Das Gorilla-Prinzip. Hans-Jürgen Breuer

Das Gorilla-Prinzip - Hans-Jürgen Breuer


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      Cartoon aus der FAZ

      Illustration copyright Peter von Tresckow

       Einleitung

      Bitte stellen Sie sich folgendes vor.

      Sie haben zwei Möglichkeiten, durch das Leben zu gehen. Sehend oder blind. Angenommen, Sie befinden sich in einer völlig dunklen Höhle und sollen sich dort ohne Ortskenntnis zurechtfinden. Sie tappen im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Diese Metapher gilt auch für Ihre unbewussten Strukturen. Also lautet die Lösung, Licht ins Dunkel des Unbewussten zu bringen. Der erste mögliche Schritt zur Persönlichkeitsentwicklung lautet also: Erkenne Dich selbst, was nun wirklich schon ein alter Hut ist. Ich vermute, dass Sie sich dafür entscheiden werden, sehen zu wollen und zu können.

      Nun übertragen Sie dieses Prinzip bitte auf das Sehen, Erkennen und Begreifen von Rahmenbedingungen, die über Erfolg oder Misserfolg, über Glück oder Unglück und über Zufriedenheit oder Unzufriedenheit entscheiden. Ich vermute erneut, dass Sie hier dieselbe Wahlentscheidung treffen werden.

      Es entspricht meiner Erfahrung, dass den meisten Führungskräften und Mitarbeitern von Unternehmen, also den berufstätigen Menschen, die wirklichen Erfolgsprinzipien nicht hinreichend genau bekannt oder bewusst sind; selbst unbewusst handeln viele dieser Personen oft genau falsch. Warum ist das so?

      Nach meinen Beobachtungen spielen unsere Emotionen dabei eine sehr große Rolle. Welche auch immer das sind: Mal sind es diejenigen Gefühle, die uns eher zurückhaltend agieren lassen, wie Vorsicht, Scheu, Furcht oder Angst, mal sind es diejenigen, die uns eher nach vorne agieren lassen, wie Angriff, Mut, Selbstvertrauen oder auch Selbstüberschätzung. In beiden Fallgruppen kann der emotionale Faktor völlig kontraproduktiv sein:

       Wenn wir mutig auf Angriff schalten und die Situation in die Hand nehmen, laufen wir vielleicht gegen eine unüberwindbare Wand aus Hindernissen und Widerständen und holen uns eine blutige Nase. Hier erkennen wir am Ergebnis, dass dieses Handeln nicht erfolgreich war, neigen aber gehirnbiologisch in einem dort angelegten automatisch ablaufenden Prozess dazu, die Schuld für unser eigenes Versagen anderen in die Schuhe zu schieben.

       Der umgekehrte Fall ist asymmetrisch: Wenn wir aus Gründen der Vorsicht, Zögerlichkeit oder Ängstlichkeit nicht handeln, können wir nicht abschätzen, ob unser Handeln möglicherweise erfolgreich gewesen wäre. Nicht-Handeln führt aber in den seltensten Fällen zum Erfolg!

      Unsere Emotionen sind der Antriebsfaktor, der unser Handeln bestimmt oder unterbindet. Ohne systemisches Wissen, also das Wissen, wie ein soziales System wirklich funktioniert, läuft dieser Antrieb möglicherweise ins Leere oder in die falsche Richtung. Oder wir handeln völlig unwissend, unreflektiert oder unbewusst, mit dem Ergebnis, dass wir unser Ziel vielleicht zufällig erreichen oder auch nicht oder wir unterlassen das vielleicht richtige Handeln. Nun behaupte ich, dass viele Menschen ein ungenügendes systemisches Wissen besitzen und mehr oder weniger hilflos ihren Emotionen ausgeliefert sind. Das Fazit: Sie laufen „blind“ für die richtigen Prinzipien ihren Emotionen hinterher, sind also in hohem Maße von ihrem Es oder Über-Ich 1 quasi „fremdgesteuert“, weil sie nicht autonom bewusst aus ihrem Ich heraus handeln.

      Worauf stütze ich diese Behauptung? Auf meine nunmehr 30-jährige Erfahrung als Führungskraft in verschiedenen Unternehmen und auf eine darin eingeschlossene fast 20-jährige Erfahrung als Unternehmensberater und Coach. Gerade im Einzel-Coaching von TOP-Führungskräften finde ich immer wieder bestätigt, dass viele Führungskräfte hervorragende Ideen haben und im Prinzip auch in die richtige Richtung wollen, der geplante Weg aber in vielen Fällen systemisch nicht richtig ist.

      Zusätzlich zu dieser Erfahrung gibt es dann noch eine weitere Erkenntnis, die ein merkwürdig paradoxes Prinzip beschreibt: Aktivere (meint: agilere, aggressivere, „lautere“ ) Menschen mit oft weniger fundiertem Sachbezug dominieren die weniger aktiven, die oft die besseren Sachargumente haben. Das ist das Paradoxe: Das weniger Gute und oft sogar das Falsche setzen sich durch.

      Das kann nicht richtig sein; denn die besseren Konzepte sollten sich doch durchsetzen, oder nicht? Was meint in diesem Zusammenhang das Gorilla-Prinzip? Haben Sie schon eine Vermutung?

      Ich behaupte: Ganz im Licht der Evolutionsbiologie und getreu den Darwinschen Prinzipien vom Überleben der am besten angepassten Art funktionieren wir Menschen in unserem Berufsleben nicht wesentlich anders als eine Tierherde aus Schimpansen oder Gorillas: Es gibt ein sehr starkes Leittier, das Alpha-Tier, das in der Tierherde den systemischen Rangplatz Nr. 1 einnimmt. Dieses Tier führt die Herde und hat einige privilegierte Rechte. Soweit ist uns dieses Prinzip aus den Tagen des Biologie-Unterrichts sicher noch vertraut. Die weiteren Tiere ordnen sich nun in einer genau definierten Rangfolge ein und verhalten sich dieser Ordnung entsprechend. Das erinnert doch schon sehr an die Aufbauorganisationen und hierarchischen Ordnungen von Unternehmen, oder nicht? Doch damit nicht genug: Die relativen Kräfteverhältnisse bestimmen über Wohl und Wehe, über Erfolg und Misserfolg und über Zufriedenheit und Unzufriedenheit im Berufsleben und damit in starkem Maße über unser Leben insgesamt.

      Das Erkennen und Beachten dieser relativen Kräfteverhältnisse ist eine notwendige Voraussetzung dafür, seinen persönlichen Erfolg zu steigern. Wer diese systemische Ordnung ganz bewusst in sein Verhaltensmodell integrieren kann, wird erheblich erfolgreicher sein als zuvor. Vielleicht entdeckt er sogar den Typus des potentiellen Alpha-Gorillas in sich? Und wenn nicht, denn frei nach dem bekannten Filmtitel „Es kann nur einen geben!“: Es gibt Erfolg versprechende Strategien, die vermeintlichen Alpha-Tiere zu entlarven, sich von diesen nicht den Schneid abkaufen zu lassen und gemessen an den eigenen Wünschen und Potentialen seine eigene Entwicklung zu optimieren oder zu maximieren.

      Interessant und bedeutsam scheint es mir zu sein, dass es meines Wissens kein Buch gibt, das diese Zusammenhänge in dieser Klarheit beschreibt. Provozierend sei daher gefragt: Ist es nach wie vor ein blinder Fleck für uns Menschen, weil wir unsere Abstammung vom Affen leugnen wollen?

      Dieses Buch will Licht in das für viele Menschen systemische Dunkel bringen und allen Menschen helfen, diese Prinzipien besser zu verstehen und mögliche ungerechte und paradoxe Hindernisse aufzulösen: mit Vorteilen für den einzelnen Menschen und Fortschritten für die Menschheit. Es gibt Wege hierzu, die jeder lernen kann!

      1. Kapitel: Das systemische Prinzip – erste Erläuterungen

      Was ist mit dem systemischen Prinzip gemeint, das in diesem Buch behandelt wird? Immer dann, wenn ein Mensch nicht völlig allein als Einsiedler lebt, hat er Kontakt zu anderen Menschen. Sobald ein zweiter Mensch auf einen ersten trifft, kann es zwischen diesen beiden eine Beziehung geben. Beide zusammen bilden somit ein System. Der Grad der Beziehung zwischen diesen beiden Menschen kann verschiedene Ausprägungen haben: von nicht vorhanden über äußerst schwach bis hin zu extrem stark. Je stärker der Grad an Beziehung oder je wichtiger ein Vorfall oder eine Lebenssituation sind, um so mehr spielen systemische Prinzipien eine Rolle, die sich auf die spezifische Konstellation in der Beziehung zwischen diesen beiden Menschen auswirken. Diese systemischen Prinzipien bezeichne ich als „soziale Naturgesetze“, weil sie der Natur dieses Planeten Erde entsprechen und sich wie ein Naturgesetz auf die Interaktionen zwischen Menschen auswirken.

      Folgendes Beispiel aus dem Alltag soll dieses Prinzip veranschaulichen:

       Ein Fahrgast im ICE sitzt allein in einem Abteil. Ein zweiter setzt sich hinzu. Wenn zwischen diesen beiden Personen kein Gespräch oder kein sonstiges Ereignis stattfindet, hat sich auch keine Beziehung entwickelt. Sie gehen auseinander und haben sich möglicherweise in wenigen Tagen vergessen, wenn keine bemerkenswerte oder erinnernswerte Situation vorlag.

       Dieselbe Situation wie zuvor: Ein Fahrgast


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