SOKO Marburg-Biedenkopf. Группа авторов
DNA-Spur passt zu einem seit knapp zwei Jahren vermissten Mann, dessen auto all die zeit unbemerkt im nahen Parkhaus parkte. Die Ermittlungen laufen noch, eher schleppend. Als Krimiautorin schaue ich bei so einer zeitungsmeldung zwei Mal hin. zumal sich der Landkreis Marburg-Biedenkopf nicht unbedingt durch eine besonders hohe Kriminalitätsrate und bestimmt nicht durch überdurchschnittlich viele Leichenfunde auszeichnet. Passt denn Mord und Totschlag überhaupt in diese beschauliche Gegend? Denkt man an Marburg, Bad Endbach oder Rauschenberg, denkt man an Fachwerkidyll und Kopfsteinpflaster, an Schlösser und Kasematten. Um dieser Region kriminelle Abgründe anzudichten, braucht man also nicht nur ein gutes Handwerk, sondern auch eine rege Phantasie. Umso schöner, dass es uns gelungen ist, 26 Autorinnen und Autoren zu verpflichten, die sich dieser Aufgabe gestellt haben: Darunter sind zahlreiche Preisträger und Nominierte des renommierten Friedrich-Glauser-Preises aus den letzten Jahren sowie Kollegen, die sich durch besonderes Engagement in der Autorenvereinigung SYNDIKAT hervorgetan haben. Geschrieben haben zudem einige Lokalmatadoren, die den Landkreis Marburg-Biedenkopf wie ihre westentasche kennen. Beim Lesen wird schnell eines deutlich: Gerade dieses Spannungsverhältnis ist es, das den Landkreis Marburg-Biedenkopf zum perfekten Setting für einen Krimi werden lässt: warum sollte es in einer Idylle nicht auch menschliche Abgründe geben? Eben! Auf der einen Seite also die Touristen, die sich im Sommer auf der Suche nach dem besten Fotomotiv tummeln. Und auf der anderen Seite – gleicher Ort, gleiche zeit – das tote Mädchen, das in der Nähe des Flüchtlingsheims aus der Lahn gefischt wird. Oder das Treffen eines international gesuchten Verbrecherpärchens im malerischen wallau, weil man dort ganz sicher nicht gesucht wird. Das ist doch das Schöne an diesem Genre: Die soziale Realität gerät nicht aus dem Fokus. Und wenn es sein muss, darf politisch Stellung bezogen werden – ohne den zeigefinger zu erheben. Eigentlich unnötig zu sagen, dass Figuren, die eine Ähnlichkeit mit lebenden und bereits verstorbenen Personen des öffentlichen Lebens aufweisen, rein zufällig sind, nicht wahr?
Ich wage zu behaupten, dass sich der Blick der geneigten Leserschaft auf den Landkreis Marburg-Biedenkopf nach Lektüre dieses Buches maßgeblich ändern wird. aber das ist beabsichtigt – oder sogar ausdrücklich gewollt. Lassen Sie mich einen Rat vorausschicken: ziehen Sie sich in zukunft warm an, denn selbst durch die wärmste Stube zieht manchmal ein eiskalter Hauch ...
Spannende Lektüre,
Christina Bacher
Ein Bild von Motiv
SKIZZIERT VON DANIEL TWARDOWSKI
Die Tat musste bei Nacht geschehen sein und der Täter konnte nur von auswärts kommen. Kein Marburger hätte eine Leiche von der Schützenpfuhlbrücke in die Lahn geworfen, wo der Fluss so seicht war, dass im Hochsommer sogar die Fußbälle hängen blieben, die gelegentlich von den Lahnwiesen aus hineingekickt wurden. Bei Tag hätte man das gesehen und ein Einheimischer hätte es gewusst. Keinen Kilometer weiter bot zudem die Brücke an der Südspange aussichtsreichere Möglichkeiten, etwas verschwinden zu lassen. Eine so fahrlässig entsorgte Leiche sprach also weder für einen geübten Täter noch für eine professionelle Tat. Das war aber auch schon alles, was man wusste, denn der Tote hatte keine Papiere bei sich und sein Kopf sah übel aus. So übel, dass zeitweise sogar Zweifel daran aufkamen, ob es überhaupt um Mord ging. Es ließ sich nämlich nicht entscheiden, ob sein Schädel eingeschlagen wurde, oder ob der Mann vielleicht freiwillig von der Brücke gesprungen war und dabei überrascht festgestellt hatte, dass die Wassertiefe an dieser Stelle keine dreißig Zentimeter betrug. Nur der Gedanke, dass das eine reichlich blöde Art gewesen wäre sich umzubringen, wo doch nur dreißig Meter weiter – unter dem Fußgänger-Steg zum Südbahnhof – stündlich die ICs durchrauschten, führte zum Fortgang der Ermittlungen. Und natürlich die Tatsache, dass sich an den Kleidern und unter den Fingernägeln des Toten Blutreste befanden; oder jedenfalls hatte die Polizei das zunächst angenommen. Wer beruflich viel mit hingeschlachteten Zeitgenossen zu tun hat, geht ja erst mal nicht davon aus, dass rote Rückstände an einer Leiche auch ganz einfach Farbe sein können.
»Meinert«, sagte Kommissaranwärterin Judith Meinert, als das Telefon im Büro der Marburger Sommerakademie endlich nicht mehr besetzt war. »Kripo Marburg. Ich ermittle in einem Mordfall und hab eine etwas blöde Frage: Ist vielleicht einer Ihrer … Ihrer Künstler abgängig?« Der Schreck durchfuhr Britta Sprengel so kalt, als hätte sie einen Eiswürfel verschluckt, was man leicht nachvollziehen kann. Wenn man drei Wochen lang dafür verantwortlich ist, dass rund dreihundert Maler, Zeichner, Tänzer, Schauspieler, Holz- und Steinbildhauer, mit einem Wort: dreihundert chronisch vertrullerte Menschen wohnen, essen, arbeiten und zwischen diesen drei Stationen nach Möglichkeit nicht verloren gehen, irritiert einen einfach jeder Anruf von der Mordkommission. Außerdem werden in Kunstkursen zwar gelegentlich Leute zum Teufel gewünscht, aber nur sehr sporadisch wirklich umgebracht, sodass ein Mord in der fast vierzigjährigen Geschichte der Sommerakademie tatsächlich etwas Neues war. So neu, dass man das Problem im Büro nicht binnen anderthalb Stunden in den Griff gekriegt hätte, war es aber dann auch wieder nicht. Solange dauerte es, bis Britta Sprengel nach viel Telefonie und ein paar kurzen Fahrradtouren in die Außenbezirke der Sommerakademie in der Schule am Schwanhof eine kurze Vermisstenliste erstellt und an die Kripo weitergeleitet hatte. Nur die Landschaftsmaler, sagte sie der Kommissaranwärterin Meinert, wären naturgemäß noch in Feld und Flur verstreut, die würden erst zum Mittagessen hoffentlich vollzählig wieder auftauchen – was dann auch genau so geschah. Zwei der insgesamt drei Vermissten oder jedenfalls Unerreichbaren fanden sich schon im Laufe des Nachmittags wieder ein. Eine Textilkünstlerin hatte ihren Stoff zwecks künstlicher Alterung in einem Komposthaufen vergraben und damit einen so durchschlagenden Erfolg erzielt, dass sie den halben Tag unter der Dusche gestanden und ihr Handy nicht gehört hatte. Eine Druckgraphikerin hatte in Marburg, nun ja, eine Herrenbekanntschaft gemacht und aushäusig genächtigt, gefrühstückt und auch noch ein wenig genachmittagt. Verschwunden blieb nur ein gewisser Horst Weigand, der schon gestern nicht mehr in Martin Seidemanns »Malerei/Zeichnen – Akt« erschienen war. Und weil er vom Alter her der Leiche nahekam und weil der Aktkurs in der Turnhalle der Schule am Schwanhof stattfand, also durch wenig mehr als fünfzig Meter Teichwiesengraben vom Fundort der Leiche getrennt war, lohnte es sich, diese Spur intensiver zu verfolgen. Jedenfalls legte Judith Meinert das ihrem Chef, dem Hauptkommissar Dieter Lang, nach einem halben Tag Ermittlungsarbeit in Augenhöhe nahe.
In der kleinen Turnhalle stand neben der Sommerhitze ein so fühlbarer Geruch von Acrylfarben, Fixierspray und kreativer Menschheit, dass jeder Polizeihund die Fährte verloren hätte. Wenn ich mal schnell fünf Kilo Koks irgendwo verstecken müsste, dachte Hauptkommissar Lang, wüsste ich jetzt jedenfalls wo! Dann stutzte er kurz, abgelenkt vor allem von der völlig nackten jungen Frau, die in der Mitte des Raumes auf einem lederüberzogenen Turnkastendingsda saß. Er hatte natürlich gelegentlich in Etablissements zu tun, in denen die Damen ebenfalls à poil waren. Aber da stiegen sie vorher sehr langwierig aus ihrer schon vom Start weg dürftigen Bekleidung, schwülstige Musik erklang und Scheinwerfer kreisten wie wild, um aus der Nacktheit eine geldwerte Leistung zu machen. Hier genügte offenbar das bloße Sosein, und das Einzige, was kreiste, waren die Pinsel auf den Paletten und die Blicke auf der Haut. Schon das vernehmliche Räuspern des Kommissars zog aber dann die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.
»Guten Tag, mein Name ist Lang.«
»Das macht nichts, wir haben Zeit!« Wer diese Antwort hinter einer der zwei Dutzend Staffeleien herausgehauen hatte, die dem eher breit als groß geratenen Kommissar die Sicht versperrten, ließ sich nicht feststellen. Das Lachen lief jedenfalls durch den ganzen Raum und vermittelte fast den Eindruck einer Jugendfreizeit – der in reizvollem Kontrast zu den vielen angegrauten Köpfen stand, die dabei nach und nach hinter den Staffeleien auftauchten. Der dramatische Anlass dämpfte die heitere Stimmung allerdings zuverlässig, denn anhand ihrer Kleidung wurde die Leiche auf den Fotos des Kommissars tatsächlich schnell als Horst Weigand identifiziert. Lang hatte es sich bereits gedacht, als die Künstler sich nach und nach um ihn versammelten, denn er konnte sich nicht erinnern, je zuvor so viele so erwachsene Menschen in derart abenteuerlichen Beinkleidern gesehen zu haben: die Mode der frühen 90er, ergänzt durch die Farbigkeit zweier Jahrzehnte hartnäckiger Kunstproduktion. Wenn ihre Bilder nichts werden, dachte der Kommissar spontan, könnten die auch einfach ihre Malklamotten ausstellen. Dann ließ er