SOKO Marburg-Biedenkopf. Группа авторов
professioneller geworden: Nie die Arme heben, wenn es sich vermeiden lässt. Das Gewicht auf so viele Punkte wie möglich verteilen, also lieber sitzen als stehen und lieber liegen als sitzen. Und so selten wie möglich den Körper verdrehen, wie z. B. der bedauernswerte Diskuswerfer des Myron oder die Aphrodite Kallipygos. Denn der Körper hatte dann die natürliche Neigung, sich zurückzudrehen und entwickelte dabei eine völlig unbewusste Kraft, gegen die man die ganze Zeit anarbeiten musste und die einen mörderischen Muskelkater verursachte. Die meisten der künstlerischen Ergebnisse vergrößerten übrigens Judiths Ego als schöne Frau, und ein paar fand sie sogar ziemlich sexy, obwohl erotische Posen weitgehend verpönt waren. Sie zog jetzt manchmal auch in den Pausen keinen Bademantel mehr an, und zwar weil sie sich unbekleidet paradoxerweise weniger nackt vorkam. Genau genommen fühlte sie sich nur zweimal wirklich nackt: wenn sie sich auszog und wenn sie sich wieder anzog. Dazwischen kam ihr Zustand ihr inzwischen so normal vor, dass sie einmal, als ein paar der gelegentlich auftauchenden ›Werkstattbesucher‹ durch die Turnhalle schlenderten und scheue Blicke auf das Modell warfen, im ersten Moment dachte: ›Was gucken die denn so?‹ Die Ergebnisse waren es auch, die ihr schließlich den ersten Baustein für ihre Motivsuche lieferten. Denn als sie wieder einmal nackt neben all den wild gewandeten Künstlern einer von Martin Seidemanns Bildbesprechungen folgte, fragte sie sich, was so ein Bild wohl kosten würde. Sie hatte nämlich eins im Auge, auf dem sie sich peinlicherweise besonders gut gefiel.
»800«, sagte die Künstlerin, als Judith sie wenig später leise nach dem Preis fragte. »600 weil du es bist!« Und nur, weil ihrem Modell kurz der Unterkiefer herunterklappte, fügte sie selbstbewusst hinzu: »Wenn ich ›Otto Mueller‹ drunter schreibe, kann ich noch mindestens drei Nullen dranhängen!«
So etwas wie Streit gab es eigentlich nur bei den Positionswechseln. »Jetzt hab ich ja schon wieder den Rücken! Immer hab ich den Rücken. Ich will nicht drei Wochen lang nur Rücken malen. Wenn ich die ausstelle, denken alle, ich bin Pofetischistin! Dreh dich doch mal.« »Moment, jetzt hab ich aber schon angefangen!« »Ich will aber auch mal von vorne! Martin?« »Ihr könnt doch auch einfach mal euren Platz wechseln«, schlug der Kursleiter immer wieder fast schüchtern vor und löste damit gelegentlich sogar ein unwilliges Verrücken von Staffeleien, Malerbänkchen und mit Farben und Pinseln absurd voll gepackten Teewägelchen aus. Und kurz darauf die unvermeidliche Klage: »Moment! So geht das aber nicht. Ich will ja Judith malen und nicht dich. Martin?!« Nachteilig wirkte sich bei solchen Diskussionen die Tatsache aus, dass 70 % der Künstler weiblich waren. Und Frauen haben zwar einen leichteren Zugang zur eigenen Kreativität, aber auch eine unterschwellige bis tief gehende Art, Konflikte auszutragen. Außerdem waren gefühlte 80 % von ihnen Lehrerinnen gewesen oder hatten andere Berufe bekleidet, in denen sie gewohnt waren, dass ein Kompromiss etwas ist, bei dem man 90 % von dem bekommt, was man will. Judith drehte sich dann eine Weile wie ein Tanzbär hin und her, um es möglichst vielen recht zu machen, war froh, wenn sie irgendwann eine allgemein gebilligte Position gefunden hatte und ein fröhliches: »Egal wie man sich dreht, der Arsch bleibt immer hinten!« die dicke Luft in Gelächter auflöste. Bei einer solchen Gelegenheit wurde schließlich auch Horst Weigands Platz neu belegt, seine Bilder und Malutensilien in eine Ecke geräumt, bis jemand sie abholen käme – falls sie überhaupt jemand haben wollte. Judith, die dabei mithalf, um Weigands Arbeiten noch einmal aus der Nähe zu sehen, fiel jetzt zum ersten Mal auf, dass diese Bilder dilettantischer waren als die der anderen. Weigand hatte in Martins Kurs offenbar nichts gelernt und das war bemerkenswert. Denn selbst die Leute, denen sie am Anfang am liebsten geraten hätte, es vielleicht mal mit Klavierspielen lernen zu versuchen, hatten sich in den drei Tagen, die sie jetzt da war, deutlich verbessert. Sie beschloss, mit Martin darüber zu sprechen.
»Ja«, sagte der Kursleiter vorsichtig, »über Tote soll man ja nicht schlecht reden.« Er redete auch über Lebende oder gar Anwesende selten schlecht und fand noch an solchen Bildern irgendetwas verbesserungswürdig, die sogar ihre Urheber am liebsten im Wald vergraben hätten. »Der war schon sehr beratungsresistent. Dafür saßen einzelne Striche bemerkenswert gut. Ich hab manchmal gedacht, er will gar nicht besser werden.« Martin Seidemann schüttelte den Kopf. »Aber immer nur auf selbst bespannte Leinwände gemalt. Und die Pinsel vom Feinsten!« Das sah plötzlich auch Judith so, die ja die ganze Zeit Vergleiche mit den übrigen Künstlern anstellen konnte. Für einen so schlechten Maler war Horst Weigand wirklich ungewöhnlich gut ausgerüstet gewesen!
Die Lösung war schließlich ein Witz, der beim routinemäßigen übermalen der weniger gelungenen Bilder gerissen wurde: »Ein reicher Amerikaner kauft in Florenz einen angeblich geklauten Tintoretto. Um ihn durch den Zoll zu schmuggeln, lässt er ihn mit einer Landschaft übermalen. Glücklich zu Hause angekommen, übergibt er das Bild einem Restaurator. Als er von dem vier Wochen lang nichts mehr hört, ruft er ihn irgendwann an: Wie siehts aus? Ja, sagt der Restaurator, die Landschaft ist weg, der Tintoretto auch, darunter war ein Heiliger, und jetzt ist bereits Mussolini zu erkennen. Soll ich noch weiter restaurieren?« Judith Meinert, die schon in den letzten Tagen viel über Malerei gelernt und gelesen hatte, recherchierte noch am gleichen Abend alles über alte Malfarben, was sie finden konnte: Schweinfurter Grün, Pariser Rot, Kremserweiß, Königsgelb. Allesamt giftig. Bleihaltig, kupferhaltig, arsenhaltig. Seit Langem nicht mehr im freien Verkauf, offiziell nur noch für Restaurierungsarbeiten gebräuchlich. Und naturgemäß bei Kunstfälschern sehr gefragt. In dieser Nacht formte sich aus all ihren Informationen allmählich – ein Motiv. Was, wenn Weigand den schlechten Maler nur gespielt hatte? Gab es ein besseres Versteck für einen Meisterfälscher, als einen Sommerakademiekurs? Warum hatte er sich versteckt? Vor wem? Und wo waren seine ›echten‹ Gemälde? Gleich am nächsten Morgen wurden sämtliche Bilder und alles, was man in Weigands Wohnmobil gefunden hatte, noch einmal einer genaueren kriminaltechnischen Untersuchung zugeführt. Und Max Pechsteins seit siebzig Jahren verschollener »Palau-Zyklus« nebst einigen seiner bislang völlig unbekannten Arbeiten unter der doppelten Bespannung der Leinwände natürlich gefunden. Es stellte sich auch schnell heraus, dass eine Sonderkommission der Stuttgarter Polizei einem unbekannten Expressionistenfälscher schon dicht auf der Spur gewesen war. Allerdings hätte die Stuttgarter Polizei ihn wohl kaum umgebracht.
»Meinert«, sagte Hauptkommissar Lang, der sich setzen musste, als er hörte, was so ein Bild im Original kostet, »jetzt wo Sie die Hosen wieder anhaben, suchen Sie doch der Form halber nach einem Kunstexperten in Sachen Pechstein, damit wir erst mal rauskriegen, ob dieses Zeug hier echt oder falsch ist.«
Sie brauchten gar nicht weit zu fahren. Professor Friedemann Schilling wohnte in Frankfurt und war der führende Experte der führenden Auktionshäuser in allen Belangen des Expressionismus. Schon in seiner Doktorarbeit hatte er sich mit Max Pechstein beschäftigt und in den letzten zwanzig Jahren immer wieder Gutachten über entsprechende Gemälde angefertigt. Pechstein war nämlich sowohl bei Kunstsammlern als auch Kunstfälschern außerordentlich beliebt. Schon die Nazis hatten viele seiner Werke als entartete Kunst beschlagnahmt, und die meisten davon waren bei Kriegsende angeblich verbrannt. Es gab also detaillierte Beschreibungen dieser Bilder, manchmal sogar Schwarz-Weiß-Fotografien. Nur die Originale waren verschollen und inzwischen natürlich siebenstellige Summen wert. Die Kommissare hatten die ›Pechsteins‹ an diesem Morgen lieblos auf dem Rücksitz ihres Dienstfahrzeugs gestapelt, denn sie rechneten fest damit, dass der Professor sie als Fälschungen entlarven würde. Womit sie nicht rechneten, war eine Entlarvung ganz anderer Art. Denn der Experte hatte sie zuerst ruhig und sachlich ins Wohnzimmer gebeten und war nur noch einmal verschwunden, um eine Lupe zu holen. Bei der Flucht durch das Fenster seines Arbeitszimmers hatte der Professor aber dann eine für einen Kunsthistoriker mittleren Alters ganz erstaunliche Behändigkeit entwickelt. Und noch während sie ihm hinterherlief, ihren eher breiten als großen Chef bereits abgehängt hatte und trotz ihres Muskelkaters auch den bereits dicht vor dem plötzlichen Herztod stehenden Akademiker schließlich erwischte, wurde Kommissaranwärterin Meinert alles klar: Der Mann hatte Gutachten erstellt, die einen Millionenmehrwert generiert hatten. Was lag näher, als einen Fälscher zu beseitigen, der jederzeit in jedes Museum spazieren und auf irgendeinen Pechstein zeigen konnte, um der Welt mitzuteilen: Das da ist auch von mir! Prozesse. Regressforderungen. Nicht zu vergessen natürlich die gekränkte Eitelkeit der kunsthistorischen Koryphäe! Sie konnte es kaum erwarten, das alles den Teilnehmern von »Malerei/Zeichnen – Akt« zu erzählen, denn immerhin war sie am Wochenende ja noch mal als Modell gebucht.