Der reiche Russe. Dietrich Knak
Dunkelbraune holzgetäfelte Wände, an der Decke filigrane mit Blattgold überzogene Stuckarbeiten, dazu Regale, die vom Fußboden bis unter die Decke reichen. Um in ihre oberen Bereiche zu gelangen, können verschiebbare Leitern genutzt werden. Gleich mehrere Sitzgruppen, bestehend aus wuchtigen Ledersesseln und schmalen Sofas, filigranen Holzstühlen und ebenso filigranen Couchtischen haben die Aufgabe, den vielen Büchern die Strenge zu nehmen. An einem nicht mit Regalen zugestellten Bereich der Wand steht unübersehbar ein klotziger Safe, gewissermaßen ein kleines fossiles Ungeheuer, welches in diesem so stilsicher eingerichteten Raum, wie ein Fremdkörper wirkt. Wäre ich der Eigentümer, würde ich ihn ohne zu zögern, in den Keller verbannen.
Plötzlich steht ein Mann um die Sechzig vor mir, eine Spur kleiner als ich, dafür deutlich kompakter. In einem ovalen Gesicht mit starken Backenknochen, einer leichtgebogenen Nase und einem wuchtigen Schnauzbart liegen unter einer randlosen Brille kleine, hellwache Augen, die sich intensiv mit mir beschäftigen. Die wenigen Haare, die ihm verbliebenen sind, trägt er kurzgeschnitten. Bekleidet ist er mit einem offenen hellblauen Hemd und einer schwarzen Jeanshose. Schnickschnack jeglicher Art wie Halsketten oder Armbänder scheint er zu meiden. Lediglich am Ringfinger der rechten Hand entdecke ich einen schlichtgehaltenen Ehering. Auf den ersten Blick versprüht er die Aura eines Buchhalters, dessen Augen erst leuchten, wenn die Geschäftszahlen tiefschwarz ausfallen.
„Herr Marowski?“, fragt er in nahezu akzentfreiem Deutsch und reicht mir seine kräftige, leichtbehaarte Hand.
„Und Sie müssen Herr Valerie Kutusow sein“, gebe ich mich jovial.
Wir lächeln und schütteln uns die Hände. Und während er mich zu einer Sitzgruppe im hinteren Teil des Raumes dirigiert, fragt er: „Möchten Sie Tee, Kaffee, Wasser oder gar einen klitzekleinen Wodka?“
Ich verneine und nehme ihm gegenüber Platz.
„Übrigens“, nimmt der Russe das Gespräch mit einem Schalk um die Augen auf, „bei mir in Moskau sagt man zu Baden-Baden gerne Klein Moskau! Macht Ihnen das Angst?“
„Warum? Wir sind Mitglied der Nato! Die beschützt uns.“
Mein Gesprächspartner schaut mich einen Moment verblüfft an, dann lacht er derart scheppernd, dass sein Schnauzer wackelt. „Sie haben Humor!“ Nachdem er sich halbwegs beruhigt hat, fragt er: „Marowski, Ihr Name klingt irgendwie polnisch!“
„Ich kann Sie beruhigen: Marowski hat ausschließlich Tiroler Wurzeln!“
Kutusow klatscht in die Hände. „Humor und Tiroler, das passt. Übrigens, mein Freund Dr. Wohlleben hält große Stücke auf Sie. Sie sollen obendrein ein richtiger Privatdetektiv sein! So mit Lizenz und Waffenschein. Auch hätten Sie die Nerven, Ihre Waffe einzusetzen, falls es für Sie eng werden sollte.“
„Seit drei Jahren übe ich den Beruf aus!“, bestätige ich ihm stolz. “Seitdem trage ich bei Einsätzen eine Waffe.“
Kutusows Blick gleitet wohlwollend über mich hinweg. „Ich mag professionell agierende Menschen! Mit Amateuren hat man oft mehr Ärger als einem lieb ist!“ Jäh verdüstert sich sein Blick. „Kennen Sie einen gewissen Eugen Brandt?“ Der Russe spricht den Namen aus, als sei er durch und durch vergiftet.
Ich schüttele den Kopf.
„Ein Karlsruher Enthüllungsjournalist! Leider nicht von der besten Sorte!“ Kutusow lacht trocken. „Und dieser Herr glaubt tatsächlich ein Buch über meine Landsleute und mich schreiben zu müssen. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden, vorausgesetzt er hielte sich an die Wahrheit. Doch wenn er uns unisono verdächtigt, wir würden zur russischen Mafia gehören, betrieben Geldwäsche, Waffenschmuggel, Drogenhandel, trinken schon am Vormittag Wodka und verprügeln obendrein mindestens einmal am Tag unsere Frauen! So etwas müssen wir uns nicht bieten lassen!“ Er legt eine Pause ein, danach fährt er erstaunlich aufgeräumt fort: „Nehmen Sie zum Beispiel mich! Ich bin Mathematiker und habe an meiner Bank den algorithmischen Aktienhandel eingeführt. Das wir damit inzwischen wie selbstverständlich arbeiten, hat man mir zu verdanken. Ich alleine habe die dafür notwendige Software geschrieben. Code für Code, Nacht für Nacht. Am Tag hatte ich andere Dinge zu erledigen. Das ging ein gutes Jahr so. Unter dem Strich ist es mir gelungen, die Mentalität meiner Landsleute in die Software einzubauen. Ich habe ihre Ängste, ihren Optimismus, ihr Schwanken, überhaupt, unsere russische Denke in Formeln gepackt. Doch Russland ist bekanntlich groß, unser Land hat viele Nationalitäten. Die meisten haben ihre ureigene Mentalität. Ein Tatar ist kein Baschkire, ein Tschetschene kein Russe. Manche befragen den Mond, andere die Sterne oder die nächsten lauschen auf jedes Wort ihres Popen oder Imans, andere wieder auf das, was Putin ihnen zu sagen hat. All das gilt es zu berücksichtigen. Ich kann mit Stolz behaupten, ich habe es halbwegs hinbekommen. Mittels meiner Software kann ich voraussagen, welche Entscheidung unsere Anleger in der jeweiligen Situation treffen wird. Das und nichts anderes ist die Quelle, aus der sich mein Vermögen speist! Und nun frage ich Sie: Was in Gottes Namen ist daran verwerflich? Bisher konnte es mir niemand sagen. “
„Ich auch nicht! Nur eins möchte ich Ihnen empfehlen: Gehen Sie gegen diesen Brandt juristisch vor! Wir haben in Deutschland nicht nur gute Zahnärzte, wir verfügen über ebenso gute Anwälte!“
„Das müssen wir anders hinbekommen! Ohne die Sache vor einem Gericht breitzutreten!“, höre ich eine Frauenstimme in unserer unmittelbaren Nähe sagen.
Überrascht wende ich mich der Stimme zu. Eine gut ein Meter siebzig große, gertenschlanke und ungemein drahtige Frau steht einen Meter seitlich von uns entfernt. Selbst mit geschlossenen Augen würde man erkennen, dass die Frau Tänzerin ist. Folglich müsste sie Kutusows zweite Ehefrau Elena sein. Die berühmte Ex-Primaballerina vom Bolschoi Theater. Auch das weiß ich von meinem Vermieter. Sie ist mindestens zehn Jahre jünger als ihr Mann. Ihr dunkles Haar, durchzogen von ein paar grauen Strähnen, hat sie im Nacken zu einem Knoten zusammengeführt. Sie ist keine Schönheit, dafür sind ihre Gesichtszüge ein wenig zu derb geraten, auch ihr schmaler Mund spielt nicht mit. Dennoch strahlt sie eine ungemeine Präsenz aus. Diese Frau zu übersehen, halte ich für nahezu unmöglich. Und das gilt nicht nur für die Bühne.
„Elena! Was machst du hier?“, fragt Kutusow streng. Er gibt sich keine Mühe zu verbergen, dass es ihm nicht passt, sie hier zu sehen.
„Valerie entschuldige, ich suche Dostojewskis ‚Schuld und Sühne‘. Aber ich finde das Buch einfach nicht! Haben wir es überhaupt?“
„Selbstverständlich haben wir unseren Dostojewski!“ Der Hausherr kann seine Wut über eine derartige Frage nur mühsam unterdrücken. Offensichtlich hat ein gebildeter Russe dieses Werk stets zur Hand. „Es muss sogar eine Erstausgabe dabei sein“, fügt er mit eisiger Stimme hinzu.
Plötzlich entdeckt Elena Kutusow mich und kommt strahlend einen Schritt auf mich zu geschwebt „Ich ahne, wer Sie sind!“. Wobei ich den Eindruck habe, dass sie die Gabe besitzt, beim Gehen nicht den Parkettboden zu berühren, sondern es aus unerfindlichen Gründen versteht, über ihn hinweg zu schweben. Ihr Körper scheint in der Lage zu sein, die Gesetze der Schwerkraft zu ignorieren. Mit ihren dunkelbraunen Augen schaut sie mich schelmisch lächelnd an. „Sie sind der Herr Marowski! Der Privatdetektiv für die ganze Stadt! Unser lieber Freund Dr. Wohlleben hat Sie uns ans Herz gelegt. Und ich weiß: Sie sind sein Mieter!“
Ich lächle zurück. „Alles richtig!“ Beinahe hätte ich noch gnädige Frau hinzugefügt, konnte es jedoch noch geradeso unterdrücken.
„Übrigens, unser lieber Doktor, hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen. Er ist überzeugt, dass Sie ein ausgezeichneter Kriminalist sind, der engagiert seinen Job erledigt. Auch wenn Sie hin und wieder ein wenig schläfrig wirken, davon sollte sich niemand täuschen lassen!“
Ich lache. „Nun, wenn Doktor Wohlleben es sagt, dann wird es wohl stimmen! Im Übrigen kann man in meinem Beruf wache Augen gut gebrauchen!“ Ich erhebe mich und reiche ihr die Hand. „Und Sie müssen Frau Elena Kutusow sein, die Ex-Ballerina vom Bolschoi.“
„Exakt, die bin ich! Es freut mich, dass Sie mich sofort erkannt haben. Wissen Sie, ich habe in Ihrem Land eine Menge Bewunderer. Was ich selbstverständlich