners Blick sagte ihr: Halt die Schnauze, Mädchen!

      «Doch, am Telefon», sagte Renner. «Es lag nicht mehr drin. Die Hunde-Story ist prima, herzerweichend, aber nicht reisserisch. Wir helfen Jaspers, in der Tragödie ihren Liebling zu finden.»

      Renners Coolness war nur gespielt. Er hasste dieses Getue. Reich führte sich auf, als sei er die Lemmovski höchstpersönlich, fand Renner. Liegt wohl daran, dass beide Deutsche sind, sagte er sich. Aber er würde sich nicht provozieren lassen. Er war zu lange Journalist und wusste genau, woher der Wind wehte. Chefredakteur Muller war wegbefördert worden, das war für Renner klar. Die Lemmovski wollte mehr Kontrolle und mehr Einfluss aufs Blatt nehmen. Also schob sie Muller, mit dem sie sowieso nie richtig warm geworden war, nach oben, damit sie ihren Liebling Reich besser steuern konnte. So hatte sie ohne Aufruhr alles viel besser im Griff. Vor allem hatte sie ihn, Renner, besser im Griff. Aber da würde sie sich noch täuschen. Noch halb in Gedanken versunken, hörte Renner plötzlich ganz erstaunt, wie Reich sagte: «Gut, Peter, das ist eigentlich wahr. Also los, machen wir das Layout.»

      Falsche Ratte, dachte Renner.

      Wieder drückte der Bildchef einige Tasten, das Licht ging erneut aus, und auf dem hinuntergefahrenen Bildschirm erschien die Titelseite des «Aktuell».

      Das grosse Foto stammte von Henry und zeigte die Unfallstelle. Ins Bild montiert waren ein roter Pfeil, der auf den Ort von Jaspers Sturz zeigte, und ein kleines Foto von Jasper. Darunter, freigestellt, Hund Rolf. Titel und Texte waren noch mit Blindtext aufgefüllt, also mit zusammenhangslosen Wörtern und Buchstaben.

      «Das ist meine Idee für die Geschichte», sagte Chefgrafiker Alphonse Crevoisier. «Mit diesem Layout erzählen wir im Prinzip die ganze Story, wie sie mir Renner vor dem Meeting geschildert hat.»

      «Nein, nein, nein», mischte sich Reich sofort ein. «Die Hundestory bringen wir auf Seite 3.»

      Grafiker Alphonse schnitt den Hund raus und ordnete die anderen Bilder neu.

      «Viel besser», sagte Reich.

      «Nun, ich finde, die Seite ist sehr fad», gab Alphonse zu bedenken. «Ohne Hund ist das alles sehr düster.»

      «Ist ja eine düstere Geschichte.»

      «Aber wir wollen die Leser nicht erschrecken.»

      «Wir machen das so», beendete Reich die Diskussion.

      Er blickte zu Renner: «Schreibst du die Story?»

      «Nein, Sandra.»

      «Okay, dann sind wir mal gespannt.»

      «Wie meinen Sie das?», fragte Sandra, die sich gleich wieder aufregte.

      «Wie ich es sagte, Frau Bosone.»

      Er betonte ihren Nachnamen. Damit signalisierte er, dass er mit ihr nicht per Du war und dass dies wohl noch länger so bleiben würde. Unter den Journalisten war eigentlich das Du üblich. Ausser bei Nachwuchskräften, diese wurden von den Chefs lange gesiezt. Das hatte Tradition und stammte aus der Zeit, als «Aktuell» noch eine Kaufzeitung war und sich die damaligen Chefredakteure gerne mit den Machern sogenannter Qualitätszeitungen wie der Neuen Zürcher Zeitung verglichen. News-Chef Renner und Unterhaltungschefin Jeannette Kohli hielten nichts davon und stellten sich immer gleich mit Vornamen vor.

      Der stellvertretende Chefredakteur Reich hatte ausserdem die Angewohnheit, dass er seine Artikel mit «Dr. Christian Reich» unter- oder überschrieb. Worin er den Doktor gemacht hatte, wusste niemand und interessierte auch niemanden. Die meisten Redakteure hielten es für altmodisch und peinlich.

      Plötzlich platzte Jonas Haberer mit einem lauten «Sorry» in den Raum. Er stapfte in seinen Cowboystiefeln, die ziemlich staubig waren, durch das ganze Konferenzzimmer. Klack – klack – klack. Dann liess er seinen schweren Körper in einen Stuhl fallen und strich sich die Haare, die noch ungepflegter waren als sonst, aus dem Gesicht.

      «Ich bin zu spät. Aber ich habe News!»

      «Toll, was für welche?», fragte Reich.

      Sandra kam es so vor, als sei Reich beim Auftritt des Politik-Chefs ein gutes Stück kleiner geworden. Kotzbrocken gegen Wichtigtuer, dachte sie und blickte zu Peter Renner, der immer noch wie in Gips gegossen dasass, nun aber lächelte.

      Haberer


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