POLARLICHTER. Manfred G. Valtu

POLARLICHTER - Manfred G. Valtu


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Der Job frisst mich auf. Und für was und für wen?“

      Agnes Winter, knapp über fünfzig Jahre alt, war ledig und kinderlos. Der einzige Mann, mit dem sie je hätte zusammen leben wollen, war vor drei Jahren gestorben. Man hatte ihn ermordet. Mit Grausen dachte sie an die Geschehnisse um die LIGA zurück. Nie wieder würde sie einen Mann in ihr Leben lassen. Nie mehr würde sie einen anderen Mann lieben können.

      Natürlich hatten ihre zahlreichen Freundinnen einige Zeit nach dem Verlust ihres Geliebten den Versuch unternommen, sie zu überzeugen, dass sie noch viel zu jung, knackig, attraktiv und lebensfroh sei, um als 'alte Jungfer' den Rest ihres Lebens zu fristen. Es war auch nicht so, dass es an Interessenten fehlte. Und das eine oder andere Mal hatte sie sich auch auf einen Kinobesuch oder ein Essen mit dem einen oder anderen Kollegen eingelassen.

      Mit dem einen oder anderen?

      Sie musste sich eingestehen, dass sie ihre letzten drei Ausflüge immer mit demselben Kollegen gemacht hatte: Dietmar Otto. Er umwarb sie schon lange, was sie ebenso lange von sich geschoben hatte. Doch er war charmant, einfühlsam, geduldig, konnte gut zuhören und was er von sich gab, hatte Hand und Fuss. Bei aller Sanftheit machte auch manchmal ein gewisses Macho-Gehabe einen Teil seiner Persönlichkeit aus. Sie musste sich eingestehen, dass er sie in seinem Wesen an ihren Geliebten Martin erinnerte, zumal er auch noch äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hatte.

      „Träum weiter“, rief sie sich zur Ordnung, beendete ihre Kosmetik und ging in ihr Büro.

      „Herr Otto hatte gerade angerufen. Er hätte da einen Fall, in dem er dringend Ihren Rat braucht.“

      Agnes musste unwillkürlich lächeln. Diese Floskel benutzte er immer, wenn er sie zum Essen, zum Kino- oder Konzertbesuch einladen wollte.

      „Dann verbinden Sie mich mit ihm.“

      „Schön, dass du zurückrufst.“

      Agnes merkte, dass er anders als sonst klang, irgendwie ernster.

      „Ich habe da eine Sache, die ich unbedingt mit dir besprechen muss. Kannst du dich heute früher loseisen? Ich würde dich um sechs abholen. Ginge das?“

      „Was ist denn so dringend? Ist irgendwas passiert? Du klingst etwas sehr dramatisch.“

      „Ich möchte das nicht am Telefon besprechen. Bitte glaube mir, es ist wirklich sehr wichtig.“

      „Na schön. Ich sehe zu, dass ich bis sechs fertig bin. Eventuell musst du ein bisschen warten.“

      „Kein Problem. Ich danke dir sehr, bis nachher.“

      Agnes nahm den Hörer vom Ohr und sah ihn ungläubig an. Dietmar hatte nicht einmal ihre Antwort abgewartet. Er hatte sofort aufgelegt.

      Ihre Neugier war geweckt. Sie nahm sich vor, pünktlich für ihn bereit zu sein.

      §

      Seit dem vor drei Jahren auf ihn verübten Attentat war Willibald Clemm nicht mehr der Alte. In wochenlangem Krankenhausaufenthalt mit -zig Operationen hatte man ihn wieder so weit zusammengeflickt, dass er sich selbstständig bewegen konnte. Mehr als ein halbes Jahr hatte er sodann – zunächst stationär, anschließend ambulant – mit Reha-Maßnahmen zugebracht. Er war seiner Zeitung dankbar, dass sie ihm seine Stelle als Kulturreporter freigehalten hatten. Nie wieder, so hatte er sich geschworen, würde er sich in den redaktionellen Teil der Gerichtsreportagen begeben.

      Das eine Mal hatte gereicht.

      Und nun hatte ihn die mit dieser kurzen Episode verbundene Vergangenheit eingeholt: Ein anonymer Anrufer bot ihm Informationen zu den Hintergründen des Anschlags an. Und er kenne auch die bis heute von der Polizei nicht ermittelten Täter und ihre Auftraggeber. Da er damals selbst in die Organisation eingebunden gewesen sei, könne er nicht zur Polizei gehen.

      Willibald Clemm hatte dies rundheraus abgelehnt. Wenn überhaupt, dann solle der Anrufer mit der für Kriminalfälle zuständigen Redaktion sprechen. Darauf hatte der Anrufer gebeten, er möge es sich überlegen, er würde sich in den nächsten Tagen wieder melden.

      „Da gibt es nichts zu überlegen“ hatte er gedacht und die Sache zunächst gedanklich ad acta gelegt.

      Doch sie hatte ihm keine Ruhe gelassen. Zwei Tage später war er zum zuständigen Redakteur gegangen und hatte ihm von dem Anruf berichtet. „Passen Sie auf“, hatte der gesagt. „Verabreden Sie ein Treffen. Der soll seine Karten auf den Tisch legen. Wenn er wirklich seriöse Informationen hat, werde ich mich selbst um die Sache kümmern. Aber zunächst sollten Sie den Kontakt aufrecht erhalten. Er hat sich an Sie persönlich gewandt, das bedeutet, dass erst Vertrauen aufgebaut werden muss, bevor der auch mit anderen verhandelt.“

      Eine schlaflose Nacht lang hatte Clemm hin und her überlegt. Dann stand sein Entschluss fest: Er würde ein Treffen verabreden, aber nicht alleine hingehen. Er würde seinen Anwalt, der ihn wegen der Ansprüche gegen die Krankenkasse und die Berufsgenossenschaft vertreten hatte, bitten, ihn zu begleiten.

      §

      Agnes Winter verließ Punkt 18.00 Uhr ihr Büro. Rechtsanwalt Otto stand neben seinem in zweiter Spur vor dem Eingang zum Verwaltungsgericht geparkten 'Angeberauto' (so hatte sie das Porsche-Cabrio, das er fahren zu müssen meinte, betitelt) und war in ein Gespräch mit einer Polizeibeamtin verwickelt.

      „Ah, da kommt sie ja“, rief er und deutete in ihre Richtung.

      Agnes beeilte sich, die Kirchstraße zu überqueren. „Brauchst du anwaltlichen Beistand? Ich rate, die Aussage zu verweigern.“

      „Nein, nein, ich bin nicht in Gefahr, ein Knöllchen zu bekommen. Sie war kürzlich Zeugin in einem Prozess, in dem ich verteidigt hatte. Wir haben uns fachlich ausgetauscht. Und ...“ fügte er schelmisch hinzu „… sie mag mein Auto!“ Agnes lachte. „Dann verkauf es ihr doch. Dann kannst du mich vielleicht künftig in einem weniger auffälligen Gefährt mitnehmen.“

      „Das kann ich mir leider nicht leisten“, ließ sich die Polizeibeamtin etwas pikiert klingend vernehmen. Und an Otto gewandt: „Fahren Sie jetzt das Auto bitte weg.“

      Otto verabschiedete sich freundlich, beide stiegen ein und er fuhr los.

      Das Unglaubliche geschah: Otto fand einen Parkplatz direkt vor dem Restaurant in der Xantener Straße.

      „Na, wie hab' ich das gemacht?“, fragte er stolz. Doch Agnes antwortete nicht gleich. Sie mochte dieses Lokal nicht. Zu viele Promis – und solche, die sich dafür hielten – kamen hierher. Und da sie manche von ihnen anwaltlich vertreten hatte, waren ihr solche Begegnungen unangenehm.

      „Muss das sein?“, fragte sie deshalb. „Du weißt doch, dass ich nicht so gern hierher gehe.“

      „Tut mir leid, aber du wirst es im Laufe des Abends verstehen,“ antwortete er. „Bitte hab' etwas Geduld.“

      Das wurde ja immer rätselhafter. Erst seine ungewöhnlich ernste Art, dann so etwas. Doch dann stieg Agnes seufzend aus.

      Otto hatte einen Tisch in der hinteren rechten Ecke reserviert. Von dort hatte man den ganzen Raum und den Eingang im Blick.

      Agnes wunderte sich immer mehr. Das sah Otto überhaupt nicht ähnlich, er saß sonst immer gern im Mittelpunkt. Sie orderte einen Campari-Orange, Otto erstmal nichts. Nachdem der Kellner weg war, fixierte sie ihren Begleiter. „Also, heraus mit der Sprache, was ist los? Du benimmst dich seltsam, muss ich mir Sorgen machen? Bist du krank?“

      Otto lachte. „Nein, wie kommst du darauf? Mir geht es gut.“ Er machte eine Pause. „Es geht um einen Mandanten und seine Geschichte. Und ich denke, die wird dich interessieren, obwohl sie geeignet ist, alte Wunden aufzureißen.“

      Agnes sah ihn schweigend an. Als sie nichts sagte, fuhr er fort: „Der Name Clemm sagt dir noch was?“

      Agnes nickte zustimmend.

      „Der hat mich vorgestern aufgesucht. Er sei da einer Sache auf der Spur. Doch weil er sich schon einmal die Finger bei einer Recherche verbrannt hätte, wollte er eigentlich damit nichts zu tun


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