POLARLICHTER. Manfred G. Valtu

POLARLICHTER - Manfred G. Valtu


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verdiene er viel mehr als sie.

      „Ich bringe sie um, eines Tages bringe ich sie um“, hatte er seither immer wieder gedacht. Wohl wissend, dass er dazu überhaupt nicht in der Lage sein würde.

      Er schrak aus seinen Gedanken auf, denn er hatte das Ende des langen Ganges erreicht. Nachdem er den Code in das neben der Tür befindliche Display eingetippt hatte, betrat er die mittlere der drei Hallen, in denen die Saatgüter lagerten.

      Aber für sie war er heute nicht hier.

      Er suchte den durch die Mitte zwischen zwei Saatgutregalen führenden Gang auf und ging ihn bis zum Ende. Die in die dort befindliche Querwand eingebaute, nur gut einen Meter hohe und ebenso breite Klappe war so paßgenau integriert, dass ein Uneingeweihter sie nicht erkennen konnte.

      Sven Johansson kniete sich hin, drückte auf eine der die Wand in diesem Bereich bedeckenden Aluminiumkacheln, woraufhin die Klappe zur Seite glitt. Er robbte durch und drückte kurz auf die Kante der Klappe. Sie fuhr wieder in ihre Ausgangsposition und schloss mit einem preßluftartigen Geräusch. Nachdem er sich aufgerichtet und den Kniebereich abgeklopft hatte, wandte er sich nach links. Er folgte einem etwa einhundertundfünfzig Meter langen Tunnelgang mit vom früheren Kohleabbau wild zerklüfteten Decken und Wänden, der sich am Ende zu einer großen höhlenartigen Halle öffnete.

      Hier befand sich eine in die ehemalige Abbaugrube eingebaute unterirdische Hafenanlage. Sie bestand aus zwei jeweils etwa fünfunddreißig Meter langen und zwanzig Meter breiten, an drei Seiten von gekachelten Kaimauern begrenzten Becken. Das Ende der Becken bildete eine riesenhafte Toranlage. Auf den Kaimauern standen links und rechts jeweils ein Ladekran auf Schienen, deren Verlauf sich am Ende der Becken in einer Weiche vereinigte und sodann im Dunkel des hinteren Höhlenteils verlor. Vor dem Kran des backbordseitigen Beckens stauten sich sieben Loren, wie man sie vom Bergbau kennt.

      Sven Johansson sah auf seine Uhr. In zehn Minuten würde das U-Boot eintreffen.

      §§§§§§§§

      K A P I T E L 7

      Die erhöhte Frequenz des Sonargeräuschs zeigte Kapitän Mika Hämäläinen an, dass sie sich ihrem Ziel näherten. Er war ein erfahrener U-Boot-Führer und dennoch ergriff ihn immer wieder ein Gefühl von Abenteuer, wenn die passgenaue Einfahrt in das enge Hafenbecken bevorstand.

      Und mit diesem zusammengeflickten Weltkriegsveteran von U-Boot war es auch ein Abenteuer. Vor mehr als vier Jahren war er wegen Erreichens der Altersgrenze aus dem Marinedienst ausgeschieden. Ein paar Monate später war man seitens einer norwegischen Umweltorganisation an ihn mit der Frage herangetreten, ob er sich vorstellen könne, für ein Forschungsprojekt ein U-Boot zu befehligen. Das Projekt hatte ihm zugesagt, auch wenn um seine Einzelheiten ein großes Geheimnis gemacht wurde: Zu gerne wurde er Teil der Klimaforschung.

      Als er jedoch erfuhr, welches Boot er befehligen sollte, zweifelte er sofort an dem Verstand der maßgeblichen Leute. Denn die Saukko (finnisch für Otter) war in den 1950er Jahren außer Dienst genommen und verschrottet worden.

      Nach dem Ende des 2. Weltkriegs hatte die finnische Marine keine Verwendung mehr für ihre fünf U-Boote gehabt. Die Vesikko war schon 1944 stillgelegt worden und dient seit 1973 als Museum. Die drei größeren Boote Vetehinen, Vesihiitsi und Iku-Turso wurden nach ihrer Stilllegung in den 50er Jahren verschrottet. Nur die kleinere Saukko war noch bis 1952 in Dienst und soll anschließend ebenfalls verschrottet worden sein. Hinsichtlich der Iku-Turso hielt sich jedoch in Seefahrerkreisen hartnäckig das Gerücht, sie sei gar nicht verschrottet worden, sondern befahre, nachdem sie zunächst an einen unbekannten Ort verbracht wurde, weiter die Weltmeere.

      Das passte natürlich zu diesem Boot. Denn Iku-Turso war das Meeresungeheuer aus der Kalevala, der im 19. Jahrhundert von Elias Lönnrot aus mündlichen Überlieferungen schriftlich zusammengestellten finnischen Mythologie. Und genauso sagenhaft waren die Geschichten über dieses geheimnisvoll auftauchende und wieder verschwindende U-Boot.

      Nun sollte es aber die Saukko auch noch geben?

      „Zeigt sie mir“, hatte er gefordert. Über abenteuerliche Straßen und Wege, immer entlang der finnisch-russischen Grenze, hatte man ihn in einem Tross von vier uralten Geländewagen zu einem lagunenartigen Einschnitt im Arktischen Ozean transportiert. Und dort lag sie auf Trockendock: Die Saukko. Sie war äußerlich in einem miserablen, im Inneren in einem schrottreifen Zustand gewesen. Er hatte nur den Kopf geschüttelt und den Leuten klar gemacht, dass dieses Ding niemals mehr schwimmen würde, sondern nur noch – aber für immer – tauchen könne.

      Daraufhin hatte man ihn in ein unterirdisches Gängewirrwarr geführt, an dessen Ende sich eine riesige Höhle aufgetan hatte. Und hier fand er sich plötzlich in der Kalevala wieder. Da lag sie: die Iku-Turso.

      Und sie schwamm!

      Seine Inspektion des Bootes ergab, dass es nach einigen notwendigen Instandsetzungsarbeiten nicht nur schwimm- sondern auch tauchtauglich sein würde.

      Doch die Iku-Turso war dem geheimnisvollen Konsortium mit ihren 63,5 Metern zu lang. Sie brauchte ein Boot, das die Länge von 35 Metern nicht überschreiten durfte, weil es sonst eine bestimmte Hafenanlage nicht würde anfahren können. So sollte unter Verwendung von Teilen der Iku-Turso die Saukko, die eine Länge von 32,4 Metern hatte, wieder seetüchtig gemacht werden.

      Es hatte ihm zutiefst widerstrebt, ein fast seetüchtiges Boot auszuschlachten, um ein Wrack wiederherzustellen. Das Angebot, ihm dafür eine Million und fünfhunderttausend schwedische Kronen sowie für die Führung des Bootes jährlich eine Million zu zahlen, hatte seine Bedenken zerstreut. Endlich würde er für seine Frau und sich ein Sommerhaus auf einer der Stockholm vorgelagerten Schäreninseln finanzieren können.

      Mehr als zwei Jahre dauerten die Umbau- und Reparaturarbeiten, bis die Saukko (die er insgeheim Iku-Saukko nannte) zu ihrer „Jungfernfahrt“ aufbrechen konnte.

      Bereits auf dieser Fahrt lernte er die Hafenanlage auf Spitzbergen kennen. Sie hatte früher als Umschlagplatz der alten Kohlegrube gedient und war – von wem auch immer finanziert – zu einer U-Boot-Reede umgebaut worden. Die Einfahrt lag am Isfjorden und erforderte extrem nautisches Geschick. Denn das Boot musste in der engen Fjordpassage fast in einen rechten Winkel zum Hafen gedreht und dann mit halber Kraft unter Vermeidung der von der Strömung verursachten seitlichen Drift viel zu schnell ins Dock gefahren werden. Nahm man zu früh die Fahrt raus, verwinkelte sich das Boot in der engen Reede und musste komplett neu heraus navigiert werden. Bei zu später Reduktion der Geschwindigkeit wäre eine Kollision mit der Bugmauer unvermeidlich.

      Tatsächlich hatte er beim ersten Mal drei Anläufe gebraucht, bis die Saukko festgemacht werden konnte. Seither war alles glatt gegangen.

      Heute war die Einfahrt in das backbordseitige Becken angeordnet worden. Hämäläinen ließ das Boot rechtzeitig auftauchen, es in einen Winkel von 85 Grad stellen und mit halber Fahrt auf die sich öffnende Toreinfahrt zugleiten. Seine jahrzehntelange Erfahrung ließ ihn, noch bevor der Steuermann den Ruf absetzte, spüren, dass die aktuelle Strömung anders als sonst war. Sie drückte das Heck zu sehr nach Steuerbord. Würde er dem jetzt Gegendruck geben, wäre das Boot in seiner Gänze bereits zu weit nach Steuerbord gedriftet, um das Backbordbecken zu nehmen.

      Doch er entschied sich nicht zum Abbruch. Er gab Befehl, das Boot wieder auf 85 Grad zu stellen und funkte gleichzeitig dem Hafenmeister, er werde in die Steuerbordbucht einfahren. Den prompten Widerspruch aus der Reede ignorierte er. E r war der Kapitän. E r hatte die Verantwortung für das Schiff! Exakt einhundert Meter vor der Torlinie ließ er die Fahrt herausnehmen. Und als der Bug die Torlinie erreichte, befahl er volle Kraft zurück.

      Das Boot war kaum festgemacht, kam der Hafenmeister mit hochrotem Kopf auf ihn zugestürmt. Hämäläinen ließ mit stoischer Ruhe die Litanei über sich ergehen. Als der Typ, den er sowieso nicht leiden konnte, eine Pause einlegte, hielt er ihm eine Kette, an der ein Schlüssel baumelte, vor die Nase.

      „Was soll das?“, fragte ihn sein Gegenüber.

      „Das ist der Schlüssel


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