Winnetou Band 1. Karl May
und noch dazu in meiner Gegenwart, das durfte ich denn doch nicht
dulden! Darum wandte ich mich schnell mit der Frage an ihn:
»Das ist Eure Ueberzeugung, Mr. Rattler?«
»Yes,« nickte er entschlossen. Er zog seinen Revolver heraus, denn er erwartete eine Tätlichkeit von mir.
»Rollins hätte sich retten können und wurde nur durch mich verhindert?«
»Yes.«
»Ich meine aber, daß der Bär ihn schon gefaßt hatte, ehe ich kam!«
»Das ist eine Lüge!«
»Well, so sollt Ihr jetzt die Wahrheit hören oder fühlen.«
Bei diesen Worten riß ich ihm mit der Linken den Revolver aus der Hand und gab ihm mit der Rechten
eine so gewaltige Ohrfeige, daß er wohl sechs bis acht Schritte weit fort und da zur Erde flog. Er sprang
auf, riß sein Messer heraus und kam, wie ein wütendes Tier brüllend, auf mich zugerannt. Ich parierte den
Messerstich mit der linken Hand und schlug ihn mit der rechten Faust nieder, daß er zu meinen Füßen
ohne Besinnung liegen blieb.
»Uff, uff!« rief Intschu tschuna erstaunt, indem er vor Bewunderung dieses Jagdhiebes die gebotene
indianische Zurückhaltung vergaß. Im nächsten Augenblicke jedoch sah man ihm schon an, daß er diese
Anerkennung bereute.
»Das war wieder Shatterhand,« sagte der Surveyor Wheeler.
Ich achtete nicht auf diese Worte, sondern hielt mein Auge auf Rattlers Kameraden gerichtet. Sie waren
sichtlich wütend, aber es wagte keiner, mit mir anzubinden. Sie murrten und fluchten unter sich; aber das
war auch alles, was sie taten.
»Nehmt Rattler doch einmal ernstlich vor, Mr. Bancroft,« forderte ich den Oberingenieur auf. »Ich habe
ihm nichts getan, und doch sucht er sich stets an mir zu reiben. Ich fürchte, es kommt noch Mord und
Totschlag hier im Lager vor. Lohnt ihn ab, und wenn Euch das nicht beliebt, nun, so kann ich ja gehen.«
»Oho, Sir, so schlimm ist die Sache denn doch wohl nicht!«
»Ja, so schlimm ist sie. Hier habt Ihr sein Messer und seinen Revolver. Gebt ihm diese Waffen nicht eher,
als bis er sich beruhigt hat, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. Denn ich sage Euch, ich wehre
mich meiner Haut, und wenn er mir noch einmal mit einer Waffe kommt, so schieße ich ihn nieder. Ihr
nennt mich ein Greenhorn, aber ich kenne doch die Gesetze der Prairie. Wer mir mit dem Messer oder der
Kugel droht, den darf ich augenblicklich erschießen.«
Dies galt natürlich nicht nur Rattlern, sondern auch seinen "Westmännern", von denen keiner ein Wort
dazu sagte. Jetzt wendete sich der Häuptling Intschu tschuna an den Oberingenieur:
»Mein Ohr hat jetzt vernommen, daß du unter den hiesigen Bleichgesichtern derjenige bist, welcher den
Befehl führt. Ist dies so?«
»Ja,« antwortete der Gefragte.
»So habe ich mit dir zu reden.«
»Was?«
»Das sollst du hören. Du stehst auf deinen Füßen; aber Männer sollen sitzen, wenn sie sich beraten.«
»Willst du unser Gast sein?«
»Nein, das ist unmöglich. Wie kann ich dein Gast sein, wenn du dich bei mir auf meinem Boden, in
meinem Walde, meinem Tale, meiner Prairie befindest? Die weißen Männer mögen sich setzen. Was sind
das für Bleichgesichter, welche da noch kommen?«
»Sie gehören zu uns.«
»So mögen sie sich auch mit zu uns setzen.«
Sam, Dick und Will kamen nämlich jetzt von ihrem Ritte zurück. Sie als erfahrene Westleute wunderten
sich nicht über die Anwesenheit der Indianer, wurden aber besorgt, als sie hörten, wer die beiden seien.«
[seien.]
»Und wer ist der dritte?« fragte mich Sam.
»Er heißt Klekih-petra, und Rattler hat ihn Schulmeister genannt.«
»Klekih-petrah [Klekih-petra], der Schulmeister? Ach, von dem habe ich gehört, wenn ich [mich] nicht
irre. Das ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, ein Weißer, welcher schon lange bei den Apachen lebt und
so eine Art von Missionär zu sein scheint, wenn er auch kein Priester ist. Freut mich, ihn zu sehen. Werde
ihm einmal auf den Zahn fühlen, hihihihi.«
»Wenn er sich darauf fühlen läßt!«
»Wird mich doch nicht in die Finger beißen? Ist sonst noch etwas vorgekommen?«
»Ja.«
»Was?«
»Etwas sehr Wichtiges.«
»Dann heraus damit!«
»Ich habe das getan, wovor Ihr mich gestern warntet.«
»Weiß nicht, was Ihr meint. Habe Euch vor vielem gewarnt.«
»Grizzlybär.«
»Wie wo waaaaas? Etwa gar ein grauer Bär dagewesen?«
»Und was für einer!«
»Wo denn, wo? Ihr macht doch nur Spaß!«
»Fällt mir gar nicht ein. Da unten hinter dem Gebüsch im Walde. Hat den alten Bullen hineingeschafft.«
»Wirklich, wirklich? Alle Wetter, muß das grad dann passieren, wenn unsereiner nicht da ist! Hat es Tote
gegeben?«
»Einen nämlich Rollins.«
»Und Ihr? Was habt Ihr getan? Habt Euch doch fern gehalten?«
»Ja.«
»Recht so! Möchte es aber fast nicht glauben.«
»Könnt es getrost glauben. Habe mich grad so fern von ihm gehalten, daß er mir nichts tun, ich ihm aber
mein Messer viermal zwischen die Rippen stoßen konnte.«
»Seid Ihr gescheit! Habt ihn mit dem Messer angegriffen?«
»Ja. Hatte die Büchse nicht da.«
»Welch ein Kerl! Ein echtes, richtiges Greenhorn. Hat extra einen schweren Bärentöter mitgebracht, und
nun der Bär kommt, schießt er mit dem Messer anstatt mit der Büchse. Sollte man so etwas für möglich
halten? Wie ist es denn gekommen?«
»So, daß Rattler behauptet, ich hätte ihn nicht erlegt, sondern er.«
Ich erzählte ihm, wie sich der Vorgang abgespielt hatte, auch daß ich dann wieder mit Rattler
zusammengeraten war.
»Mensch, Ihr seid wirklich ein ganz unglaublich leichtsinniger Kerl!« rief er aus. »Hat noch nie einen
Grizzly gesehen und geht darauf los, als ob es sich um einen alten Pudelhund handelte! Ich muß mir das
Tier ansehen, sofort ansehen. Kommt, Dick und Will! Ihr müßt doch auch sehen, was dieses Greenhorn
hier abermals für dumme Streiche gemacht hat.« Er wollte fort, da aber in diesem Augenblicke Rattler
wieder zu sich kam, wendete er sich zuvor an diesen:
»Hört, Mr. Rattler, ich habe Euch etwas mitzuteilen. Ihr habt abermals mit meinem jungen Freunde
angebunden. Wenn Ihr dies noch einmal wagen