Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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den synkopischen Bildungen; denn hier fehlt die höhere vorhergegebene Einheit, die ihnen Sinn verleihen würde.

      Dass sie hier fehlt, entscheidet: sie, die jeweils »höhere vorhergegebene Einheit«, bestimmend in der Form des Rasters, vorgegeben durch Reflex. Er fehlt in der Quantitätsrhythmik, und durch sein Fehlen fehlte ihr, was er und was also das Subjekt, in dem er wirkt, reflexhaft leistet, die Rasterung der Zeit nach dem Hervorhebungsverhältnis. Deshalb baut diese ältere oder »andere« Rhythmik ihre Gestalten notwendig aus körperlich gefassten Gliedern auf.

      Das bedeutet umgekehrt: Da, wo es nach Takten rhythmisch wird, muss dieser Reflex hinzugetreten, muss er im Subjekt wirksam sein. Sobald er aber wirksam ist, verkehrt er die älteren rhythmischen Verhältnisse, zu denen er hinzutritt, ins Gegenteil: Dort baute sich Rhythmus von unten auf, hier leitet er sich von oben ab. Dort waren es feste Elemente, die sich variabel verbinden ließen, hier ist fest die Verbindung, in welche die Elemente variabel eingehen. Dort fügten sich Bausteine zu einer Ordnung, hier fügen sich Variablen einem Gesetz.

      Dies ist es, was den »griechischen« so grundsätzlich vom Taktrhythmus trennt. Aber eben nicht nur den »griechischen«, sondern alle traditionellen Rhythmiken, die einmal nicht nach Takten gingen. Dies ihr gemeinsames Kriterium, dies die zwei Welten, als welche sie und der Taktrhythmus sich unversöhnlich gegenüberstehen: dort die Proportion materialer Größen und hier das abstrakte Verlaufsgesetz, das ihnen vorgegeben wird.

      In dieser Entgegensetzung spielt der Begriff des »Gesetzes« seine wichtige Rolle, und das mag irritieren: Waltet im antiken Rhythmus denn kein Gesetz? Verläuft ein griechischer Vers etwa nicht gesetzmäßig? Sagt denn »Gesetz« irgendetwas anderes als »Ordnung«, »Regelmäßigkeit«, vielleicht »Periodizität« – und sollte es die nur im Taktrhythmus geben? Nein, Regelmäßigkeit und Ordnung gibt es auch in der griechischen und in anderen Rhythmiken; trotzdem aber folgt keine von ihnen einem Gesetz. Dieser Begriff spricht sehr viel spezifischer, und es ist der Mühe wert, ihn von dem der »Regel« einmal abzugrenzen. Wir werden es später noch sehr gut brauchen können.

      Bei einem Fußballspiel gilt die Regel, dass es als Tor zählt, wenn der Ball beim Verlassen des Spielfeldes die Linie zwischen den Torpfosten überquert. Als Gesetz dagegen gilt, dass der Ball, wenn er fliegt, annähernd auf der Bahn einer Parabel wieder auf die Erde zurückfällt. Ein erster Unterschied wäre demnach: Die Regel könnte auch anders lauten; kein Reglement und kein Schiedsrichter dagegen vermöchten an dem Gesetz zu rütteln. Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Übertragen wir beides auf den Rhythmus, und zwar der leichteren Darstellung wegen wieder auf die Verse. Für ein Stück griechischen Rhythmus, einen alkäischen Vers, gilt beispielsweise die Regel, er habe folgende Reihenfolge langer und kurzer Silben aufzuweisen:

      lang lang kurz lang lang lang kurz kurz lang kurz lang/kurz

      Bei einem anderen, dem Galliambus, sieht die Regel, vereinfacht, diese Reihenfolge vor:

      kurz kurz lang kurz lang kurz lang lang kurz kurz lang kurz kurz kurz kurz kurz/lang

      Und so gibt es unzählige weitere Regeln, nach denen antike Verse gebaut sein konnten – ohne irgendein Gesetz, das noch über all diesen Regeln walten würde. Vergleichen wir damit »unsere« Versmaße nach betont und unbetont aus der neuzeitlichen Ära. Zum Beispiel an den Versen:

      Oder:

      Oder:

      Auch hier könnte eine lange Liste weiterer Muster und Regeln folgen, nach denen diese Verse, die Verse nach betont und unbetont, gebaut sein können. Ein Unterschied zu den antiken Verhältnissen wäre aber stets der folgende: Für jedes von den Akzentvers-Maßen gilt vorweg eine und dieselbe Gesetzmäßigkeit. Wir kennen sie inzwischen, aber sie lässt sich leicht auch an den Beispielen ablesen – nämlich erstens: Betonte und unbetonte Elemente müssen abwechseln; und zweitens: Von unbetonten Elementen können auch zwei aufeinander folgen. So lautet das Gesetz, dem alle weiteren möglichen Regelungen in den uns rhythmischen Versen unterstellt sind – wir wissen bereits, wodurch. Nichts dergleichen gibt es folglich in der Antike oder in irgendeiner anderen Rhythmik als der unseren. Eine Notwendigkeit wie die, dass dort etwa auf ein langes Element stets ein kurzes folgen müsste und auf ein kurzes ein langes oder allenfalls ein zweites kurzes, damit es rhythmisch wird, eine solche verpflichtende und allgemeine Notwendigkeit hat nicht bestanden – man vergleiche das alkäische und galliambische Versmaß – und hätte keinen Sinn gehabt.

      Ein Gesetz wirkt, was Rhythmus betrifft, allein bei den Takten. Zwar kann eine Tonfolge auch dann noch zusätzlich nach Regeln festgelegt sein, doch damit sie sich in den Taktrhythmus fügt, also wirklich taktrhythmisch gehört werden kann, muss sie selbst und müssen auch diese Regeln dem taktrhythmischen Gesetz gehorchen. Regeln gelten stets nur von Fall zu Fall, für eine bestimmte Versart, für einen bestimmten Einzelrhythmus, ebenso wie sie beispielsweise auch für Sprachen und ihre Grammatik einschlägig sind. Im Deutschen etwa besteht die Regel, Adjektive seien vor ein dazugehöriges Substantiv zu stellen. Aber es gibt kein Gesetz, das Sprachen allgemein darauf festlegen würde, einem Substantiv ein Adjektiv vorangehen zu lassen oder auch nur überhaupt Adjektive zu haben. Es gibt in der Sprache oder über alle Sprachen hinweg keine Gesetze, die für alle gelten würden und die es den Einzelsprachen nur noch überließen, innerhalb solcher Gesetzmäßigkeit ihre je eigenen Regeln aufzustellen. Nach solchen Universalien der menschlichen Sprache wurde lange, lange gefahndet; gefunden haben sie sich nicht.

      Der Begriff des Gesetzes ist in diesem Sinn also sehr genau zu nehmen und durchaus genauer, als es einer gängigen Verwendung entspricht. Mit ihm ist etwas sehr Spezifisches gesagt. Gerade deshalb aber hat ihn die Wissenschaft, interessierte Ungenauigkeit walten lassend, geschickt missbrauchen können für ihren haltlosen Beweis, Rhythmus könne grundsätzlich und überzeitlich nur der eine sein, müsse nach Takten gehen und wäre nie nach etwas anderem gegangen.

      Gottfried Hermann, einer der großen klassischen Philologen, hat diesen Beweis zu Beginn seines Hauptwerks angestrengt, in den »Elementa doctrinae metricae« aus dem Jahre 1816.34 Das Eingangskapitel handelt explizit »De numero et versibus in universum«, von Rhythmus und Versen im allgemeinen: Es soll eine allen Versen und dem Rhythmus überhaupt gemeinsame Bestimmung festgestellt werden. Dafür geht Hermann von einem zu rhythmisierenden Substrat aus; dies sei entweder eine Abfolge von Zeiteinheiten oder, räumlich gedacht, eine zusammenhängende Folge von Abständen: »vel successio temporum vel continuitas spatiorum«. Damit diese Folgen rhythmisch werden und nicht bloß irgendwelche Folgen sind, müssten sie geordnet sein – und wenn aber geordnet, so würde man fragen wollen: wie? Hermann aber fragt: wodurch? Und schon, allein damit, ist alles entschieden und Hermann hat sich die gewünschte Antwort unvermerkt bereits in die Tasche gespielt: Ja – jeder Rhythmus müsse nach Takten gehen.

      Wie das? Die Frage: »Wodurch wird Rhythmus überhaupt geordnet?« macht zwei falsche, aber scheinbar unvorgreifliche Voraussetzungen, die dem Fragenden alles fertig an die Hand liefern, was er für seinen Irrtum braucht. Die erste Voraussetzung: Es gibt so etwas wie Rhythmus überhaupt – Rhythmus wäre grundsätzlich einer, transzendentale Einheit, keiner Veränderung unterworfen und keiner Geschichte. Die zweite Voraussetzung: Es gibt etwas, wodurch dieser Rhythmus überhaupt geordnet würde. Was kann das sein? Da dies Etwas »Rhythmus überhaupt« bestimmen soll, muss es also »dem« Rhythmus insgesamt vorgeordnet sein und damit jeder möglichen Ausformungen von Rhythmus die ihm, diesem Etwas eigene Ordnung bestimmend vorgeben. Ein solcherart bestimmendes


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