Winnetou Band 1. Karl May

Winnetou Band 1 - Karl May


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Ich verbiete euch, hier weiter zu

       messen!«

       Dieses letztere sagte er mit einem Nachdrucke, dem man den bittersten Ernst anhörte. Ich war erstaunt

       über diesen Indianer. Ich hatte viele Bücher über die rote Rasse und viele Reden gelesen, welche von

       Indianern gehalten worden waren, so eine aber nicht. Intschu tschuna sprach ein klares, deutliches

       Englisch; seine Logik war ebenso wie seine Ausdrucksweise diejenige eines gebildeten Mannes. Sollte er

       diese Vorzüge Klekih-petra, dem "Schulmeister", zu verdanken haben?

       Der Oberingenieur befand sich in großer Verlegenheit. Wenn er wahr und ehrlich sein wollte, so konnte

       er auf die vorgebrachten Beschuldigungen fast gar nichts entgegnen. Er brachte zwar einiges vor, aber das

       waren Spitzfindigkeiten, Verkehrungen und Trugschlüsse. Als ihm der Häuptling wieder antwortete und

       ihn in die Enge trieb, wendete er sich an mich:

       »Aber, Sir, hört Ihr denn nicht, wovon gesprochen wird? Nehmt Euch doch der Sache an, und redet auch

       ein Wort!«

       »Danke, Mr. Bancroft; ich bin als Surveyor hier, nicht aber als Advokat. Macht mit und aus der Sache,

       was Ihr wollt. Ich habe zu messen, nicht aber Reden zu halten.«

       Da bemerkte der Häuptling im entscheidenden Tone:

       »Es ist nicht nötig, daß fernere Reden gehalten werden. Ich habe gesagt, daß ich euch nicht dulde. Ich

       will, daß ihr noch heut von hier fortgeht, dahin, woher ihr gekommen seid. Entscheidet euch, ob ihr

       gehorchen wollt oder nicht. Ich gehe jetzt mit Winnetou, meinem Sohne, fort und werde wiederkommen

       nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen. Dann sollt ihr mir Antwort geben. Geht ihr

       dann, so sind wir Brüder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil ausgegraben zwischen uns und euch. Ich

       bin Intschu tschuna, der Häuptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!«

       Howgh ist ein indianisches Bekräftigungswort und heißt so viel wie Amen, basta, dabei bleibt's, so

       geschieht's und nicht anders! Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das

       Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur

       wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete:

       »Macht was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des Häuptlings. Es geschieht ein großes, fortgesetztes

       Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weißer weiß ich auch, daß der Indsman sich vergeblich wehrt.

       Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen Andere kommen, die euer Werk zu Ende führen. Aber

       warnen will ich euch. Der Häuptling meint es ernstlich.«

       »Wohin ist er?«

       »Er wird unsere Pferde holen.«

       »Habt ihr denn welche mit?«

       »Natürlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daß wir dem Bären nahe seien. Einen Grizzly sucht

       man doch nicht zu Pferde in seinem Verstecke auf.«

       Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Drängen zu entziehen. Ich

       ging ihm nach und fragte trotzdem:

       »Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch

       inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so außerordentlich für Intschu tschuna interessiere und natürlich

       ebenso für Winnetou.«

       Daß auch er selbst mir große Teilnahme einflößte, wollte ich ihm nicht sagen.

       »Ja, kommt ein wenig mit, Sir,« antwortete er. »Ich habe mich von den Weißen und ihrem Treiben

       zurückgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir

       einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verständigste von allen diesen Menschen zu

       sein. Habe ich recht?«

       »Ich bin der jüngste und noch gar nicht smart; werde dies wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das

       Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.«

       »Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.«

       »Ich bin kein Amerikaner.«

       »Was denn, wenn Euch die Frage nicht belästigt?«

       »Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein

       Deutscher.«

       »Ein Deutscher?« fuhr er mit dem Kopfe schnell empor. »Dann heiße ich Sie willkommen, Landsmann!

       Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere

       Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daß wir Angehörige eines Volkes

       sind wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein

       vollständiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht außerordentlich vor?«

       »Außerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche.«

       »Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksale, dem Fatum,

       dem Kismet?«

       »Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.«

       »Recht so; Sie sind ein glücklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar,

       sind aber stets sehr natürliche. Die größten Wunder sind die Folgen natürlicher Gesetze, und die

       alltäglichsten Naturerscheinungen sind große Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter

       Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziele

       geführt hat, ist ein sehr natürlicher.«

       Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu

       können. Ich merkte sehr bald, daß er ein bedeutender Charakter war, hütete mich aber, irgend eine, wenn

       auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rücksicht nicht auf und

       erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verhältnissen. Ich antwortete ihm so ausführlich, wie es ihm

       lieb zu sein schien.

       Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein

       Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die

       langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien

       der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge düster, drohend, zornig, ängstlich,

       vielleicht auch verzweifelnd geblickt haben, und nun war es klar und ruhig wie ein Waldsee, den kein

       Windstoß kräuselt, der aber so tief ist, daß man nicht sehen kann, was auf seinem Grunde ruht. Als er

       alles Wissenswerte von mir gehört hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:

       »Sie stehen am Anfange der Kämpfe, an deren Ende ich angekommen bin; aber diese werden für Sie nur

       äußerliche, keine inneren sein. Sie haben Gott,


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