Das Gorilla-Prinzip. Hans-Jürgen Breuer

Das Gorilla-Prinzip - Hans-Jürgen Breuer


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ein Gespräch entwickeln müssen, da dieser kleine Vorfall die beiden in eine Beziehung gebracht hat. Der Verursacher wird sich je nach seiner Wertestruktur (Höflichkeit, Laxheit, etc.) auf diese Situation einstellen. Ein denkbarer Fall wäre eine Entschuldigung und ein Angebot, den entstandenen Schaden auszugleichen, beispielsweise durch Übernahme der Reinigungskosten.

       Nun kann man diese Situation aber vielfältig variieren, um die systemischen Prinzipien deutlich werden zu lassen. Lassen wir in einem Fall den Verursacher einen rüpelhaften Punker sein, der selbst in Lederklamotten daherkommt, 1,90 Meter groß und geschätzte 110 Kilogramm schwer ist und zudem einige rasselnde Ketten an sich trägt. Der Fahrgast, der nun kaffeebraune Flecken auf seinem hellen Anzug hat, könnte 45 Jahre alt sein, 1,70 m groß sein und im Vergleich zu seinem Gegenüber ein Leichtgewicht darstellen. Wie entwickelt sich der Dialog zwischen den beiden? Vielleicht so: „Sie haben mir Kaffee auf meinen neuen Anzug geschüttet!“ Der Punker: „Opa, reg´ Dich nicht auf und halt´ die Klappe.“ Unter bestimmten Umständen ist der Dialog dann wohl zu Ende. Natürlich könnte der Anzugträger den Schaffner aufsuchen und um Hilfe bitten; vielleicht ist er aber auch deutscher Meister im Judo oder Karate. Eine Unzahl von anderen Möglichkeiten kann man sich ausdenken, wie diese Geschichte doch noch anders ausgehen könnte und man kann sich genauso phantasievoll den umgekehrten Fall vorstellen: Der kleine unsichere und sehr zappelige Mann schüttet einem Gorilla im Anzug den Kaffee auf die Hose. Wie hoch dürfte dann die Rechnung zur Begleichung des Schadens sein und wer würde sich in diesem Fall voraussichtlich durchsetzen?

      Sie wissen nun automatisch, was mit dem systemischen Prinzip gemeint ist. Menschen bilden in ihrer Beziehung zueinander ein System. Innerhalb dieses Systems gibt es relative Kräfteverhältnisse.

      Definition: Das systemische Prinzip beschreibt die relativen Kräfteverhältnisse, die zwischen einzelnen Personen in einem sozialen System bestehen.

      Das Buch handelt davon, wie diese auf den ersten Blick so einfachen, beim näheren Hinschauen aber doch recht komplexen Muster aufgebaut sind, und was wir daraus für unseren Erfolg in der Berufswelt ableiten und lernen können.

      Der Kontext für die Behandlung dieses Themas ist also unsere Arbeitswelt. Natürlich spielen dieselben Prinzipien auch im Familiensystem und in privaten Beziehungen eine Rolle. Da die meisten Menschen aber darauf angewiesen sind, durch eine aktive Berufstätigkeit ein Einkommen zu erzielen und wir die meiste Zeit unseres aktiven Berufslebens, vom Schlaf einmal abgesehen, am Arbeitsplatz verbringen, kommt dem Faktor Erfolg im Beruf eine besondere Bedeutung zu. Und der Erfolg wiederum ist stark davon abhängig, wie gut ein Mensch die systemischen Prinzipien in der Berufswelt versteht und sie zu seinem Nutzen einsetzen kann.

      Ich habe in zahlreichen Coaching-Gesprächen sehr oft die Erfahrung gemacht, dass viele Führungskräfte mit den systemischen Prinzipien so gut wie gar nicht vertraut sind. Sie verstoßen daher gegen klare und feste Regeln und verschaffen sich dadurch natürlich Misserfolgserlebnisse. Dieses Buch soll deshalb einen Beitrag dazu leisten, das Wissen um die systemischen Prinzipien transparent zu machen, das eigene Verhalten danach ausrichten zu können und folglich den persönlichen Erfolg im Berufsleben zu mehren. Jeder ist seines Glückes Schmied: Der Mensch, der die systemischen Prinzipien besser versteht und besser für sich einzusetzen weiß, wird erheblich erfolgreicher sein als ein anderer, dem diese Zusammenhänge nicht klar sind.

      Ferner sagt dieses Prinzip etwas darüber aus, wo ein Mensch in einem beruflichen System steht. Wenn er seine eigene Position sehr genau einschätzen kann, wird er sich auch erfolgreicher bewegen als im umgekehrten Fall, wenn ihm eine absolute Fehleinschätzung unterläuft. Des weiteren ist es möglich, dass ein Mensch seine potentielle Systemposition ermitteln kann. Je genauer ihm dies gelingt, um so klarer kann er seine berufliche Entwicklung aussteuern, Fehlentwicklungen vermeiden und den individuell richtigen Mittelweg finden, der sowohl Unter- wie Überforderungen vermeidet. Gleichzeitig wird daran ein Höchstmaß an Wohlbefinden und Zufriedenheit geknüpft sein, weil systemisch bedingte Reibungsverluste minimiert und die damit verbundenen gefühlsmäßigen Frustrationserlebnisse wie Wut, Ärger, Verzweiflung etc. unterbunden werden können.

      Aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet verfügt ein Mensch, der das systemische Prinzip bewusst oder zumindest unbewusst versteht und beachtet, über eine gut ausgeprägte Sozialkompetenz; denn sozialkompetent meint, soziale Beziehungen einschätzen zu können und sein eigenes Verhalten mit dem von anderen Menschen so koordinieren zu können, dass gemeinsame Aktivitäten möglichst zum beiderseitigen Nutzen möglich sind. Ein sozialkompetenter Mensch besitzt also die Möglichkeit, die systemisch determinierten Bedingungen in sozialen Systemen verstehen zu können.

      Zusammengefasst handelt das Buch also von

       den relativen Kräfteverhältnissen zwischen Menschen, die untereinander ein soziales System bilden,

       den Interaktionen, die zwischen diesen Menschen stattfinden und die den systemischen Prinzipien gehorchen,

       den Möglichkeiten, den eigenen beruflichen Erfolg zu mehren,

       den Möglichkeiten, seinen eigenen richtigen beruflichen Weg zu finden,

       den Möglichkeiten, seine eigene Sozialkompetenz zu mehren,

       den Prinzipien, die eigene Zufriedenheit und das Lebensglück zu mehren und

       den Hoffnungen, dass die Menschheit insgesamt sich ethisch weiterentwickeln kann, indem immer mehr Menschen Klarheit über die systemischen Bedingungen von sozialen Systemen erlangen und diese beachten.

       2. Kapitel: Evolutionsbiologische Beschreibung des systemischen Prinzips von Rangordnungen

      Die systemische Betrachtungsweise folgt einem biologischen Prinzip, das ganz allgemein in der Natur verbreitet ist. Das Darwinsche Prinzip „survival of the fittest“, das Überleben der am besten angepassten Spezies, sichert ein Überleben des Einzelnen und damit auch ein Überleben der jeweiligen Population. Um dieses Prinzip zu verwirklichen, gibt es innerhalb einer Gemeinschaft von Lebewesen ein klares Ranking: So hat jede Tierherde ihr Alpha-Tier: In der Regel ist es das stärkste, klügste und fortschrittlichste Tier. In erbittert ausgefochtenen Rivalenkämpfen setzt sich dieses Tier an die Spitze einer Herde und führt diese so lange, wie seine Überlegenheit und Kraft andauert und es irgendwann einem stärkeren Tier weichen muss.

      Diese systemischen Prinzipien, denen auch wir Menschen unterworfen sind, sind von Biologen in unterschiedlichen Tierpopulationen beobachtet worden. Der Mensch verhält sich am ähnlichsten den Verhaltensmustern, die auch bei anderen Primaten vorherrschen. Insofern kann man das systemische Prinzip in der Lebensform des Menschen auch das Gorilla-Prinzip nennen, weil eine Gorilla- oder Schimpansen-Herde im Prinzip genauso funktioniert wie die soziale Ordnung und die Abläufe in Unternehmen.

      „Nie werde ich meine erste Begegnung mit den Gorillas vergessen. Geräusch kam vor Sicht, und vor dem Geräusch kam noch der Geruch in Form einer umwerfenden Mischung aus moschusartigem Stall- und Menschenduft. Plötzlich war die Luft erfüllt von einer Reihe schriller Schreie, gefolgt von dem rhythmischen Rondo scharfen Pok-pok-Brustgetrommels eines großen, männlichen Silberrückens 2, der von einer schier undurchdringlichen Pflanzenmauer verdeckt war.“ 3 „Wir lugten durch das Dickicht und konnten eine ebenso neugierige Phalanx schwarzer, ledergesichtiger, haarbeschopfter Menschenaffen sehen, die auf uns zurückstarrten. Ihre klaren Augen bewegten sich unruhig unter starken Brauen, als ob sie uns einordnen wollten als vertraute Freunde oder mögliche Feinde. ... Hin und wieder richtete sich der ranghöchste Mann auf zum Brusttrommeln, mit dem er uns einzuschüchtern versuchte. Der Klang hallte durch den ganzen Wald wider und rief ein ähnliches, wenngleich weniger großartiges Imponiergehabe bei den Gorillas hervor, die sich um ihn scharten. ... Wie im Wetteifer um unsere Aufmerksamkeit


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