SOKO Marburg-Biedenkopf. Группа авторов

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mir mal einer erklären, was hier los ist?«, fragte der Mund, der zu dem Gesicht gehörte. Der Mann, der zu Mund und Gesicht gehörte, schob sich die weiße Schirmmütze aus der Stirn. »Können Sie mich verstehen?«

      Frau Loth nickte, sofort fuhr ihr ein stechender Schmerz vom Hinterkopf zum Steiß. Tränen trübten ihren Blick. Wo war der Einbrecher? Und wer war der Mann. Etwa jemand von der Zeitung? Und sie lag hier auf dem Boden. Hoffentlich hatte er noch kein Foto gemacht. Sie war wirklich nicht mehr in dem Alter, in dem man liegend gut aussah.

      »Ich bin Polizeiobermeister Wernicke.« Der Mann sprach sehr langsam und tippte sich mit dem Finger gegen die Brust.

      Frau Loth blinzelte. Polizei? Wie konnte das denn sein. Hatte sie etwa doch angerufen? Sie versuchte sich zu erinnern. Sie hatte Hände hoch gesagt und dann …

      »Die ist hier einfach rein und hat mich mit einem Messer bedroht.«

      Frau Loth schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam. Der Einbrecher saß am Esszimmertisch und schaute ebenfalls auf sie herab. Freundlich sah er nicht aus. Und Handfesseln trug er auch nicht. Das war doch gefährlich.

      »Glauben Sie dem Kerl kein Wort.« Frau Loth versuchte sich aufzurichten, sofort drehte sich der Raum wie ein Karussell. Kraftlos sank sie zurück auf das Sofakissen, das unter ihrem Kopf lag. »Er ist ein Einbrecher«, fügte sie hinzu. »Ich hab ihn auf frischer Tat ertappt.« Der Satz gab ihr Kraft. Sie hob die Hand. »Schau’n Sie in seiner Tasche nach.«

      Sie starrte den Mann an, der entgeistert den Kopf schüttelte. »Das glaub ich jetzt nicht«, sagte er.

      Ja, dachte Frau Loth. Spiel du nur den Unschuldigen, aber wenn sie erst einmal die goldenen Bilderrahmen und die Sparbücher in deiner Tasche finden, bist du dran.

      »Wie sind Sie eigentlich reingekommen?«, fragte der Polizist. »Die Tür stand offen«, murmelte Frau Loth. Warum schaute er nicht in die Tasche. Sie an seiner Stelle hätte es schon längst getan.

      »Und das haben Sie von der Straße aus gesehen?«

      »Nein.« Frau Loth ärgerte sich über die Begriffsstutzigkeit des Polizisten. Warum quälte er sie mit seinen Fragen, anstatt seine Pflicht zu tun? Vielleicht war er überhaupt kein Polizist. Frau Loth musterte ihn kritisch. Nein, entschied sie. Echt ist der bestimmt. »Ich hab’s gesehen, als ich die Zeitung in den Kasten gesteckt hab.«

      »Da sehen Sie, dass die Frau lügt.« Der Einbrecher strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. Dabei spreizte er den kleinen Finger ab, als hielte er eine Teetasse. Und plötzlich wurde es Frau Loth warm und kalt zugleich: Das Bild mit dem Leuchtturm. Genau die gleiche Geste. Oh Gott, was hatte sie getan?

      »Abbestellt hab ich sie.« Der Mann öffnete die schwarze Tasche. »Warten Sie. Hier hab ich’s. Da!« Triumphierend streckte er dem Polizisten einen Zettel entgegen. »Die Alte ist verrückt!«

      »Hhm.« Der Polizist streckte die Hand aus, um Frau Loth auf die Beine zu helfen. »Dann muss ich Sie wohl mitnehmen.«

      Von seinem festen Griff gestützt, verließ Frau Loth das Haus. Blaulicht. Menschen, die sie anstarrten. Ein Mann stellte sich ihnen in den Weg. Frau Loth erkannte ihn sofort. Er hatte auch die Fotos auf der Brücke gemacht. Sie drehte den Kopf weg. Zu spät.

      »Verrückte Alte bedroht Erben!«, hörte sie ihn sagen, als der Polizist ihr in den Streifenwagen half. »Wenn das mal keine Headline ist.«

      Die Kofferträger von Amöneburg

      PETER GODAZGAR

      Amöneburg also. Klar, man könnte einfach hinfahren und sich das Städtchen angucken. Bisschen rumspazieren, in einem Café einkehren, schön Käffchen trinken. Könnte man machen.

      Geht aber nur, wenn man nicht mit Claus Corinth verheiratet ist. Claus Corinth fährt nicht einfach irgendwo hin. Er spaziert auch nicht einfach so rum.

      Corinth bereitet sich vor. Corinth recherchiert. Corinth druckt aus. Corinth heftet ab. Und dann packt Corinth alles in seinen schwarzen Aktenkoffer. Corinth macht Ausflüge grundsätzlich nur mit seinem schwarzen Aktenkoffer. Er stand mit seinem schwarzen Aktenkoffer schon im Louvre und auf dem Brocken. Nicht ohne meinen Aktenkoffer – das ist Corinths Maxime. Und im Aktenkoffer: Leitz-Ordner. Manchmal einer. Manchmal mehrere. Und in den Leitz-Ordnern: die ausgedruckten Informationen zur Reise.

      Sigrid, Corinths Frau, erinnert sich an den Brasilien-Urlaub: zwei Aktenordner, zwei Reiseführer.

      Ägypten: Drei Ordner, vier Reiseführer.

      Berlin: Drei Ordner, fünf Reiseführer.

      Über Amöneburg gibt es keinen Reiseführer. Oder jedenfalls hat Claus keinen gefunden. Darum hat er nur einen Leitz-Ordner. Einen schmalen. Rückenbreite 50 Millimeter.

      * * *

      Amöneburg also. Klar, man könnte einfach hinfahren, und sich das Städtchen angucken. Bisschen rumspazieren, in einem Café einkehren, schön Käffchen trinken. Könnte man machen.

      Kevin kann das nicht. Er muss was erledigen in Amöneburg. Was Wichtiges. Keine komplizierte Sache, eigentlich. Miguel hat gesagt, er soll einfach nur den verdammten Koffer mit dem verdammten Geld nehmen und zu der verdammten Ruine gehen. Dort würde ein Mann mit einem anderen Koffer warten. Einem Koffer voller Koks. Sie würden die verdammten Koffer tauschen und sich dann wieder vom Acker machen und zwar rápido. Das müsste er, Kevin, doch eigentlich hinkriegen, auch wenn er nur das Gehirn eines verdammten Geckos besitzt, verdammt noch mal! Hatte Miguel gesagt.

      Kevin ist sauer. Miguel hat immer schlechte Laune, das nervt. Und noch mehr nervt, dass Miguel seine schlechte Laune immer an Kevin auslässt. Zur Beruhigung hat Kevin vor der Fahrt eine Tüte geraucht. Und dann noch eine während der Fahrt.

      * * *

      Amöneburg also. Klar, man könnte einfach hinfahren, und sich das Städtchen angucken. Bisschen rumspazieren, in einem Café einkehren, schön Käffchen trinken. Könnte man machen.

      Fragt sich bloß: Warum um alles in der Welt sollte man das machen?

      Stulle schüttelt den Kopf. Was das nun wieder sollte. Amöneburg! Komplizierter ging’s wirklich nicht. Die Kofferübergabe hätten sie genauso gut in Marburg erledigen können. Oder gleich in Frankfurt. Aber nein, warum einfach, wenn’s umständlich geht? Na ja, schön ist’s hier ja immerhin, dieser weite Blick ins Land, hinter ihm die Burgruine. Stulle sieht sich um. Und welche Bank meinte sein Chef nun, hier gibt’s mehrere Bänke. Na ja, sie würden sich auf dem freien Gelände schon nicht verpassen. Er spaziert zu einer Bank und stellt den Koffer daneben ab. Er guckt auf die Uhr und stellt fest: Er ist viel zu früh. Ächzend sackt Stulle auf die Bank, zückt sein iPhone und schickt eine Nachricht an Estefania.

      * * *

      Vor seiner Pensionierung war Claus Corinth Sachbearbeiter bei einer Versicherungsgesellschaft, zuständig für die Namen »Kl« bis »Pr«. Wenn Claus Corinth nicht anwesend war, nannten ihn seine Kollegen nur bei seinem ebenso naheliegenden wie wenig schmeichelhaften aber gleichwohl treffenden Spitznamen. Ja, sein Nachname war Teil des Spitznamens.

      Auf der Autobahn versorgt Claus Corinth Sigrid mit den wichtigsten Erstinformationen über Amöneburg. In Kerstenhausen, gleich an der A 49, hat er getankt. Claus Corinth hat eine Handy-App, mit der er gucken kann, an welcher Tankstelle der Sprit gerade am günstigsten ist. Sigrid muss allerdings zugeben: Die Unterschiede sind in der Tat gewaltig. Preissprünge von mehr als zwanzig Cent sind keine Seltenheit. Sigrid versucht erst gar nicht, ein System dahinter zu entdecken. Claus jedoch hat den Ehrgeiz, das System – welches auch immer – auszutricksen.

      Dann erreichen sie Amöneburg. Dieser Ort ist auf seine Weise wirklich einmalig. Ein einsamer Berg … nun ja, eine Erhebung. Und obendrauf ein Städtchen.

      Claus lenkt den Wagen über eine kurvige Straße die Anhöhe hinauf.

      »365«, sagt er. »Das kann man sich gut merken.«

      »365?«, fragt Sigrid.


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